Einmal genial sein reicht für die Schach-Krone

Magnus Carlsen bleibt Schachweltmeister, weil sein Gegner Jan Nepomnjaschtschi unter Druck kollabierte

Als Schachweltmeister Magnus Carlsen nach den Gründen für seine erfolgreiche Titelverteidigung gefragt wurde, waren ihm die Antworten sichtlich unangenehm. Schließlich saß sein russischer Herausforderer Jan Nepomnjaschtschi nur ein paar Meter zu seiner Rechten. Und beide wussten, dass der klare Ausgang des Matches, das der Norweger am späten Freitagabend mit 7,5:3,5 endgültig für sich entschieden hatte, weniger mit Carlsens Stärken zu tun hatte als mit den Schwächen seines bemitleidenswerten Gegners. »Offensichtlich konnte Jan irgendwann nicht mehr sein bestes Schach zeigen«, sagte Carlsen. »Das passiert manchmal, wenn man in eine schwierige Situation gerät. Kann man damit nicht umgehen, nützt die beste Vorbereitung nichts mehr.«

Dabei war diese WM in Dubai mit mehr Spannung erwartet worden als so manch andere der vier bisherigen Duelle Carlsens seit 2013. Immerhin hatte Nepomnjaschtschi eine positive Bilanz gegenüber dem Norweger vorzuweisen und auch in den ersten fünf Partien, die allesamt remis endeten, Carlsen einige Male in Bedrängnis bringen können.

Doch dann kam die Marathonpartie Nummer sechs. Fast acht Stunden lang, saßen sich beide Kontrahenten gegenüber, spielten aufgrund der Zeitprobleme, in die beide geraten waren, am Ende eine Art Blitzpartie mit Zügen im Sekundentakt und dennoch lange Zeit so fehlerfrei, dass auch nach mehr als 100 Zügen wieder eine Punkteteilung wahrscheinlich war. Dennoch rang Carlsen seinen Gegner nach der WM-Rekordzahl von 136 Zügen nieder. »Spiel sechs war exzellent. Und das hat alles entschieden«, resümierte der Weltmeister nach seiner Titelverteidigung - und niemand konnte ihm widersprechen.

Schließlich sollte der Norweger von den folgenden fünf Partien drei - und damit das gesamte Match - gewinnen. Dafür aber brauchte es keinen Dauerdruck mehr, sondern nur noch solides Stellungsspiel. Nepomnjaschtschi bemühte sich, den Rückstand wieder aufzuholen, schnitt sich sogar seinen Zopf ab und ließ Landsmann Sergei Karjakin - der Carlsen 2016 am Rande einer Niederlage hatte - einfliegen, um neue Ideen zu entwickeln. Doch am Brett verlor der 31-Jährige dann immer wieder die Nerven. Dreimal verpatzte er in gleichwertigen Stellungen einen Bauernzug, der die Schachwelt in Unglauben versetzte.

Als es ihm am Freitagabend wieder passierte, reagierten selbst Großmeister, die den Druck der Situation nachvollziehen können, nur noch fassungslos. So urteilte der fünffache US-Meister Hikaru Nakamura: »Ich denke, Jan hatte keine Lust mehr auf Remis. Er wollte die Partie schärfer gestalten und ging das Risiko der schnellen Niederlage ein.«

Nach einer abermaligen Punkteteilung hätte Nepomnjaschtschi die letzten drei Partien in Serie gewinnen müssen, zweimal davon mit dem leichten Nachteil der schwarzen Figuren. Der Niederländer Anish Giri wirkte in seinem Live-Kommentar sogar noch verärgerter. »Er will das Spiel verlieren, er will kein Remis mehr, also verliert er lieber - zumindest unbewusst.«

Das wollte der Russe später so natürlich nicht zugeben und schob seine Fehler auf die Umstände: »Ich denke, dass es nicht am Schach lag. So eine WM besteht aus vielen Faktoren. Da spielen auch die Physis und die Psyche mit rein. Die Situation war anspannender als ich sie erwartet habe. Aber das darf niemals die Begründung dafür sein, Dinge zu übersehen, die man nicht mal in einer Blitzschachpartie übersehen würde.« Er wolle nun analysieren, warum es dennoch geschah. »Das ist mir noch nie passiert. Klar habe ich schon mal Partien dumm verloren, aber nie so oft wie hier. Diese Patzer waren unter dem Niveau von schlechter Form.«

Carlsen war das egal. »Manchmal ist die beste Strategie, abzuwarten und solide zu spielen. Ich habe sicherlich konservativer agiert als früher. Das hat sich letztlich aber als richtig herausgestellt. Dass ich bei einer WM dann so davonziehe, hab ich natürlich nicht erwartet.«

Zur Einstellung des Rekords von sechs gewonnenen WM-Titeln fehlt dem Norweger nur noch einer. Wer sein nächster Gegner sein wird, entscheidet sich beim nächsten Kandidatenturnier im Sommer 2022. Dass der erneut Jan Nepomnjaschtschi heißen wird, scheint er nicht zu glauben. Stattdessen hätten ihn die jüngsten Leistungen des Franzosen Alireza Firouzja »sehr beeindruckt«, sagte Carlsen. »Es gab nichts, was mich zuletzt so motiviert hat.« Für den Russen wenige Meter zu seiner Rechten dürfte diese Aussage ein weiterer Tiefschlag gewesen sein.

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