• Kultur
  • Serienkiller "Faking Hitler"

Die Männer und der große Scoop

Die sechsteilige Serie »Faking Hitler« widmet sich wie das große filmische Vorbild »Schtonk!« den gefälschten Hitler-Tagebüchern

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.
Feixend, saufend, rauchend und dabei immer die Auflage im Blick: Die Männerrunde im »Stern«-Hauptquartier denkt, den größten Knaller aller Zeiten ausgebuddelt zu haben.
Feixend, saufend, rauchend und dabei immer die Auflage im Blick: Die Männerrunde im »Stern«-Hauptquartier denkt, den größten Knaller aller Zeiten ausgebuddelt zu haben.

Wie lustig das Böse sein kann. 1940 wagte Charlie Chaplin mit »Der große Diktator« als erster, sich über den Führer lustig zu machen, Taika Waititis Kindergroteske »Jojo Rabbit« vor zwei Jahren als vorerst letzter, zwischendurch gab es von Benignis »Das Leben ist schön« bis Tarantinos »Inglorious Basterds« reihenweise Komödien, die alle eines gemeinsam haben: Sie stammten nicht vom Tätervolk. Das dauerte dann genau bis zum Jahr 1992.

Damals machte Helmut Dietl die Realsatire der gefälschten Hitler-Tagebücher zur Filmfarce »Schtonk!« und war damit nur unwesentlich witziger als das unfreiwillig komische Original. Vor allem aber ermöglichte sie ein lustiges Potpourri deutscher Fiktionen über den tödlichen Ernst des Gröfaz, das heute in einer weiteren Persiflage von Weltrang gipfelt: »Faking Hitler«. Der Autorenteam von Showrunner Tommi Wosch hat den gleichnamigen Podcast zu einer Streamingserie verarbeitet, die absolut alles hat, was Entertainment bedeutsam macht.

Die Basis bleibt dabei mit Dietls Version identisch: »Stern«-Reporter Gerd Heidemann – wunderbar fiebrig verkörpert von Lars Eidinger – kauft dem Kunstfälscher Konrad Kujau – fabelhaft drollig gespielt von Moritz Bleibtreu – 62 Kladden ab, die angeblich Hitlers Alltag enthalten, tatsächlich aber nur das, was Kunde und Kopist voneinander erhoffen: einen Stoff, der alle Welt wahnsinnig macht. Und das klappt. Gegen alle Zweifel fallen Verlagschef Dreier (Roland Kukulies) und Ressortleiter Bloom (Hans-Jochen Wagner) so betriebsblind auf den Schwindel rein, dass sie selbst Zweifler wie Chefredakteur Michaelis (Richard Sammel) mitreißen.

Dazwischen gibt es das »Schtonk!«-erprobte Possenspiel aus Geldgier, Geltungssucht und Geschichtsvergessenheit, gepaart mit einer Faszination des Bösen, die uns auch bei Autounfällen oder Atompilzen gebannt zusehen lässt. Schon als Porträt der anschwellenden Aufmerksamkeitsökonomie anno 1981 funktioniert »Faking Hitler« demnach bestens. Wirklich sehenswert wird der Sechsteiler jedoch erst, indem die gleichberechtigten Regisseure Tobi Baumann und Wolfgang Groos zwei Nebenflüsse in den Mainstream der Medienbetrachtung lenken, der, anders als bei Dietl, auch etwas über die damalige Zeit erzählt. Und dafür hat ihnen Tommi Wosch Elisabeth Stöckel (Sinje Irslinger) ins Drehbuch geschrieben.

Als junge Frau im Männerclub »Stern«-Redaktion hat die fiktive Nachwuchsjournalistin nämlich nicht nur mit der Misogynie selbstherrlicher Platzhirsche (unangenehm glaubhaft: Tristan Seith als übergriffiger Kollege Theo Kalg) zu tun; bei ihrer Recherche zur SS-Vergangenheit von Horst Tappert alias Stephan Derrick entdeckt sie, dass auch ihr Vater Teil der nationalsozialistischen Mordmaschine war. Während Elisabeths Kollegium vom Großraumbüro bis hoch zur Führungsetage feixend, saufend, rauchend seine Frauenverachtung pflegt, erklärt ihr der liberale Jura-Professor Hans Stöckel sein Schweigen unter Tränen damit, die Nazis hätten ihm Kindheit und die Jugend gestohlen, »ich wollte ihnen nicht auch noch mein neues Leben geben«.

Von dieser Fallhöhe aus spricht RTL+ abseits der medialen Haupterzählung zwei Themen an, die in den Achtzigern kaum weniger virulent waren als in der eskapistischen Nachkriegszeit, aber vom wachsenden Hedonismus jener Tage eingelullt wurden: Sexismus und Revisionismus, heute bekannter als #MeToo oder AfD. Ohne die Humorebene der zwei Klarnamen-Knallchargen Heidemann und Kujau je ganz zu verlassen, machen Baumann und Groos die 45-minütigen Teile am Ende somit zur tiefgründigen Bestandsaufnahme einer Mehrheitsgesellschaft zwischen Weltkrieg und Wende, die ihre Macht noch mehrheitlich unwidersprochen ausübt.

Schon das macht »Faking Hitler« zum gehaltvollen Historytainment des ausklingenden Katastrophenjahres. Weil darin aber auch noch genügend Platz für leichtere Unterhaltung voll außergewöhnlicher Frauenfiguren bleibt, brilliert die Serie auch noch im tragikomischen Fach: Mit der beeindruckenden Jeannette Hain in Gestalt der leibhaftigen Göring-Tochter Edda an Heidemanns Seite zum Beispiel und Britta Hammelstein als Ehefrau in Kujaus bizarrer Dreiecksbeziehung.

Verfügbar in der Mediathek von RTL+

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!