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Die zweite Reihe soll es bei Olympia richten
Die deutschen Alpinskiläufer suchen noch nach dem Durchbruch in der Olympiasaison. Auf Thomas Dreßen müssen sie dauerhaft verzichten
Blitzschnell reagieren, sich ständig auf neue Bedingungen einstellen und trotzdem darauf konzentrieren, so schnell wie möglich ins Ziel zu kommen: Das gehört zu den elementarsten Aufgaben eines Skirennläufers. Um so mehr schätzen die Athleten eine gewisse Konstanz um sie herum. Jedes Jahr nutzen sie zum Beispiel dieselben Hotels. Und so lehnt sich Romed Baumann zurück auf dem ihm bekannten Sofa im Foyer eines Wolkensteiner Hotels, das Stammquartier der deutschen Mannschaft während der Weltcuprennen in Gröden ist. Er logiert hier zwar erst seit seinem Wechsel vom österreichischen zum deutschen Skiverband 2019, aber auch für ihn ist es so etwas wie Heimkommen.
Im Schatten des Langkofels fühlen sich die Deutschen immer wohl. Die traditionell ersten Auftritte der Abfahrer in Europa nach den Nordamerika-Rennen sind auch der ideale Zeitpunkt für eine Zwischenbilanz. Cheftrainer Christian Schwaiger scheint aber noch nicht so recht zu wissen, was er von den bisherigen Leistungen zu halten hat. »Wir sind noch in der Findung«, sagte er. Das trifft auf die gesamte Mannschaft zu, nicht nur auf die Schnellfahrer, denen inklusive des Super-G in Gröden am Freitag drei Top-Ten-Plätze in fünf Rennen gelungen sind. Nicht schlecht, aber »kein Knaller« war dabei, wie Schwaiger sagt.
Noch übersichtlicher sind die Spitzenresultate in den anderen Disziplinen. Im Riesenslalom schaffte Alexander Schmid als Sechster von Val d’Isere zwar die Qualifikation für die Olympischen Winterspiele im Februar in Peking, aber die Leistungen des Allgäuers sind noch zu inkonstant. Zudem fällt Stefan Luitz nach einer Bandscheibenoperation die nächsten Wochen aus und so gut wie sicher auch für das Großereignis in China. Linus Straßer, Sieger des Slaloms von Zagreb im vergangenen Winter, erlebte einen Saisonstart zum Vergessen. In Val d’Isere verpasste er mit einem verkorksten ersten Durchgang sogar das Finale.
Der Fokus liegt also doch auf den Schnellfahrern. Und das, obwohl der Beste derzeit fehlt. Thomas Dreßen hat in seiner Karriere fünf Abfahrten gewonnen, fällt aber nun schon die zweite Saison hintereinander aus. Vor zehn Monaten musste er sich nach seinem Kurzcomeback bei der WM in Cortina d’Ampezzo wieder einer Knieoperation unterziehen. Es wurde versucht, neues Knorpelgewebe aufzubauen. Ein langwieriger Genesungsprozess, der wohl zwar bald abgeschlossen ist, aber nicht rechtzeitig, um schon im Januar in den Weltcup zurückzukehren und die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Peking noch in Angriff zu nehmen. Er konzentriere sich auf die nächste Saison, ließ er nun wissen.
Die Kollegen müssen also in China ohne ihn um Medaillen kämpfen. Und nach den WM-Silbermedaillen von Romed Baumann im Super-G und Andreas Sander in der Abfahrt im vergangenen Februar sind die Erwartungen an sie gestiegen - die von außen und die eigenen. »Die Ziele sind in dieser Saison natürlich andere als in der vergangenen«, sagte Baumann. Vor einem Jahr ging es für ihn noch darum, sich in der Rangliste nach vorne zu kämpfen, um von besseren Startnummern zu profitieren. Jetzt geht es ums Siegerpodest. Und was bei einer Weltmeisterschaft gelingt, könnte auch bei Olympia möglich sein. Genauso gut kann es aber eben auch ein vierter Platz werden oder einer noch weit dahinter wie Rang 20 am Freitag in Gröden.
»Es ist harte Arbeit, dass man nach oben kommt«, sagt Baumann, »aber mindestens genauso hart ist es, dass man oben bleibt.« Er hat diese Berg- und Talfahrt in seiner Karriere schon einmal erlebt. Nach anfänglichen Erfolgen war er in Österreich vor drei Jahren aus dem Kader geflogen, für nicht mehr gut genug befunden. Der 35-Jährige, der sich nach seinem Nationenwechsel wieder nach oben gekämpft hatte, weiß: »Man braucht sich auf Erfolgen nicht auszuruhen. Die anderen sind auch hungrig.«
Das gilt nicht nur für die Athleten, auch das Team drum herum ist ständig bemüht, »die letzten Körner zu finden«, wie Schwaiger es ausdrückt. Die Rennanzüge wurden optimiert, das Skitesten perfektioniert. Seit 2018 betreibt der Deutsche Skiverband zudem ein Technologiezentrum in Berchtesgaden. Seit zwei Jahren feilen die Deutschen auch am Start, um eine höhere Beschleunigung auf den ersten Metern zu erreichen. Deshalb waren sie zuletzt in der Langlaufhalle in Oberhof, übten dort Schlittschuhschritte, »um zu spüren, wie die Kombination aus Bein- und Armkraft wirkt«, erzählt der deutsche Cheftrainer.
Viel Input kam hier vom ehemaligen Österreicher Baumann. Die Alpennation ist vielen anderen Teams nicht nur auf der Piste oft voraus, sondern auch beim Tüfteln. »So eng, wie es in Abfahrt und Super-G zugeht, darf man bei den Nebenschauplätzen keine Zeit liegen lassen«, sagt Baumann, der »ein paar Denkanstöße« gab, wie er es formuliert. »Man war vorher schon nicht so schlecht aufgestellt. Aber jetzt kamen noch ein paar Kleinigkeiten dazu.« Kleinigkeiten, die ein paar Hundertstelsekunden bringen können. Und vielleicht auch ein paar Medaillen.
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