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Militanter Protest braucht Solidarität
Ohne Unterstützernetzwerke kann militanter Protest von Klimaaktivist*innen nicht funktionieren, meint Cristina Yurena Zerr.
Die CO2-Emissionen steigen, es wird neue fossile Infrastruktur, etwa in Form von Ölpipelines, gebaut, die womöglich jahrzehntelang in Betrieb bleibt – in Deutschland, in den USA und an vielen anderen Orten auf der Welt. Angesichts dessen könnte man zu dem Schluss kommen, dass die Umweltbewegung mir ihrer Taktik der strategischen und absoluten Friedfertigkeit gescheitert ist.
Diese These stellt der schwedische Humanökologe und Marxist Andreas Malm in seinem 2020 veröffentlichten Buch »How to Blow Up a Pipeline« (»Wie man eine Pipeline in die Luft jagt«) auf. Angesichts eines brennenden Planeten müsse es der nächste Schritt der globalen Klimabewegung sein, Sabotage und Sachzerstörung an Luxusgütern und fossiler Infrastruktur in großem Stil zu betreiben. Das Buch fand in den USA große Beachtung. In Deutschland stößt der langjährige Umweltaktivist Tadzio Müller im »Spiegel«-Interview in ein ähnliches Horn, prognostiziert an eine bürgerliche Öffentlichkeit gerichtet, dass es in Zukunft verstärkt zu Sabotageaktionen aus der Umweltbewegung heraus kommen wird.
Jedoch: Während der Aufruf zu radikaleren Widerstandsformen in der Klimagerechtigkeitsbewegung lauter wird, scheint die Auseinandersetzung mit den Folgen eine nachrangige Angelegenheit zu sein. Das zeigen Sabotageaktionen der US-Aktivistin Jessica Reznicek, die Malm lobend zitiert. Seit August sitzt die 40-Jährige wegen Sabotagen an der Dakota Access Pipeline (DAPL) im US-Bundesstaat Minnesota hinter Gittern. Sie wurde zu acht Jahren Gefängnis verurteilt, da ihre Taten als inländischer Terrorismus eingestuft wurden. Außerdem wurde Reznicek zu einer Geldstrafe in Höhe von 3,2 Millionen US-Dollar an den Pipeline-Konzern Energy Transfer verurteilt.
Dieser pumpt mit der DAPL seit Juni 2017 jeden Tag rund 90 000 Liter Rohöl durch die nördliche USA. Gemeinsam mit ihrer Mitstreiterin Ruby Montoya entschied sich Reznicek nach dem Scheitern von breitem Protest im Jahr davor für radikalere Mittel und zündete fünf Baumaschinen an. Als sie realisierten, dass die Baugeräte schnell wieder ersetzt werden, änderten sie ihre Taktik: Fünf Monate verbrachten die beiden damit, im Geheimen die Pipeline auseinander zu schweißen und verzögerten so die Fertigstellung um mehrere Monate. Reznicek und Montoya entschieden sich unter dem Druck der Verfolgung durch eine vom Pipelinekonzern angeheuerte Sicherheitsfirma dazu, sich öffentlich zu den Aktionen zu bekennen. Sie erklärten, diese seien nötig geworden, nachdem alle anderen Mittel des Protests »einschließlich der Teilnahme an zivilem Ungehorsam ausgeschöpft seien«, die Regierung aber »nur unzureichend auf die Forderungen der Bevölkerung hört«. Nach einer Hausdurchsuchung durch das FBI gingen die Frauen in den Untergrund, ein Jahr später wurden sie festgenommen.
Durch die Sabotageaktion haben sich Freund*innen und politische Gruppen von Reznicek distanziert. Netzwerke und Unterstützung gingen so verloren. Ein Zurück in die Normalität gibt es nicht mehr, wenn die Aktivistin aus dem Gefängnis freikommt. Durch die Geldstrafe wird sie ihr Leben lang verschuldet bleiben. Hinzu kommen die Folgen einer mehrjährigen Inhaftierung: Traumata, Depressionen oder psychische Erkrankungen. Auch für die soziale Umgebung von Aktivist*innen haben Sabotageaktionen Folgen, etwa Hausdurchsuchungen und Überwachung.
Der kanadische Journalist James Wilt entgegnet Malm in einem Aufsatz, dass dieser sich nicht mit notwendigen Ausgangsbedingungen und Konsequenzen von Sabotageaktionen befasst. Wenn die nötigen Voraussetzungen für radikalere, mit hohen Risiken verbundenen Aktionsformen nicht da sind, könnten Bewegungen und Individuen an den Konsequenzen zerbrechen.
Ist es angesichts des Reznicek und Montoya zunächst angedrohten Strafmaßes von 110 Jahren Gefängnis nicht verantwortungslos, wenn Malm und andere die Beiden als positives Beispiel darstellen, ohne auf Konsequenzen einzugehen? Sollte die Klimagerechtigkeitsbewegung militanter werden? In jedem Fall gilt es, sich der Konsequenzen von Sabotagen bewusst zu sein – und früh solidarische Unterstützungsstrukturen aufzubauen.
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