»Umsturz«, »Bürgerkrieg«, »Impfapartheid«: AfD Bayern versinkt in Chat-Skandal

Veröffentlichung aus einer internen Telegram-Gruppe zeigt die zunehmende Radikalisierung im bayerischen Landesverband

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor einigen Tagen veröffentlichte der AfD-Politiker Stephan Protschka eine auf den ersten Blick schwer einzuordnende Erklärung. »Der BR schnüffelt in unseren Telegramgruppen«, heißt es in einem Beitrag auf seiner Facebookseite. Gemeint ist der Bayerische Rundfunk. Protschka behauptet, die Journalist*innen würden sich »schon seit mindestens Dezember 2020 Wortlos in unseren Telegramgruppen« befinden.

Was der AfD-Politiker konkret meint, blieb zunächst für fünf lange Tage zumindest für die breitere Öffentlichkeit unklar. Zu diesem Zeitpunkt gab es weder Presseberichte, noch Meldungen, auf die sich Protschka hätte inhaltlich beziehen können. Die Vermutung lag deshalb nahe: Der bayerische Parteivorsitzende ging vorauseilend in die mediale Offensive, weil seinem Landesverband ein Skandal bevorsteht.

Seit Mittwoch ist klar, worauf sich die nebulöse Erklärung bezog: Der BR hat Recherchen veröffentlicht, die nicht nur in der AfD für einige Unruhe sorgen dürften. Konkret geht es dabei um eine geschlossene Telegram-Chatgruppe namens »Alternative Nachrichtengruppe Bayern«. Darüber sind nicht nur einfache AfD-Anhänger*innen vernetzt. Laut BR ist fast die gesamte Führungsriege des bayerischen Landesverbandes vertreten: 16 von 18 Landtagsabgeordneten, elf von zwölf Bundestagsabgeordneten, zehn der 13 aktuellen Mitglieder des Landesvorstandes sowie mehrere Kreisvorsitzende.

Die Chatgruppe dient allerdings nicht nur der internen Organisation des Landesverbandes, es ist auch ein Ort des Austausches über Gewalt, Hass und Umsturzaufrufe. »Ohne Umsturz und Revolution erreichen wir hier keinen Kurswechsel mehr«, schreibt da etwa ein AfD-Kreischef aus Oberbayern im Dezember 2020. Eine Landtagsabgeordnete reagiert mit den Worten: »Denke, dass wir ohne Bürgerkrieg aus dieser Nummer nicht mehr rauskommen werden.« Laut BR-Recherchen umfasste die Gruppe zu Spitzenzeiten bis zu 200 Teilnehmer*innen. Im Jahr 2018 soll der heutige Europaabgeordnete Bernhard Zimniok vorgeschlagen haben, einen Schweinekopf vor einer Moschee abzulegen.

Auch die Corona-Pandemie spielt in der Chatgruppe eine Rolle. In der Reichsbürgerszene verbreitete Verschwörungserzählungen wie etwa die Behauptung, nach dem Zweiten Weltkrieg habe es keinen Friedenvertrag gegeben, werden ebenso verbreitet wie die Ansicht, Deutschland sei »definitiv keine Demokratie mehr«. Ein AfD-Kommunalpolitiker schreibt laut BR von »Impfapartheid« und einem »Genozid an den reichen Europäern und Nordamerikanern, die sich die Impfung leisten können«.

Ebenfalls Teil der Chatgruppe: Stephan Protschka, Anhänger der völkischen Nationalist*innen um den Faschisten Björn Höcke, Mitglied im AfD-Bundesvorstand und seit Oktober Vorsitzender des bayerischen Landesverbandes. Er ist laut »BR« einer der Administrator*innen der Gruppe, behauptet aber, er lese in den Chats nicht mehr mit und habe diese stummgeschaltet.

Protschka versucht, die Bedeutung des Telegram-Kanals herunterzuspielen. »Im Gegensatz zu unseren Mainstreammedien dürfen bei uns ALLE mitdiskutieren und mitreden. Bei uns gibt es keine Zensur und niemand wird Aufgrund seiner politischen Meinung gecancelt«, heißt es in einer Erklärung beschwichtigend.

Innerhalb der Bayern-AfD haben die Anhänger*innen des formal aufgelösten völkischen »Flügel« ihre Macht in den vergangenen Jahren sukzessiv ausgebaut. Besonders erkennbar wurde dies durch die Vorstandswahlen auf dem vergangenen Landesparteitag Mitte Oktober in Greding. Mit dem Bundestagsabgeordneten Protschka steht seitdem nicht nur ein »Flügel«-Mann an der Parteispitze, im Landesvorstand verfügt die völkisch-nationalistische Gruppierung sogar jetzt über eine Mehrheit. Es ist deshalb unwahrscheinlich, dass die Veröffentlichung der Chat-Verläufe auf Landesverbandsebene personelle Konsequenzen nach sich ziehen.

In früheren Fällen war dies noch anders gewesen. Immer wieder kommen Inhalte interner AfD-Chatgruppen oder aus deren nahen Umfeld ans Licht. Zu den bekanntesten Fällen zählt eine Veröffentlichung aus dem Jahr 2017. NDR und »taz« hatten damals gewaltverherrlichende Äußerungen des damaligen AfD-Politikers Holger Arppe - ebenfalls »Flügel«-Anhänger - aus Mecklenburg-Vorpommern veröffentlicht. Dieser trat in der Folge aus der Landtagsfraktion aus, später wurde er auch aus der Partei ausgeschlossen.

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