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»Die SPD war gegenüber den Gewerkschaften in der Pflicht«

Der Arbeitsjurst Nils Kummert glaubt nicht, dass die Beschäftigten mit der Ampel-Koalition das große Los gezogen haben

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.

Waren Sie überrascht, als Sie die Ausführungen im Ampel-Koalitionsvertrag zu geplanten arbeitsmarktpolitischen und mitbestimmungsrechtlichen Maßnahmen gelesen haben?

Ich war verwundert darüber, was alles fehlt. Ich hatte eigentlich gedacht, dass im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP mehr von dem verwirklicht wird, was die Sozialdemokraten - angeschoben von den Gewerkschaften - im Wahlkampf alles versprochen hatten und was im SPD-Programm steht. Da war die SPD gegenüber den Gewerkschaften in der Pflicht.

Nils Kummert ist Fachanwalt für Arbeitsrecht. Der ehemalige Rechtssekretär bei der der IG Metall vertritt, berät und schult Betriebsräte. Mit dem Berliner Juristen sprach Simon Poelchau über die mitbestimmungsrechtlichen Vorhaben der Ampel-Koalition.
Nils Kummert ist Fachanwalt für Arbeitsrecht. Der ehemalige Rechtssekretär bei der der IG Metall vertritt, berät und schult Betriebsräte. Mit dem Berliner Juristen sprach Simon Poelchau über die mitbestimmungsrechtlichen Vorhaben der Ampel-Koalition.

Aber selbst so kritische Initiativen wie Arbeitsunrecht sind positiv überrascht, dass Union Busting, also die Behinderung von Betriebsratsarbeit, laut dem Koalitionsvertrag ein sogenanntes Offizialdelikt werden soll ...

Es ist tatsächlich ein Fortschritt, dass Staatsanwaltschaften künftig automatisch ermitteln müssen, wenn es einen hinreichenden Anfangsverdacht auf eine kriminelle Störung von Betriebsratsaktivitäten oder der Wahl eines Betriebsrats gibt und die Betriebsräte und Gewerkschaften das nicht erst zur Anzeige bringen müssen. Das zeigt, dass es kein Kavaliersdelikt mehr ist, Betriebsratswahlen und Betriebsratsaktivitäten zu behindern. Das wird eine abschreckende Wirkung auf die Arbeitgeber haben und das Thema mehr ins öffentliche Bewusstsein rücken. Deswegen gab es im Vorfeld auch zwischen SPD und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) eine große Übereinstimmung, dass das Thema angegangen werden soll. Dass die Sozialdemokraten dies nun gegenüber der FDP durchsetzen konnten, ist durchaus eine positive Überraschung, denn die SPD hat in der Großen Koalition den Kündigungsschutz von Betriebsratsgründer*innen nur marginal verbessert.

Gleichzeitig sollen Betriebsräte nicht nur im Rahmen des Pandemieschutzes digital tagen können. Wird das deren Arbeit erleichtern?

Ob damit alle Betriebsräte gestärkt werden, ist fraglich. Große Konzern- und Gesamtbetriebsräte und Betriebsräte, die für Sitzungen anreisen müssen, werden eine neue Regelung, die den Vorrang der Präsenzsitzung beseitigt, sicherlich begrüßen. Sie können so schlagkräftiger werden. Bei schwachen Betriebsräten kann die neue Regelung jedoch schnell zum Nachteil werden, weil sie vielfach vom Arbeitgeber gedrängt werden können, aus Kostengründen nur noch virtuelle Sitzungen durchzuführen. Es wird darauf ankommen, dass die Betriebsräte auch weiterhin das Recht haben, selbst frei und unbeeinflusst zu entscheiden, in welcher Form sie ihre Sitzungen durchführen wollen.

Welche Beschlüsse im Koalitionsvertrag haben Sie nicht verwundert?

Absehbar war zum Beispiel, dass die Umgehung der deutschen Unternehmensmitbestimmung durch das europäische Unternehmensgesellschaftsrecht erschwert werden soll. Dabei nutzen die Arbeitgeber regelmäßig die Umwandlung ihrer Firma in die EU-Rechtsform einer SE, also einer »Societas Europaea«, um die Mitbestimmung einzufrieren. Sie können dann massiv wachsen und Personal einstellen, ohne das deutsche Unternehmensmitbestimmungsrecht anwenden zu müssen. Diese Flucht in die SE zu verhindern, ist folglich auch eine alte Forderung der Gewerkschaften, insbesondere der IG Metall, die jetzt erfreulicherweise umgesetzt wird.

Die Gewerkschaften haben aber durchaus mehr gefordert, um die Mitbestimmung zu stärken. Zum Beispiel wollten sie, dass die Grenze, nach der die Aufsichtsräte von Unternehmen paritätisch besetzt werden müssen, von 2000 auf 1000 Beschäftigten herabgesetzt wird.

Die Gewerkschaften haben eine Reihe von Forderungen aufgestellt, um die Mitbestimmung auf Unternehmens- und Betriebsebene zu stärken und die Flucht aus der Mitbestimmung zu unterbinden, etwa durch die Verlagerung des Firmensitzes ins europäische Ausland. Denn der europäische Rechtsrahmen ist nicht per se mitbestimmungsfreundlich. Andere Staaten haben meist nicht so etwas wie das deutsche Unternehmensmitbestimmungsrecht. Dass nun die Flucht in die SE unterbunden werden soll, ist ein erster Schritt zur Eindämmung der Flucht aus der Mitbestimmung.

Der DGB hat neben der Herabsetzung der Mitbestimmungsgrenze unter anderem auch noch die Abschaffung des Doppelstimmrechts von Aufsichtsräten gefordert, um die Arbeitnehmervertreter in den Kontrollgremien zu stärken. Beides wird wohl nicht umgesetzt. Hat da die SPD gegenüber der FDP nicht hart genug verhandelt?

Die Umsetzung dieser Forderungen war nicht realistisch. Selbst ohne die FDP wäre das kein Selbstläufer gewesen. Denn hier wird die unternehmerische Freiheit sehr stark berührt und da wäre mit viel Widerstand zu rechnen gewesen. Und an ein solches Thema traut sich auch die SPD nur sehr, sehr vorsichtig heran.

Was wäre aber durchaus noch drin gewesen an Gewerkschaftsforderungen, was nun nicht im Koalitionsvertrag steht?

Dass die sachgrundlose Befristung nicht abgeschafft wird, ist enttäuschend. Das betrifft Hunderttausende von Beschäftigten. Das war schon ein Thema in der Großen Koalition. Diese nichtgemachte Hausaufgabe müsste die Ampel-Koalition eigentlich angehen. Und auch die Erweiterung der Mitbestimmung bei den Themen Weiterbildung, Personalbemessung und Klimaschutz sind wichtige gewerkschaftliche Forderungen, die SPD und Grüne im Wahlkampf immer wieder aufgegriffen haben. Dass die beiden Parteien das nicht gegenüber der FDP durchgesetzt haben ist auch sehr enttäuschend und mit Blick auf die Grünen beim Thema Klimaschutz auch sehr verwunderlich. Das hätte ich anders eingeschätzt.

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