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Raus aus der Unsichtbarkeit
Denkmal in Wedding rückt Nöte obdachloser Menschen ins Licht der Öffentlichkeit
Eine Gruppe von Menschen stapft in Wedding über den verschneiten Weg auf die Grünfläche hinter der Neuen Nazarethkirche am nordöstlichen Rand des Leopoldplatzes. Mit einem Besen säubern sie eine unscheinbar wirkende Holzoberfläche, die in einem Betonrahmen eingefasst ist. Beim genaueren Hinsehen zeigt sich, dass auf der Oberfläche Schriftzüge aufgedruckt sind - persönliche Wünsche, die Menschen ohne Obdach mit einem eigenen Zuhause verbinden.
Sektkorken knallen, Jubel kommt auf. Was hier am Freitag eingeweiht wird, ist die »Obdachlose Bühne«, die laut Aufschrift all jenen gewidmet ist, die von struktureller Gewalt in Form von Obdach- und Wohnungslosigkeit sowie Zwangsräumung betroffen sind.
»Ich habe mir das vorhin angeguckt, ich finde die Sprüche super«, sagt Mirko, der seinen vollen Namen nicht in der Zeitung lesen will, zu »nd«. Er war selbst bis vor rund einem Jahr obdachlos und lebt jetzt in einem Wohncontainer, wie er berichtet. »Nur mein Spruch steht da natürlich nicht: dass ich ’ne Wohnung brauch’, weil ich ’ne Wohnung brauch’.«
Neben Mirko haben sich am Freitag rund 50 weitere Aktivist*innen in Sichtweite des Denkmals zu einer Kundgebung gegen Obdachlosigkeit und Wohnungsleerstand versammelt. Aufgerufen hatten verschiedene wohnungs- und stadtteilpolitische Initiativen. Gegen die frostige Kälte verteilt die Berliner Obdachlosenhilfe warme Getränke.
Mit dem Denkmal hätten sich die Obdachlosen eine wortwörtliche Bühne im öffentlichen Raum geschaffen, Raum, der ihnen zustehe, sagt ein Redner des Mietenwahnsinn-Bündnisses. Zu oft passiere es, dass Menschen durch private Sicherheitsdienste vertrieben würden, etwa weil sie Alkohol konsumierten. So auch am Leopoldplatz, einem zentralen Treffpunkt für Obdachlose in Wedding. Doch auch an anderen Orten im Bezirk Mitte sind Obdachlose offenbar nicht gern gesehen. Erst im November erhielt der Hansaplatz den Negativpreis »Die Goldene Keule« als obdachlosenfeindlichster Ort Berlins. Mit der seit vergangener Woche sogar auf Bahnsteigen geltenden 3G-Regel haben sich für Wohnungslose, die keine entsprechenden Nachweise haben, die bislang tagsüber zugänglichen Aufenthaltsmöglichkeiten zudem drastisch minimiert.
Dass ein Winter im Freien lebensgefährlich sein kann, zeigen die Zahlen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe. Sie zählt für den vergangenen Winter 23 Kältetote. Erst vergangene Woche erfroren in Düsseldorf zwei wohnungslose Männer.
»Wir sind jetzt im zweiten Corona-Winter, wir haben einen der kältesten Winter seit Jahren«, erklärt Valentina Hauser von der Initiative Leerstand Hab-ich-saath das Anliegen der Aktivist*innen. Es gebe rund 1150 Notübernachtungsplätze im Rahmen der Kältehilfe, die Anzahl der Obdachlosen in der Hauptstadt übersteige diese jedoch um ein Vielfaches, sagt sie zu »nd«. Daher sei es dringlich, dass die Politik das Thema Leerstand stärker in den Blick nehme.
Leer stehende Wohnungen gebe es in Mitte genug, heißt es in den Redebeiträgen. Einen besonders drastischen Fall schildert Daniel Diekmann von der Neuen Heimat Mitte, einer Nachbarschaftsinitiative aus der Habersaathstraße. Dort steht in einem Wohnblock seit Jahren der Großteil der ursprünglich 106 Wohnungen leer, der Vermieter will einen Neubau errichten. 2020 besetzten Obdachlose die Hausnummer 46 für wenige Stunden, bis die Polizei das Gebäude räumte. Aktuell sind noch mehrere Verfahren gegen die damaligen Besetzer*innen anhängig.
Die im rot-grün-roten Koalitionsvertrag angestrebte Bauoffensive und das Ziel, bis 2030 die Obdachlosigkeit in der Stadt zu beenden, stoßen bei den Anwesenden auf Skepsis. »Man sieht ja, was am Ende gebaut wird«, sagt Valentina Hauser. Das seien vornehmlich höherpreisige Mietwohnungen. »Wenn man nicht an den Leerstand und die Ferienwohnungen herangeht, sehen wir für die Ziele der Koalition schwarz.« Ob Katja Kipping die Nachfolge Elke Breitenbachs (beide Linke) in der Senatsverwaltung für Soziales antrete, sei dabei nachrangig, ergänzt sie. »Das Problem liegt auch im strukturkonservativen Mittelbau in den Ämtern.«
Dass es mit dem Denkmal schon bald wieder ein Ende haben könnte, wissen die Aktivist*innen nur zu gut. Die ebenfalls anwesende Polizei nimmt zwar Notiz von der Installation, unternimmt aber vorerst nichts - zuständig ist das Grünflächenamt. Um diesen Ort längerfristig zu erhalten, will die Initiative deshalb eine Petition starten.
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