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Frosts Rücktritt lässt Johnson bibbern
Nach dem Abgang seines Brexit-Ministers fürchtet der britische Premier um Rückhalt in der eigenen Partei
Aller schlechten Dinge sind drei, muss sich der britische Premier Boris Johnson gedacht haben. Erstens musste der Brexiter Owen Paterson wegen einer Korruptionsaffäre und Johnsons eigener Ungeschicklichkeit aufgeben, die dann fällige Nachwahl hat der Premier, zweitens, krachend an die Liberaldemokraten verloren. Und drittens erschüttert der Rücktritt des von ihm eigens ausgesuchten und geadelten Lord David Frost als Brexit-Minister nun die Position des bisher unantastbaren Chefs.
Dem Ex-Minister passte laut dessen schon Montag zugestellten Rücktrittsschreiben die ganze Fahrtrichtung der konservativen Regierung nicht mehr. Steuererhöhungen und wirtschaftsschädliche Covid-Restriktionen bildeten angeblich den Hintergrund für den Weggang des ehemaligen Ministerialbeamten, obwohl Frost lieber seine bleibende Treue zum Premier und die »Sicherung der Brexit-Entscheidung« hervorhebt. Auf Dauer sollte Britannien ein von wenig Regulierungen behindertes Niedrigsteuerland werden - was es jetzt schon ist, aber für den stockkonservativen Brexiter Frost noch nicht genug.
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Kurz, dem Ex-Minister war Johnson zu lasch und nicht rechts genug. Das war an der Amtsführung Frosts gegenüber den EU-Partnern zu spüren: Unversöhnlich waren seine Auftritte in der umstrittenen Frage des Nordirland-Protokolls, bei dem das vom Premier unterschriebene Dokument, ein gültiger Teil des Brexit-Vertrages, schleunigst neu verhandelt werden sollte. Auch die Rolle des EU-Gerichtshofs sollte laut Johnson und dem Megafon-Diplomaten Frost angeblich aus dem EU-Vertrag verschwinden. Offenbar ist aber zumindest der Premier in der Zwischenzeit zur Einsicht gekommen, dass diese harte Linie mit den Partnern nicht durchzusetzen war. Er ließ seinen Minister in den letzten Wochen zurückpfeifen und einen konstruktiveren Ton gegenüber dem EU-Unterhändler Maroš Šefčovič einschlagen. Das passte Frost wiederum nicht und stellte wohl den wirklichen Grund des sofortigen Rücktritts dar.
Selbstverständlich bedauerte Johnson den Verlust seines Helfers, aber wohl vor allem aus Angst um die eigene Stellung. Johnson hat nie gezögert, Freunde über Bord zu werfen. »Ein katastrophaler Schlag für die Regierung«, meint der unversöhnliche Brexiter und Tory-Hinterbänkler Andrew Bridgen.
Solche Probleme hätte das langjährige Glückskind Johnson noch im Oktober lachend weggesteckt. Aber inzwischen kamen Schlagzeilen über Partys in seinem Amtssitz zur Zeit des Lockdowns im Dezember 2020. Zu dieser Zeit musste jedoch die Bevölkerung wegen Covid zu Hause bleiben und durfte sich nicht einmal von sterbenden Familienangehörigen verabschieden. Die Korruptionsaffäre um den Abgeordneten Owen Paterson, einen Ex-Minister und Brexit-Freund, sowie der im Unterhaus gescheiterte Versuch des Premiers, Paterson zu retten, taten ein Übriges: Der kompromittierte Abgeordnete musste den Hut nehmen. Am Donnerstag ging die Nachwahl in Patersons ländlichem mittelenglischen Wahlkreis Nord-Shropshire, seit 200 Jahren in konservativen Händen, katastrophal aus, die Liberaldemokratin Helen Morgan gewann haushoch.
Nicht nur Bridgen, auch eine Reihe anderer Tory-Hinterbänkler beschuldigen Johnson plötzlich des Versagens im Amt. Und Johnson fehlt eine ihm treue Hausmacht in den Tory-Reihen sowie eigene Grundsätze: Als Journalist beim »Daily Telegraph« hat er vor der eigenen Festlegung zwei Kolumnen geschrieben, eine für den Brexit, die andere dagegen, und im eigenen Karriereinteresse Erstere drucken lassen. Die Tories lieben ihn nicht, akzeptierten ihn höchstens als Wahlgewinner - zunächst in London, dann im ganzen Land. Unschlagbar sieht Johnson aber nicht mehr aus. Und das Wahlvolk murrt wegen Preis- und Steuererhöhungen und Fehler in der Pandemie nicht nur in Shropshire.
Die Tory-Kollegen zahlen es Johnson jetzt heim. Der rechte Routinier Sir Roger Gale hat schon in einem offiziellen Brief an den einflussreichen Sir Graham Brady, Chef des »1922-Ausschusses« von konservativen Hinterbänklern, Johnson zum Rücktritt aufgefordert. Die Drohung ist für Johnson gefährlich: Wenn insgesamt 54 konservative Abgeordnete den Premier zum Rücktritt auffordern, muss sich Johnson einer zweiten Wahl in der Fraktion stellen und riskiert damit, nicht nur als Vorsitzender, sondern gleichzeitig als Premier in die Wüste geschickt zu werden. Der Mann, der als Kind Weltkönig werden wollte, kann sehr bald schon stürzen.
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