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  • Prozess um Tiergarten-Mord in Berlin

Lebenslang für russischen Killer

Im Prozess um den Mord im Kleinen Tiergarten von 2019 folgt das Gericht dem Antrag der Bundesanwälte

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.

Im Prozess um den aufsehenerregenden Mord an einem Georgier im Kleinen Tiergarten vor über zwei Jahren ist der russische Angeklagte am Mittwoch am Berliner Kammergericht zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. Die Richter des Staatsschutzsenates folgten damit der Forderung der Bundesanwaltschaft. Die Richter erkannten - ganz im Sinne der Anklage - eine besondere Schwere der Schuld, was eine vorzeitige Haftentlassung und damit einen eventuellen Austausch des Täters praktisch ausschließt. Die oberste deutsche Anklagebehörde geht davon aus, dass die als eine Art Hinrichtung zelebrierte Tat im Auftrag staatlicher russischer Stellen begangen wurde. Das macht ein politisches Motiv wahrscheinlich.

Russische Stellen weisen den Vorwurf eines staatlichen Auftragsmords freilich zurück. Allerdings gibt es wenig Gründe, um an dieser These zu zweifeln. Möglich ist durchaus, dass der Verurteilte - der angeblich Vadim Krasikov heißt, sich aber Vadim Sokolov nennt - von einem russischen Dienst angeheuert wurde. Höchst zweifelhaft dürfte indes sein, dass er, wie die Anklage meint, hauptamtlicher Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes FSB ist und den Rang eines Obersten bekleidet. Wahrscheinlicher ist, dass der heute 56-Jährige einst Angehöriger der »Speznas« war, einer Eliteeinheit des russischen Militärs.

Tatsache ist: Der Mann ist ein Mörder. Er hat am 23. August 2019 im Kleinen Tiergarten in Moabit den tschetschenischstämmigen Georgier Tornike Kavtarashvili alias Zelimkhan Khangoshvili umgebracht. Sein Opfer war mit Sicherheit ein Feind Russlands, an dessen Händen aber gleichfalls Blut kleben dürfte. Russlands Präsident Wladimir Putin beschrieb Khangoshvili als »Banditen« und »Terroristen«. Zwischen 2000 und 2004 hat er als Angehöriger einer tschetschenischen Miliz im russischen Nordkaukasus gekämpft und sich danach an der »asymmetrischen Kriegsführung« gegen Moskau beteiligt. Sein Ziel: ein islamistisch geprägtes »Kaukasisches Emirat«. Der FSB setzte »Kavtarashvili-Khangoshvili« auf die Liste der meistgesuchten Terroristen.

Für die Bewertung der Tiergarten-Tat sei nicht ausschlaggebend, ob das Opfer tatsächlich ein Terrorist gewesen sei, betonte Bundesanwalt Nikolaus Forschner. Das ist ohne Zweifel richtig. Doch seine sich daran anschließende Behauptung ist unbewiesen. Forschner meint, dass von Khangoshvili keine Gefahr ausging, seit er 2016 nach Deutschland gekommen ist, wo er politisches Asyl beantragte. Schließlich, so der Bundesanwalt, hätten die zuständigen deutschen Stellen 2018 die Einstufung des Georgiers als »Gefährder« zurückgenommen.

Genau hierzu ergeben sich Nachfragen, doch die waren nicht Gegenstand der Gerichtsverhandlung. Tschetschenische Kämpfer, die weltweit als Söldner Allahs auftreten und auch im Dienst des sogenannten Islamischen Staates (IS) operieren, betrachten Deutschland seit Jahren als eine Art logistischen Planungs- und Rückzugsraum. Um den nicht zu gefährden, halten sich die gut organisierten Gotteskrieger hierzulande mit politisch motivierten Verbrechen zurück. Die Behörden honorieren diese Zurückhaltung. Die Polizei wird in der Regel nur dann tätig, wenn Tschetschenen im Rahmen der Organisierten Kriminalität »über die Stränge« schlagen.

Man hat im Prozess wenig erfahren vom Alltag des Opfers, wenig davon, wie er seinen Lebensunterhalt bestritt. Was also ist die Rücknahme der Gefährder-Einstufung wirklich wert - zwei Jahre nachdem Khangoshvili in Deutschland Asyl erbat? Welche Erkenntnisse hatten und haben deutsche Dienste über ihn und sein Umfeld?

Die Bundesanwaltschaft stützte sich bei der Klärung der Identität seines Mörders sowie seiner angeblichen staatlichen Auftraggeber auf Angaben der Rechercheplattform »Bellingcat«. Auch Erkenntnisse des Investigativmagazins »The Insider« sowie vom »Dossier Center« schienen den Ermittlern ausreichend glaubwürdig. Was ukrainische Behörden und Ermittler in Polen, Tschechien, Frankreich und Zypern zusammentrugen und das, was ein über drei Ecken Bekannter des Mörders dem Gericht über dessen Tätigkeit in der russisch dominierten Ostukraine erzählte, wurde von den Richtern offenbar nicht in Zweifel gezogen.

Mindestens seltsam mutet die sorgsame Beachtung der Rechte des Angeklagten an. Er sei Bauingenieur und habe keine Verbindung zum russischen Staat und zum FSB, behauptet er. Das, und was er sonst noch in Gesprächen mit deutschen Ermittlern gesagt hat, durfte im Prozess nicht verwendet werden. Die Ankläger verwiesen auf das Beweisverwertungsverbot. Das gelte, weil der Beschuldigte entgegen seiner Forderung ohne Anwalt befragt und nicht darauf hingewiesen worden sei, dass seine Aussagen so womöglich keine Geltung haben.

Einen Austausch mit russischen Behörden, der über einen Notenwechsel hinausging, gab es nicht. Jede Seite sprach der jeweils anderen den Willen zu ernsthaften Ermittlungen ab. Die mutmaßlichen Moskauer Auftraggeber scheinen wenig Interesse an ihrem Werkzeug zu haben. Ihnen reichte es offenbar, dass die tschetschenische Gemeinde in Deutschland abgeschreckt wurde.

Und genau das ist nicht egal. Die Bundesanwaltschaft betont, durch die Tat auf deutschem Boden seien die Souveränität und das Gewaltmonopol der Bundesrepublik infrage gestellt worden. Von einer »radikalen Missachtung rechtsstaatlicher Prinzipien« ist die Rede. Beides stimmt, wenn all das stimmt, was für den Prozess zusammengetragen wurde. Schon seit Jahren ist zu beobachten, was man im Westen seit Ende des Kalten Krieges als erledigt betrachtet hat: Rissland dehnt seine Auffassung von Recht und Gerechtigkeit über fremde politische und geografische Grenzen hinaus aus. Die Geheimdienste sind dabei frei in der Wahl ihrer Mittel. Im Kleinen Tiergarten nutzte man eine Pistole mit Schalldämpfer, in London und Salisbury kamen unlängst Plutonium und ein Nervenkampfstoff zum Einsatz.

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