Gegen den Flächenfraß

Der Umwelt-Schmähpreis geht in diesem Jahr an die ostfriesische Stadt Emden

  • Haidy Damm
  • Lesedauer: 4 Min.

Ostfriesland, Stadt Emden, Stadtteil Conrebbersweg. Hier sollen sich nach dem Willen der Stadtverwaltung in den kommenden Jahren junge Familien ein Eigenheim bauen. Der Bebauungsplan steht, ab Januar 2022 sollen die Grundstücke zum Kauf angeboten werden. Sozusagen in letzter Minute will der Naturschutzbund (Nabu) das verhindern. Denn die Bebauung geht nach Ansicht der Umweltschützer*innen zu Lasten der letzten Feuchtwiesen in der Region. »Wir hoffen sehr, dass die Stadt ihre Pläne durch die Auszeichnung als ›Dinosaurier des Jahres‹ doch noch einmal überdenkt«, sagte Jan Schürings, Leiter der Nabu-Regionalgeschäftsstelle Ostfriesland anlässlich der Verleihung am Montag.

»Auf der Fläche finden sich zahlreiche stark gefährdete Pflanzen- und Vogelarten, darunter Wiesenpieper, Feldschwirl und Kiebitz«, so Schürings. Auf dem artenreichen Grünland siedelten 14 gefährdete Pflanzenarten. 56 Brutvogelarten und 27 Rastvogelarten seien dort zu finden. Mehr als zwei Drittel des 75 Hektar großen Gebietes sollen durch die geplante Bebauung versiegelt werden - 90 Prozent seien geschützte Biotope. Feuchtwiesen, die als CO2-Senken besonders wichtig seien, müssten durch die Neubauten entwässert werden. Zudem liege die Fläche einen Meter unter dem Meeresspiegel. Angesichts der zunehmenden Starkwetterereignisse drohten damit auf den dann versiegelten Flächen Überschwemmungen. Der Nabu argumentiert außerdem, dass Emden eine seit vielen Jahren stagnierende Bevölkerungsentwicklung habe. Die Einwohnerzahl sei zuletzt knapp unter 50 000 gefallen.

Spaß und Verantwortung

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Die Stadt Emden sieht dennoch - oder gerade wegen der sinkenden Einwohnerzahl - Bedarf. Die Nachfrage nach den Baugrundstücken sei groß. Auch sei es besser, innerhalb des Autobahnringes zu bauen, um stadtnahes Wohnen und Arbeiten zu ermöglichen. Zudem sollen in dem Modellprojekt Klimaaspekte berücksichtigt werden, etwa die Versorgung mit Wind- und Sonnenergie und Heizungen ohne fossile Brennstoffe. »Wir sehen das komplett anders als der Nabu«, sagte ein Stadtsprecher der Nachrichtenagentur dpa.

Für Nabu-Präsident Jörg-Andreas Kröger sind Neubaugebiete für Einfamilienhäuser generell »Wohlstandsverbrauch«. Gleichzeitig nämlich gebe es Leerstand im Innenstadtbereich und Einfamilienhäuser seien oftmals von verwitweten Einzelpersonen bewohnt, wo früher ganze Familien zu Hause waren. »Hier brauchen wir einen Kulturwandel in den Kommunen.« Das für viele junge Familien erstrebenswerte Einfamilienhaus sei nicht mehr zeitgemäß. Das gelte nicht nur für Emden. »Wir verleihen den Preis stellvertretend für die grassierende Bodenversiegelung in ganz Deutschland. Denn Emden ist überall«, so Kröger. Denn in fast jeder Kommune der Bundesrepublik seien aktuell Flächenversiegelungen geplant, rund 50 Hektar bundesweit pro Tag. »Diese Entwicklung lässt sich nicht unendlich fortsetzen. Deshalb fordern wir von der Bundesregierung eine stärkere Priorisierung der Flächennutzung und eine Reduktion des Flächenverbrauchs auf netto Null bis 2030.«

Die Bundesregierung wollte den Flächenfraß in Deutschland bis 2020 auf 30 Hektar pro Tag reduzieren. Dieses Ziel wurde Anfang 2018 um zehn Jahre nach hinten verschoben. Erst im Jahr 2050 wird im Klimaschutzplan der Bundesregierung nun das Ziel eines »Netto Null«-Flächenverbrauchs angepeilt. Bis dahin würden, nach diesen Plänen von heute bis zu 260 000 Hektar zusätzliche Flächen versiegelt - das entspricht umgerechnet der Größe des Saarlands.

Baulandmobilisierung in den Außenbereichen von Ortschaften bedeute aber weitere Flächenversiegelung. Zwar werden dabei oft Ausgleichsmaßnahmen vorgesehen, die den Verlust an Biodiversität kompensieren sollen. Ein qualitativer Ausgleich der zerstörten Flächen wird jedoch nur selten und wenn, dann erst nach vielen Jahren erreicht, so der Nabu. Die Ampel-Koalition hat im Koalitionsvertrag angekündigt, das Baugesetzbuch dahin gehend überprüfen zu wollen, unter anderem soll der umstrittene §13b gestrichen werden, der die Außenbebauung vereinfacht.

Im vergangenen Jahr wurde der Schmähpreis an die Hafenautobahn A26 in Hamburg verliehen. Bis 2020 wurden Politiker*innen oder Manager*innen ausgewählt, seitdem geht es um Bauprojekte. Ob es in Emden gelingt, die Bebauung noch zu verhindern, ist eher fraglich. Seit zehn Jahren streitet die Stadt über die Pläne, alle bisherigen Einwände haben das Projekt nicht verhindert.

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