Umstrittene Gisela-Gneist-Straße bleibt

Gutachten über Nazi-Anwandlungen der Namensgeberin stimmen das Stadtparlament nicht um

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 3 Min.

Nach nd-Informationen gibt es im Moment keinerlei Anzeichen dafür, dass die Stadtverordnetenversammlung von Oranienburg die umstrittene Benennung einer Straße nach Gisela Gneist (1930-2007) zurücknimmt. Wie berichtet, hat ein Gutachten des Münchner Instituts für Zeitgeschichte zusammengefasst, was alles gegen Gisela Gneist spricht. Die Frau war von 1995 bis zu ihrem Tod Vorsitzende einer Arbeitsgemeinschaft ehemaliger Häftlinge des sowjetischen Speziallagers Sachsenhausen, soll die Nazizeit verklärt und gegenüber Rechtsextremisten keine Berührungsängste gezeigt haben.

Das Stadtparlament hatte im Juni 2020 entschieden, eine Straße im neuen Wohngebiet Aderluch nach Gisela Gneist zu benennen. Dort befand sich von 1942 bis 1945 ein Außenkommando des Konzentrationslagers Sachsenhausen. Der Beschluss der Stadtverordneten sei für die ehemaligen KZ-Häftlinge und ihre Nachkommen »ein Affront, der jede Empathie und Sensibilität vermissen« lasse, erklären Dik de Boef und Andreas Meyer, ihres Zeichens Generalsekretär und Vizepräsident des Internationalen Sachsenhausen-Komitees (ISK). Wer sich weigere, wissenschaftlich belegte Tatsachen zu den sowjetischen Speziallagern anzuerkennen (dort waren nicht viele Nazis und Kriegsverbrecher interniert), wer die Opfer des Faschismus beleidige und Kontakte ins rechte Spektrum nicht scheue, könne und dürfe nicht auf diese Weise geehrt werden.

»Unabhängig von der Person Gisela Gneist und ihrer mehr als problematischen Rolle als Vorsitzende des Speziallager-Opferverbandes«, so de Boef und Meyer, »vertritt das ISK nach wie vor die Auffassung, dass auf dem authentischen Gelände eines ehemaligen KZ-Außenkommandos keine Straße nach einem Speziallagerhäftling benannt werden darf, um auch im Straßenbild keine geschichtsklitternde Verschmelzung beider historischer Perioden zuzulassen«. Die im Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte dargelegten Fakten sprechen nach Ansicht von de Boef und Meyer für sich. Jetzt müsste das Stadtparlament seine Entscheidung korrigieren.

Die Linke und die Grünen sind dafür. Doch andere wie der Stadtverordnete Michael Ney (CDU) sehen das völlig anders. »Erst einmal steht da überhaupt nichts Neues drin«, sagt Ney über das Gutachten. Außerdem werde einseitig über eine Frau geurteilt, die sich nicht mehr wehren könne. Wenn Gneists Vater schon vor 1933 in die NSDAP eintrat, so spreche dies nicht gegen seine Tochter. »Eine Sippenhaft gibt es nicht.« Dass Gneist ab 1940 dem Bund Deutscher Mädel (BDM) angehörte, spreche auch nicht gegen sie, da dies für Mädchen ab 1936 Pflicht gewesen sei. Er habe Gisela Gneist 15 Jahre lang gekannt und könne die Hand für sie ins Feuer legen, versichert Ney. Sie sei durch ihre Leiden 1946 bis 1950 im Speziallager und vorher in den Fängen des sowjetischen Geheimdienstes »traumatisiert« und »verbittert« gewesen. Da müsse man ihr die eine oder andere unglückliche Formulierung verzeihen. Die demokratische Entscheidung, die das Stadtparlament nach gründlicher Prüfung mit großer Mehrheit getroffen habe, müsse von der anderen Seite nun endlich akzeptiert werden.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.