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Nahost-Konflikt am Ostkreuz
Clubs mussten 2021 viel wegstecken, im »About Blank« kam noch mehr dazu
»Ich bin bis in meine Knochen gegen Antisemitismus«, sagt Partyveranstalter Danilo Rosato zu »nd«. Gleichzeitig sehe er jedoch »einen mächtigen faschistischen Staat, der palästinensische Menschen unterdrückt«. Und: »Nur der deutschen Linken fällt es derart schwer, dieses Leid zu benennen.« Für Rosato und sein Kollektiv Buttons war das Grund genug, mit dem über Berlin hinaus bekannten linken Club »About Blank« zu brechen. Bekannt auch für seine israelsolidarische Haltung.
Bis zum Juni dieses Jahres hatten die Buttons-Veranstalter*innen regelmäßig Partys für queere Menschen in dem Club am Ostkreuz in Friedrichshain veranstaltet. Dann war Schluss. In einer Stellungnahme erklärte die Gruppe rund um Rosato das Ende der Zusammenarbeit und sorgte dami für Diskussion in der linken Berliner Partycommunity, weit über das »About Blank« hinaus. Während man in Bezug auf Antinationalismus, Antikapitalismus und Antifaschismus kompatible Standpunkte mit dem »About Blank« geteilt habe, lehne man dessen »antideutsche« Ansichten ab, so die Partyveranstalter*innen. Weiter heißt es, der Club würde in Bezug auf Palästina reflexartig alle Aktionen des israelischen Staates befürworten. So sehr man auch versucht habe, ein Gegengewicht zu schaffen, müsse man nun erkennen, wer diesen Veranstaltungsort und all die anderen Berliner Clubs wirklich kontrolliere: »weiße Deutsche«.
Danilo Rosato ergänzt: »Wenn sich das ›About Blank‹ mit den Uiguren in China solidarisiert, dann ist allen klar, dass sich dies selbstverständlich nicht gegen die chinesische Bevölkerung richtet. Auch scheut man sich nicht, Spenden für Rojava zu sammeln. Warum also fällt es so schwer, sich mit Palästinenser*innen zu solidarisieren?« Gegen Antisemitismus zu sein, sei für ihn, der aus der radikalen Linken Italiens kommt, eine Selbstverständlichkeit. Daher wehre er sich auch gegen den Vorwurf, mit Entscheidungen wie der des Buttons-Kollektivs würde man die Szene spalten. Seiner Meinung nach tue das die deutsche Linke jedoch schon selbst. Die Abspaltung ist in seinen Augen die einzige Waffe, die queere Migrant*innen in dieser »weiß-deutsch geprägten Clubkultur« haben.
Es ist nicht der erste Eklat dieser Art. Schon im September 2018 war es im »About Blank« zu einem Bruch mit einem Partykollektiv gekommen. Damals war es der Club, der kurzfristig mit einer Partyreihe brach, weil die Veranstalter*innen eine Solidaritätsbekundung zu der internationalen israelfeindlichen Boykottkampagne »Boycott, Divestment and Sanctions« (BDS) für nötig hielten. BDS ist eine politische Kampagne, die darauf abzielt, den Staat Israel sowohl wirtschaftlich als auch politisch und kulturell zu isolieren. Eine Handlungsanweisung, die gerade in einem deutschen Kontext durchaus unschöne Assoziationen zur Parole »Kauft nicht bei Juden« aus den 30er Jahren weckt. Die Situation von geflüchteten Palästinenser*innen in umliegenden Staaten im Nahen Osten wird von der Kampagne nicht thematisiert und fokussiert sich einzig und allein auf das Feindbild Israel.
»Ich unterstütze definitiv nicht alle Haltungen und Akteur*innen innerhalb der BDS-Bewegung«, sagt Rosato. »Dennoch ist es die einzige Option, die uns hilft, diese Konversation am Laufen zu halten. Viele finden BDS zu extrem. Doch ich frage mich: Was gibt es extremeres als eine unterdrückte Bevölkerung?« Die Entscheidung, sich so abrupt von dem Kollektiv zu trennen, würde das »About Blank« heute nach eigenen Angaben nicht mehr so treffen. Trotz inhaltlich gleich gebliebener Position.
Der Israel-Palästina-Konflikt ist und bleibt ein Feld mit großer Sprengkraft, an dem sich die deutsche Linke seit Jahrzehnten zerreibt. Wie viele Zerwürfnisse auf diesem Konflikt fußen, ist nicht zu überblicken. In der Nahost-Frage wollen sich alle positionieren und sich stets auf der richtigen Seite wähnen. Ob die Buttons-Partys nun im »About Blank« stattfinden oder in einem anderen Club, ändere jedoch »nichts an dem Leben der Menschen in Gaza«, sagte die Journalistin und Autorin Hengameh Yaghoobifarah unlängst auf einer Veranstaltung zum Thema »Clubkultur und der Israel-Palästina-Konflikt« im »About Blank«. Und hat damit die omnipräsente Frage aufgeworfen: Wem nützt es eigentlich, wenn progressive Bündnisse ständig an der Antisemitismus-Frage zerbrechen? Auch die Clubmacher*innen wollten mit der Veranstaltung »einen Prozess eröffnen, um der Spaltung von emanzipatorischen Bewegungen entgegenzuwirken«.
2018 war es nicht nur im »About Blank«, sondern auch im Zuge des Berliner Festivals Pop-Kultur zu einem vergleichbaren Konflikt gekommen. Damals hatte die britische Band Shopping ihren Auftritt überraschend abgesagt und dies damit begründet, dass drei israelische Künstler*innen, die auf dem Festival auftreten sollten, finanziell durch die israelische Botschaft in Berlin unterstützt werden sollten - mit einer Unterkunfts- und Reisekostenbeteiligung in Höhe von 1200 Euro. Weitere Künstler*innen zogen im Anschluss ebenfalls ihre Teilnahme zurück.
Auch im »About Blank« kam es nach dem Rückzug des Buttons-Kollektivs zu weiteren Absagen von DJs, wodurch Veranstaltungen kurzfristig umgeplant werden mussten. In einer Mitteilung bedauerte der Club die Eskalation des Konflikts und betonte, dass dies das Gegenteil dessen sei, was sie mit ihrer Arbeit beabsichtigten. Knapp heißt es hierin zur generellen Linie des Clubs: »Der ›Nahostkonflikt‹ kann nicht auf dem Dancefloor gelöst werden.« Dies sei schon immer die Haltung des Clubs gewesen. Man verstehe sich als ein Ort, an dem verschiedene, teils widersprüchliche Meinungen aufeinandertreffen, wobei man sich in vielen Themen nicht einig sei, auch nicht in Bezug auf die israelische und palästinensische Politik.
Einig sei man sich dafür aber in Folgendem: »Es gibt in diesem Konflikt, unter dem Palästinenser*innen ebenso wie Israelis massiv leiden, so viele verschiedene Perspektiven, Erlebniswelten und persönliche Hintergründe, dass wir es für falsch halten, darin eindeutig Partei zu ergreifen.« Dennoch sei klare Kante vor allem auch gegen antiisraelischen Antisemitismus wichtig. Diesem liege oft ein vereinfachtes Weltbild zugrunde, das einer simplen »Unterdrücker-Unterdrückte-Logik« folge. »Inhaltliche Kritik und Auseinandersetzung werden abgewehrt und nicht selten als ›Silencing‹ vermeintlich progressiver jüdischer und palästinensischer Stimmen diskreditiert«, heißt es weiter in der Stellungnahme des Clubs.
Zugleich würde das Leid der palästinensischen Bevölkerung, das von der Hamas oder der Fatah ausgehe, oft verharmlost oder ganz totgeschwiegen, ebenso die Situation der Palästinenser*innen in anderen Ländern des Nahen Ostens. »Gewalt von palästinensischen Akteur*innen, etwa im Kontext der Intifada, wird als revolutionärer, antikolonialer Widerstand verklärt, wobei Morde und Attentate dethematisiert werden.« Die Generalkritik dahinter: Im postkolonialen Diskurs werde Antisemitismus häufig zu einer Subkategorie des Rassismus verklärt, wodurch man Gefahr laufe, dessen spezifischen Weltverschwörungs-Charakter und die Singularität der Shoah aus den Augen zu verlieren.
Letztlich bleibt es ein Konflikt, so komplex, emotional und vielschichtig, dass er eine klare Positionierung kaum zulässt. In Zeiten, in denen politische Diskurse häufig in den Kommentarspalten sozialer Medien ausgetragen werden und ein jeder und eine jede versucht, die eigene Meinung in eindrucksvollen Sätzen kurz und knapp auf den Punkt zu bringen, ist das mitunter schwer zu schlucken.
Hengameh Yaghoobifarah vergleicht die Stimmung in den sozialen Medien während der Auseinandersetzungen in Gaza im Mai dieses Jahres mit der eines Fußballstadions. »Alle wollten entweder auf der einen oder der anderen Seite stehen. Leute haben von mir verlangt, mich zu positionieren, man durfte nicht schweigen«, so Yaghoobifarah. Sie fragt: »Warum müssen unbedingt Leute etwas zu Sachen sagen, von denen sie keine Ahnung haben? Das Teilen von Info-Kärtchen mit Fake-News ändert nichts daran, wie viele Bomben irgendwo landen. Sie ändern aber vor unser eigenen Haustür etwas. Die Folgen betreffen Menschen hier ganz direkt.«
Ist es aber auch möglich, Rassismus und Antisemitismus als die eigenständigen, strukturellen Machtverhältnisse zu begreifen, die sie sind, und sich ihnen vehement entgegenzustellen? Genauso wie es möglich ist, eine gleichermaßen solidarische Haltung gegenüber palästinensischen wie israelischen Betroffenen einzunehmen? Klar scheint: Der Versuch, den Nahost-Konflikt mit Schwarz-Weiß-Mustern analysieren zu wollen, wird der Komplexität der Situation nicht annähernd gerecht. Stattdessen könnte die linke Clubkultur mit Sicherheit etwas weniger Parolen vertragen - und dafür mehr Tanzen.
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