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Keine Koalition kann im permanenten Konfliktmodus agieren

Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) über die Fortsetzung des Mitte-links-Bündnisses und seine Rolle als »alter Hase« im Senat

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 8 Min.

Im neuen Mitte-links-Senat sind kaum noch Regierungsmitglieder aus der vorherigen Koalition. Sie sind so etwas wie eine Konstante. Hat das eine Bedeutung für Sie, dass Sie an etwas anknüpfen?

Es ist eine verrückte Situation für mich, weil ich jetzt plötzlich zu den alten Hasen gehöre. Daran muss ich mich erst mal gewöhnen. Aber natürlich ist es gerade in dieser Situation - wir sind mit neuen Herausforderungen mit Blick auf die Corona-Pandemie beschäftigt - gut, dass es Konstanten gibt. Als Senat müssen wir jetzt sofort sehr, sehr intensiv arbeiten. Da schaden fünf Jahre Regierungserfahrung nicht.

Interview

Klaus Lederer ist Europa- und Kultursenator sowie Vizesenatschef in der rot-grün-roten Koalition in Berlin. Der 1974 in Schwerin geborene und in Frankfurt (Oder) und Berlin aufgewachsene Linke-Politiker tritt seine zweite Legislaturperiode als Senator an. Lederer ist neben Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) der einzige Senator, der nach der vergangenen Legislatur weiter ein Regierungsamt bekleidet. Im Gespräch mit »nd« erläutert Lederer, welche Erwartungen er an die Neuauflage eines Mitte-links-Bündnisses in Berlin hat, welche Schwerpunkte er sieht und wie die Linke in Regierungsverantwortung verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen will. Über seine Ziele, die Koalition und parteiinterne Konflikte sprach mit ihm Martin Kröger.

Angesichts der neuen Pandemiewelle dürften Sie als Vizesenatschef und Krisenmanager wieder gefordert sein?

Dieses rot-grün-rote Bündnis wird nur erfolgreich funktionieren, wenn es eine Vertrauensebene unter den Spitzen gibt. Es wird darauf ankommen, Konflikte frühzeitig zu identifizieren. Auch, sich darum zu bemühen, solche Konflikte zu klären. Denn keine Koalition kann im permanenten Krisen- und Konfliktmodus agieren. Ich bin gerne bereit, diese Herausforderung anzunehmen.

Selbst in Ihrer eigenen Partei wird davon gesprochen, dass eine »Konfliktkoalition«, drohe. Wie wollen Sie diesen Konflikten begegnen, wie kann man das frühzeitig abräumen? Wenn SPD, Grüne und Linke - auch im Rückblick auf die vergangenen fünf Jahre - gemeinsam erfolgreich sein wollen, müssen sie sich gegenseitig auch Erfolge gönnen können.

Auch 2016 waren die Grünen, die Linken und die Sozialdemokraten nicht in Bezug auf alle Themen deckungsgleich. Man sollte das rückwirkend nicht verklären. Ich erinnere nur an die intensive Auseinandersetzung um den Mietendeckel, das war nichts, wo von Anfang an absolute Übereinstimmung, totaler Konsens herrschte. Dennoch haben wir es hinbekommen, damit vernünftig umzugehen. Das erwarte ich auch in den kommenden fünf Jahren. Ich sehe eine Chance darin, dass dieser Senat mit vielen neuen Gesichtern startet, weil man unbefangen von den vergangenen fünf Jahren eine neue Form der Zusammenarbeit suchen kann. Ich freue mich auf mögliche neue Allianzen.

Wen haben Sie da im Blick?

Ich weiß beispielsweise, dass dem neuen Wirtschaftssenator Stephan Schwarz (parteilos, für SPD, Anm. d. Red.) die Integration von geflüchteten Menschen in den Arbeitsmarkt immer ein wichtiges Anliegen war.

Wenn Die Linke erfolgreich sein will, muss sie auch in den eigenen Ressorts glänzen, Sie beispielsweise im Kulturbereich. Wie wollen Sie das hinbekommen? Als kleinster Koalitionspartner drohen Sie in den Hintergrund zu geraten.

Es ist unsere Aufgabe, in unseren Ressorts profilbildend zu wirken. Dafür sind die Voraussetzungen gut. Katja Kipping ist eine exzellente Sozialpolitikerin, mit Lena Kreck wird auch das Ressort Justiz und Antidiskriminierung mit Sicherheit hervorragend bearbeitet werden. Darüber hinaus ist es so, dass kein Koalitionspartner ohne den anderen kann. Die Frage, ob es gelingt, miteinander im Wissen um die unterschiedlichen Kräfteverhältnisse am Ende aber auch Gemeinsames zu entwickeln - die ist doch das eigentlich Interessante.

Rot-Rot-Grün hatte in der Vergangenheit bereits einige Krisen zu meistern. Und die Zustimmungswerte gingen in den Keller.

Keine Koalition kommt ohne Konflikte aus. Aber der dauerhafte Krisenmodus, der wird uns nichts nützen, der würde uns eher schwächen. Und der würde vor allem dazu führen, dass wir mit nicht viel mehr befasst sind als mit uns selbst. Eine linke Partei hat nur dann einen Gebrauchswert, wenn sie dran ist an den Problemen der Leute. Wir sind die Partei, die sich in dieser Stadt um Armutsbekämpfung am konsequentesten kümmert. Wir sind die Partei, die die Menschen, die aus Bürgerkriegsgebieten hierhergekommen sind, willkommen heißt. Wir sind die Partei, die versucht, Kultur für alle, gesellschaftliche Teilhabe generell, für alle zu sichern. Und das ist unser Alleinstellungsmerkmal. Unsere Aufgabe wird es sein, das in den nächsten fünf Jahren stark zum Ausdruck zu bringen, deutlich zu machen und vor allem mit den Ergebnissen zu überzeugen.

Das heißt, das Sozialressort ist jetzt Ihr Kernressort des neuen Senats?

Sozialpolitik und Arbeitsmarktpolitik waren immer absolute Kernthemen der Linken. Das wird so bleiben. In einer Stadt wie Berlin kann man sich mit diesem Ressort nicht nur Respekt erwerben, sondern tatsächlich viele Projekte voranbringen. Das hat uns Elke Breitenbach als ehemalige Senatorin ins Stammbuch geschrieben.

Das Thema Integration ist der Linken so wichtig gewesen, dass man es nicht gegen Gesundheit eintauschen wollte. Wenn man sich jetzt die personelle Aufstellung der Linken, erst recht die des Senats, anschaut, dann sind da vergleichsweise wenige beziehungsweise gar keine Menschen, die Migrationserfahrungen vorzuweisen haben. Angesichts des hohen Bevölkerungsanteils von Migrantinnen und Migranten in Berlin: Wieso ist das so?

Wenn wir uns den Gesamtsenat anschauen, also auch mit den Staatssekretärinnen und Staatssekretären, da sieht das Ganze schon anders aus. Menschen mit Migrationserfahrungen sind auch in unserer Fraktion vertreten. Man sieht, in den vergangenen Jahren ist einiges passiert. Auch im Kulturbereich habe ich in den vergangenen fünf Jahren erste Weichen für mehr Diversität gestellt - und das werden wir fortsetzen.

Sind Sie eigentlich persönlich froh, das Ressort Stadtentwicklung los zu sein? Angesichts der Bodenpreise und hoher Baukosten dürften die rot-grün-roten Neubauziele zu hoch gegriffen sein, da kann man als politischer Verantwortlicher nur verlieren, oder?

Soll man froh sein, wenn man nicht in problematische Auseinandersetzungen gehen muss? Wenn man sich um Konflikte herumdrücken kann, wenn man es leicht hat, wenn man nur von der Seitenlinie kommentiert? Das ist die Logik dessen. Das war nie meine Herangehensweise, wird es auch nie sein. Natürlich finde ich es schade, dass wir die Stadtentwicklungsverwaltung an die SPD abgeben mussten. Es ist uns dennoch gelungen, mit dem Mietenkataster, mit der Weiterentwicklung des kooperativen Bauland-Modells und dem Mietendeckel für die landeseigenen Wohnungsunternehmen linke Kernthemen einer sozialen Wohnungs- und Mietenpolitik im Koalitionsvertrag unterzubringen. Jetzt muss es um die konkrete Umsetzung gehen. Wir haben drei wichtige Ressorts, in denen wir Verantwortung für unsere Stadt übernehmen. Auch der Justizbereich wird profilbildend werden.

Wie kann man sich linke Justizpolitik vorstellen?

Da gibt es ganz viele Aspekte. Insbesondere in Verbindung mit dem Themenkomplex Antidiskriminierung. Bürgerrechtspolitik hat bei uns im Berliner Landesverband immer eine wichtige Rolle gespielt. Es geht um bürgerrechtskonforme Repressionspolitik in einem demokratischen Staat. Es geht um einen zeitgemäßen humanen Strafvollzug, den Verzicht auf Ersatzfreiheitsstrafen, die Entkriminalisierung von Armutsdelikten bis hin aber auch zur Frage: Wie können Gerichte, wie können Staatsanwaltschaften so organisiert und aufgestellt werden, dass jede Bürgerin und jeder Bürger in Raum und Zeit zu ihrem und seinem Recht kommt? Auch die Justizgewährung des Staates ist vor allem aus der Perspektive derjenigen, die einen kleinen Geldbeutel haben, ein ganz wichtiges Thema.

Spielt die Besetzung der Senatsjustizverwaltung eine Rolle für die Arbeit der geplanten Expert*innenkommission, die zur Umsetzung des erfolgreichen Volksentscheids Deutsche Wohnen & Co enteignen eingesetzt werden soll? Wie bewerten Sie das?

Das Justizressort prüft sämtliches Senatshandeln im Vorhinein auf Rechtmäßigkeit. Das heißt, was im Senat verhandelt wird, geht immer über den Tisch der Justizsenatorin. Bevor der Artikel 15 Grundgesetz erfolgreich angewandt werden kann, sind wichtige Rechtsfragen zu klären. Insofern ist es nicht ganz unwichtig, dass das Justizressort bei der Linken liegt. Trotzdem bleibt es dabei, dass die SPD sehr klar gesagt hat, dass sie bei den Konsequenzen aus diesem Volksentscheid nicht mitgehen möchte. Die Grünen haben eine eher ambivalente Position, und die Oppositionsparteien halten das gänzlich für sozialistisches Teufelszeug. Um den Volksentscheid zu verwirklichen, braucht es weiter starkes Engagement aus der Zivilgesellschaft. Das ist kein Selbstläufer.

Ist das eine Art Sollbruchstelle der Koalition? Ist in einem Jahr dann Schluss?

Ich will jetzt nicht darüber spekulieren, was in einem Jahr sein wird. Wir haben in der Koalition vereinbart, dass wir gründlich und ernsthaft prüfen, wie sich der Volksentscheid umsetzen lässt. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass es hier einen möglichst produktiven Prozess gibt.

Sie haben ja in der Partei gerade intensive interne Debatten hinter sich. Wie bewerten Sie den Ausgang des Mitgliederentscheids der Linken?

Das Ergebnis war eindeutig. Es war eine Dreiviertelmehrheit für eine Regierungsbeteiligung. Das ist ein starkes Mandat. Der Auftrag lautet, dass wir es als Senat, Fraktion und Partei jetzt schaffen müssen, klug miteinander für die Umsetzung der Themen zu arbeiten, die wir im Koalitionsvertrag unterbringen konnten. Das gilt auch für Themen der SPD und Grünen.

Kurze Nachfrage: Gehen Sie auf die internen Kritikerinnen und Kritiker noch einmal zu?

Wir haben intensiv diskutiert, und einige Kritikpunkte kann ich nachvollziehen. Ich stelle aber auch fest, dass wir Parteimitglieder haben, denen ist jede Koalitionsvereinbarung zu wenig. Diese Debatte führen wir seit 25 Jahren in der Partei. Ich stelle fest: Das ist eine gänzlich andere Herangehensweise an linke Politik in der Gegenwart und im hiesigen Parteiensystem als meine. Wir waren als Partei immer stark, wenn wir über unsere Differenzen gestritten, die Ergebnisse solcher Streitprozesse dann aber auch akzeptiert und gemeinsam kraftvoll vertreten haben.

Wie geht es 2022 weiter? Welche Hoffnungen verknüpfen Sie mit der Neuauflage von Rot-Grün-Rot?

Als Erstes müssen wir die neue Covid-Welle brechen. Damit müssen wir sofort beginnen. Im Januar wird sich der Senat gleich zu einer Klausur zusammenfinden, um über ein 100-Tage-Programm und die Richtlinien der Regierungspolitik zu beraten. Wir haben uns mit diesem Koalitionsvertrag so viel Arbeit auf den Zettel genommen - wir haben keine Zeit zu verlieren und werden gleich mit Beginn des nächsten Jahres alle voll durchstarten.

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