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Fußball als Fassade
Wie Katar den Arab Cup und die WM 2022 als politisches Mittel einsetzt
Tausende Menschen strömten auf die Straßen und Plätze von Doha. Sie trugen Flaggen, schmückten ihre Autos mit den Nationalfarben und bewunderten die Manöver von Militärflugzeugen über der Stadt. Jedes Jahr am 18. Dezember begehen die Katarer ihren Nationalfeiertag, der an das Jahr 1878 erinnert. In der offiziellen Geschichtsschreibung übernahm Jassim bin Mohammed Al Thani die Macht und führte das Land zur nationalen Einheit.
In diesem Jahr war der 18. Dezember auch aus einem anderen Grund von Bedeutung. In al-Chaur, einer Küstenstadt im Norden Katars, gewann Algerien das Finale des Arab Cups gegen Tunesien mit 2:0. Fast drei Wochen hatte das Turnier gedauert - ein Testwettbewerb für die Weltmeisterschaft 2022, die in einem Jahr ebenfalls in al-Chaur beginnen soll. Das dortige al-Bayt-Stadion ist den traditionellen Zelten früherer Nomaden nachempfunden.
Mehr als 420 Millionen Menschen leben in den 22 Staaten der arabischen Welt, von Mauretanien im Nordwesten Afrikas bis zum Oman in Vorderasien. Ihre Dialekte, ihre politischen Systeme, ihre Ausprägungen des Islam sind unterschiedlich. Etliche Staaten stehen sich feindselig gegenüber. Eine der wenigen Leidenschaften, die sie eint, ist Fußball. Hassan Al Thawadi, Generalsekretär des Organisationskomitees des kommenden Weltturniers, versprach nach dem Arab Cup erneut eine WM für die ganze Region: »Es wird die größte Veranstaltung sein, die jemals im Nahen Osten und in der arabischen Welt stattgefunden hat. Wir sind überzeugt, dass die Weltmeisterschaft ein positives soziales, wirtschaftliches und kulturelles Vermächtnis für unser Land und unsere Region hinterlassen wird.«
Doch hinter der Fassade der freundlichen Worte drängen sich auch andere Eindrücke auf. Katar möchte sich als Vermittler in internationalen Krisen etablieren. Der Fußball soll dafür eine emotionale Kulisse liefern, das wurde schon bei der Eröffnungsfeier des Arab Cups Ende November deutlich. Auf der Ehrentribüne saßen hochrangige Politiker wie Michel Aoun, Präsident des Libanon, oder Mahmud Abbas, Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde. Videos verwiesen auf den kulturellen Reichtum der arabischen Welt, aber auch auf die Ernüchterung darüber, dass viele Intellektuelle für ihre Erfolge in den Westen ziehen mussten. »Wir werden in unsere Nachbarschaft zurückkehren«, sang die libanesische Musikikone Fairuz. Gianni Infantino, Präsident des Fußballweltverbandes Fifa, trug seine kurze Rede auf Arabisch vor. Neben ihm saß der Emir und klatschte.
In Deutschland, Großbritannien oder Skandinavien wird mit Blick auf Katar vor allem über Menschenrechtsverletzungen diskutiert. Im Nahen und Mittleren Osten gilt das kleine Emirat hingegen als außenpolitisches Schwergewicht mit großen Budgets. Der Bürgerkrieg in Syrien, die Spannungen in Libyen, die Rivalität zwischen Iran und Saudi-Arabien: Katar übernimmt in vielen Streitfragen eine vermittelnde Rolle. Zuletzt bei der Evakuierung Zehntausender Afghanen aus Kabul. »Im Westen ist der Blick auf die arabische Welt oft von Vorurteilen geprägt«, sagt die ehemalige katarische Fußballerin Fatima Al Ghanim, die für das Doha Film Institute arbeitet. »Durch die WM können wir unsere Geschichten für ein großes Publikum endlich selbst erzählen.«
Sätze wie diese hört man häufig von katarischen Entscheidungsträgern, doch sie lassen sich nicht von politischen Bedingungen trennen. Katar gibt sich gern neutral, doch schon während des Arabischen Frühlings ab 2011 bezog es klare Positionen: für die Muslimbruderschaft in Ägypten, für islamische Kräfte in Tunesien, für die Rebellen in Libyen gegen Muammar al-Gaddafi und in Syrien gegen Baschar al-Assad. In der Nachbarschaft am Golf wuchs das Misstrauen. 2017 verhängten Saudi-Arabien und einige Partner eine Blockade gegen Katar. Riad stellte Lebensmittelexporte nach Doha ein, durch die Unterbrechung wichtiger Reisewege wurden Familien am Golf getrennt.
Mit der Pandemie änderte sich die Lage. Der ohnehin niedrige Ölpreis brach ein, ausländische Investitionen gingen in allen Golfstaaten zurück, Touristen blieben fern. Anfang Januar beendete Saudi-Arabien nach dreieinhalb Jahren die Blockade. »Es ist ein fragiler Frieden«, sagt der Nahost-Experte Kristian Ulrichsen, der ein Buch über die Golfkrise geschrieben hat. »Die Golfstaaten haben eingesehen, dass sie in dieser schwierigen Zeit auf eine Zusammenarbeit angewiesen sind.« Auch Riad, Dubai und Bahrain wollen von der WM 2022 profitieren. Wenn schon nicht mit Turnierspielen, dann mit Trainingscamps, Sponsorenevents oder der Beherbergung von Fans. Während des Arab Cups besuchte der saudi-arabische Kronprinz Mohammed bin Salman erstmals nach der Blockade wieder Doha.
Saudi-Arabien steht kurz vor der WM-Qualifikation, das Gleiche gilt für den Iran auf der anderen Seite des Persischen Golfs. Zwischen den Erzrivalen liegt Katar auf einer kleinen Halbinsel. »Während der WM könnten sich Tausende Menschen aus Saudi-Arabien und dem Iran erstmals begegnen«, sagt der Politikwissenschaftler Danyel Reiche von der Georgetown University in Doha. »Und sie könnten merken, dass sie mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede haben.« Katar teilt sich mit dem Iran das weltweit größte Erdgasfeld. Bereits im November brachte Teheran die Insel Kisch vor der iranischen Küste als WM-Herberge für Fans und Teams ins Gespräch. Noch immer leidet Teheran unter scharfen US-Sanktionen. Kann die WM zu einer Annäherung beitragen?
Während des Arab Cups setzte die Fifa auch die Fortbildung der lokalen Sicherheitsordner fort. Es ging dabei um politische Symbolik in der arabischen Welt. Flaggen oder Schriftzüge, die auf syrische Rebellen, den Anspruch auf eine kurdische Nation oder das Leid der indigenen Berber in Nordafrika hinweisen, sind in Stadien unerwünscht. Katar erwartet auch Tausende Fans mit arabischen Wurzeln aus europäischen Diaspora-Gemeinden. Allein in Deutschland leben 1,5 Millionen Menschen mit arabischem Migrationshintergrund.
Bei einem anderen Thema ist die Prävention komplizierter. Ende November bezeichnete die ägyptische Fußballikone Mohamed Aboutrika als Kommentator des katarischen Sportsenders BeIN Sports Homosexualität als »gefährliche Ideologie«, die mit dem Islam nicht vereinbar sei. Westliche Medien kritisierten die Aussagen, woraufhin sich in sozialen Netzwerken Zehntausende Menschen mit Aboutrika solidarisierten. Auf einer Pressekonferenz während des Arab Cups zitierte der jordanische Teamkapitän Mahmoud Al Mardi einen Koranvers und unterstützte Aboutrika. In Katar müssen Homosexuelle mit Verfolgung rechnen.
Auch das Finale des Arab Cups zwischen Algerien und Tunesien hatte eine politische Note. Madjid Bougherra, Trainer des algerischen Nationalteams, widmete den Turniersieg dem »palästinensischem Volk«, vor allem den Menschen im Gazastreifen. Es könnte ein Vorgeschmack auf politische Botschaften rund um die WM sein, die im November kommenden Jahres angepfiffen wird.
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