Heilige Nacht, besoffene Nacht

Jeja nervt: Saufen als konformistische Rebellion

  • Jeja Klein
  • Lesedauer: 3 Min.

Heilige Nacht, besoffene Nacht - für Genoss*innen aus christlichen Familien ein altes Muster. Weihnachten, das Fest der Familie, der Liebe und der Geselligkeit, ist schon unter dem Vorzeichen einigermaßen funktionierender Familienbeziehungen ein Fest der Trunkenheit. Denn nach dem obligatorischen Weihnachtsschmaus werden oft ebenso selbstverständlich Sekt und Wein gereicht.

Auch in meiner Familie war und ist das so - vermutlich, denn ich habe inzwischen keinen Kontakt mehr zu ihr. Mir geht es wie vielen anderen Menschen, insbesondere aber wie anderen Queers. Die Herkunftsfamilie hat sich, verstärkt durch die Marginalisierung und das Unwissen über abweichendes Geschlechtsempfinden und Begehren, nicht als Ort von Sicherheit und Geborgenheit erwiesen. Zum Glück gibt es unter Queers die berüchtigte »Wahlfamilie«, mit der man auf all die familiären Scherereien nicht nur nicht verzichten muss. Hier desinfiziert man die alten, partout nicht heilen wollenden Wunden auch noch kollektiv und feierlich mit Hochprozentigem - Cheers!

JEJA NERVT

Jeja Klein ist eine dieser Gender-Personen aus dem Internet und nörgelt einmal die Woche an Kultur und Politik herum. dasnd.de/jejanervt

Studien zeigen, dass nicht nur die allgemeine psychische Gesundheit unter Queers, insbesondere unter transgeschlechtlichen und nichtbinären Menschen, aufgrund von gesellschaftlicher Ausgrenzung schlecht ist. Zu den häufig von klein auf erlebten negativen Botschaften und schmerzhaften zwischenmenschlichen Erfahrungen, die dann ihre Spuren hinterlassen, gesellt sich ein deutlich erhöhter Konsum von Drogen, darunter auch König Alkohol. Es ist nicht erst einmal passiert, dass ich liebe queere Menschen beim Trockenwerden und -bleiben unterstützt habe: Organisation des Alltags, Entzug und Entwöhnung, Klinikaufenthalt und auch die Herausforderung, als trockene*r Alkoholiker*in unter feierwütigen Saufnasen ein funktionierendes soziales Umfeld aufrechtzuerhalten.

Viele, die mit dem Trinken aufhören, merken, wie funktional ihre Beziehungen an den Konsum gekoppelt sind und wie schnell man alleine dasteht, wenn man nicht mehr mittrinkt oder den Rüssel nicht mehr in jedes weiße Pülverchen reinhält. Das wilde, queere Leben um einen herum geht weiter, während man selbst immer weiter vereinsamt. Es gibt kaum einen Zeitpunkt, der für einen Rückfall in die Sucht gefährlicher ist als der Moment des Verlassenseins. Und Weihnachten spitzt sich dieses Problem für viele Menschen alljährlich noch einmal deutlich zu.

Die queere Community feiert sich für ihren Hedonismus und ihre dem Ernst des Lebens unter kapitalistischen Zwängen widerständig gegenüberstehende Party- und Beziehungskultur. Doch das eigene Besäufnis irgendwie noch als Akt der Rebellion gegen Konvention und Spießigkeit zu deuten, gelingt bereits jeder Jungmännertruppe der Freiwilligen Feuerwehr eines niedersächsischen 50-Seelen-Dorfes. Es gibt kaum ein Kulturelement, das so sehr von Konformität und Affirmation durchzogen ist wie das Saufen - das dazu noch in widerständigem Geist begangen wird.

Das hinuntergekippte oder nippend genossene Bier vereint die gegensätzlichsten Pole der Gesellschaft, und ich möchte alle Leser*innen, die meine Punk-Jugend teilen, an den missgünstigen Blick erinnern, den man damals auf Nazi-Skinheads zu werfen pflegte. Die störten einen nämlich dabei, aggressiv-gutgelaunt in schweren Stiefeln mit einer Kiste ungekühltem Billigbier und aufgedrehter Musik durch die Gegend zu streifen und Passant*innen zu nerven, indem diese Hampelmänner*innen aggressiv-gutgelaunt in schweren Stiefeln mit einer Kiste ungekühltem Billigbier und aufgedrehter Musik durch die Gegend streiften und Passant*innen nervten.

Saufen ist konformistische Rebellion. In queeren Kontexten ist das nicht anders. Wenn es also am nächsten Wochenende wieder entgrenzt, feucht-fröhlich zugeht, denken Sie doch mal dran. Und wenn Sie etwas besser machen und die gemeinsamen Wurzeln von Christentum und Sozialismus würdigen wollen, adoptieren Sie doch für ein paar Stunden eine einsame (queere) Person und zelebrieren Sie das wirkliche Beisammensein statt der domestizierten Ekstase.

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