Die Freiheit, die sie meinen

Woche für Woche fordern ideologisierte Corona-Leugner*innen gemeinsam mit der organisierten Rechten »Freiheit«. Welche Freiheit ist da eigentlich gemeint?

  • Natascha Strobl
  • Lesedauer: 4 Min.

In vielen deutschen, schweizerischen und österreichischen Städten gehen alle paar Wochen Hunderte bis Tausende Leute auf die Straßen, um im Namen der Freiheit zu demonstrieren. Da werden große Worte bemüht, die längst ihres eigentlichen Sinnes entledigt sind und nur noch als maximalistische Schlagworte der eigenen Unzufriedenheit herhalten müssen: Faschismus, Diktatur und immer wieder irgendetwas mit Nationalsozialismus. Maßstäbe und Bezüge sind in diesem Emotionsgetaumel längst verloren gegangen. Dazwischen immer wieder die Freiheit. Es ist ein negativer Freiheitsbegriff, der hier propagiert wird: die Freiheit von etwas, nicht die Freiheit zu etwas. Die Freiheit von Maßnahmen, Impfung, Rücksicht und Solidarität. Es ist ein individualistischer Freiheitsbegriff, der eine andere Ebene als das Selbst nicht einmal mitdenkt.

Es ist doppelt ironisch, dass just der organisierte, völkische Rechtsextremismus sich an die Spitze einer Bewegung mit so einem hyperindividualistischen Freiheitsbegriff setzt. Denn Freiheit im rechtsextremen Sinne ist nie eine Freiheit von Pflicht gegenüber dem Volk oder der Nation. Das lässt sich gut am Frauen- und Familienbild festhalten. Frauen haben in einer völkischen Vorstellung keinerlei Freiheit, um sich gegen ihre »natürliche« Pflicht am Volk zu entscheiden. Es ist nicht ihre individuelle Entscheidung, sondern eine Entscheidung für den Erhalt des (immer bedrohten) Volkes, ob sie (völkisch wünschenswerte) Kinder gebären sollen oder nicht. Freiheit existiert für Faschist*innen, Nazis und andere Rechtsextreme nur in einer Unterordnung unter das Volk.

Natascha Strobl
Natascha Strobl ist Politikwissenschaftlerin und Autorin aus Wien. Auf Twitter schreibt sie Ad Hoc-Analysen zu rechtsextremer Sprache und faschistischen Ideologien, für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Rechte Umtriebe«. Darin widmet sie sich der Neuen und Alten Rechten und allem, was sich rechts der sogenannten Mitte rumtreibt. Alle Texte auf dasnd.de/umtriebe.

Der narzisstische und egogetriebene Freiheitsbegriff des »Ich will aber nicht mehr, bäh«, der Woche für Woche durch die Straßen hallt, ist eigentlich ein zutiefst neoliberalerer. Er ist dabei eine groteske Verzerrung der klassisch liberalen Vorstellungen, dass liberale Koryphäen wie die ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshof in Österreich und nunmehrige Politikerin Irmgard Griss fast linksradikal wirken, wenn sie aus rein liberalen Gesichtspunkten runterdeklinieren, warum es eine Impfpflicht braucht. Der narzisstische Freiheitsbegriff sieht jede Unannehmlichkeit, die ein Individuum erfahren muss, weil andere Menschen auch existieren möchten, als Tragödie ohne Gleichen. Nur aus dieser Haltung ist es zu verstehen, dass so etwas Simples wie eine Maske zu einem gefühlten Bürgerkriegsgrund wird.

Aber wie passen diese ungleichen Vorstellungen von Freiheit zusammen? Sie teilen eine Abneigung gegen die Vorstellung, in einer solidarischen Gesellschaft zu leben. Gesellschaft bedeutet das demokratische Aushandeln von Rechten und Verantwortung gegenüber allen anderen Menschen, die auch in dieser Gesellschaft leben. Es ist eine große Errungenschaft des Zusammenlebens, dass wir Tag für Tag bereit sind, diese Komplexität anzuerkennen und sich ihr auch auszuliefern. Selbstverständlich passieren diese Aushandlungen nicht im luftleeren Raum, sondern werden etwa durch ein kapitalistisches Wirtschaftssystem autoritär begrenzt. In einer so eklatanten Krisenzeit, in der es wortwörtlich um Leben und Tod geht, wäre es umso wichtiger, Freiheit nicht eintönig vulgär-liberal zu denken, sondern die Freiheit aller als Ziel zu haben. Ein solidarischer Freiheitsbegriff bedeutet, die Belastungen der Menschen einzubeziehen, die im Gesundheitswesen arbeiten, die Freiheit von (Hoch-)Risikogruppen oder die Freiheit derer, die Verantwortung übernommen haben und finanziell und psychisch am Ende sind. Ein solidarischer Freiheitsbegriff würde auch Juden und Jüdinnen einbeziehen, die in Wien alle zwei Wochen am Shabbes Angst haben müssen, ihre Wohnungen zu verlassen, weil Nazi-Hooligans ein selbstverständlicher Teil der Corona-Leugner*innen-Demos sind.

Wenn Grenzen verschwimmen - Im österreichischen Burgenland demonstrieren Nationalisten gegen steigende Flüchtlingszahlen. Der Protest scheint die Rechte zu einen.

Aber das tun diese Menschen nicht, die nach Freiheit jammern, aber allein sich selbst meinen. Dass sie dabei ein (wie auch immer geartetes) Bündnis mit dem organisierten Rechtsextremismus eingehen, passt ins Bild: Wenn es mir, mir, mir hilft, dann ist es gut. Kein weiterer komplexer Gedanke ist notwendig. Der organisierte Rechtsextremismus bemüht sich hingegen in (wenig) sanfter Umdeutung und versucht dem unterkomplexen, hyperindividualistischen Freiheitsbegriff den eigenen an die Seite zu stellen. So ergibt sich das Bild, dass auf dem Fronttransparent der großen Demonstration am 20. November in Wien »Kontrolliert die Grenze, nicht euer Volk« und dahinter »Großer Austausch, Great Reset – stoppt den Globalisten-Deck« stehen konnte, während gleichzeitig »Friede, Freiheit, keine Diktatur« gerufen wurde. Die Ironie hat es eben schwer dieser Tage. In diesem Spannungsfeld aus Hyperindividualismus und völkischem Autoritarismus spielt sich die Freiheit ab, die sie meinen.

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