- Kultur
- Anselm Kiefer und Paul Celan
Alles Schwere schwebt
Von der verbrannten Erde zur astralen Arche - in Paris treffen sich Anselm Kiefer und Paul Celan
Steine, Sand, Erde und immer wieder Asche - mit diesen bewährten Motiven hat der 1920 in Czernowitz geborene, jüdische Schriftsteller Paul Celan, vielleicht der wichtigste Nachkriegsdichter im deutschsprachigen Raum, seine Gedichte geradezu vernetzt. Obwohl in ihnen nichts so unbarmherzig wirkt wie die Einsamkeit, werden sie in diesen Elementen zusammengehalten. Mehr noch: Sie haben ihren Schöpfer, der im Holocaust seine Eltern verlor, getragen, Halt geboten - bis zu seinem Suizid in der Pariser Seine 1970. Wohl auch deshalb mag sich der für seine großen Leinwandzuschnitte prominente Künstler Anselm Kiefer gedacht haben, dass ein überdimensionales »Arsenal« mit Materialien ein geeigneter Spiegel für das Werk dieses Dichters sein könne. Mit gigantischen Regalen und unzähligen, mit diversen Stoffen und Dingen befüllten Schubfächern bildet es den Abschluss einer imposanten Ausstellung derzeit in der französischen Hauptstadt, in der der Maler einen intensiven Dialog mit dem Autor eingeht.
Schon der Ort, im unweit von Eiffelturm und Invalidendom gelegenen Grand Palais Éphémère, bietet einen der dichterischen Weite von Celans Kompositionen mehr als passenden Raum. In dem an eine Flughalle erinnernden Gebäude trifft man auf verschiedene, jeweils mehrere Meter hohe Bildkonstruktionen, die mit unterschiedlichen Materialen, darunter Öl, Acryl, Metall sowie Elementen aus der Natur, collagiert sind. Neben eher vagen Konturen von Landschaften finden sich darauf Gedichte des Büchner-Preisträgers. Was alle Exponate auf den ersten Blick eint, ist ihre offensichtliche Dunkelheit, insbesondere des Horizonts, der sich zumeist mit einer deutlich auszumachenden Linie von der irdischen Landschaft absetzt. Somit wird allen voran der erste Eindruck bestätigt, den man beim Lesen von Celans Poemen gewinnt: Hier schreibt einer aus tiefer Finsternis her, einer, der in seinen als »hermetisch«, also verschlüsselt geltenden Miniaturen nicht mehr klar zwischen dem Dies- und Jenseits unterscheidet, weil der Tod längst alles Sichtbare überschattet. Wo ein Jahrhundert der Kriege nur Blutlachen hinterließ, vernimmt man das Nichts - oder eben die Stimme der Opfer, der Ermordeten, die ihrer Erlösung harren und noch zu den Hinterbliebenen sprechen. Oft erinnern daher auch die Felder in Kiefers Hommagen an den Lyriker an Winterlandschaften, bedeckt mit Schnee oder beklemmend schimmernder Asche.
Doch in Celans Entwürfen primär Friedhöfe und Ausprägungen der Depression auszumachen, griffe zu kurz. Denn immerzu spielen sie ebenso mit Motiven der Hoffnung. So etwa in dem Poem »Das einzige Licht« aus dem Band »Der Sand aus den Urnen« (1948). Hierin ist von einer Fahrt auf unruhigem Gewässer die Rede. Während auf das lyrische Ich Kähne mit den »Lampen des Schreckens« zusteuern, die möglicherweise auf die Suchtrupps der Nazis hinweisen könnten, befindet sich dessen Haus auf »finsterer Welle«. Assoziiert wird es mit einer »Arche«, mit deren Hilfe das Subjekt letztlich einen Baum erreichen kann.
So wie Celan positive Wörter wie Licht mit Sehnsucht aufruft und zugleich negativ umkonnotiert, um die vernichtende Sprach- und Kunstpolitik Hitlers und Goebbels zu demaskieren, so uneindeutig bleibt wiederum Kiefers Umsetzung des Textes. Einerseits sehen wir im unteren Teil der Leinwand einen havarierten Tanker, andererseits schwebt weit über dem zu erahnenden Ozean ein weiteres, offenbar noch unbeschädigtes Schiff. Zeichnet sich darin doch so etwas wie ein metaphysischer Rest ab? Eine göttliche Präsenz? Mithin ein Zuversicht stiftendes Momentum weit über der planetaren Verwüstung?
Zumindest deutet der 1945 in Donaueschingen geborene Künstler diese Überlegungen in mehreren Ausstellungsstücken an. Auf den Werken »Irrenäpfe« oder »An die Haltlosigkeit« schimmert über den Szenerien beispielsweise ein geradezu explosiv anmutendes Gestirn. Ob es für den nahenden Untergang oder eben ein erhofftes Leuchten in der Ferne steht, lässt sich nicht zweifelsfrei bestimmen. Kiefer hält Celan in der Ambivalenz und gibt ihm damit ein Podium bar jedweder Vereinnahmung.
Gewiss ist jedoch bei fast allen Realisierungen im Grand Palais Éphémère die stringente Blickführung nach oben. Besonders versinnbildlicht wird sie in den auf verschiedenen Exponaten vorzufindenden vergoldeten Farnen. Auf häufig weißem Grund sprießen sie gen Himmel und widerstreben der buchstäblichen Schwerkraft der Welt. Und so begegnet man hier auch Versen aus dem Gedicht »Les Globes«, ursprünglich abgedruckt in dem Band »Die Niemandsrose« von 1963: »Alles, / das Schwerste noch, war / flügge, nichts / hielt zurück.« Dass man zu Beginn der Miniatur den Imperativ »lies da« vernimmt, hat wohl seinen Grund. Erst in der Lektüre und dem vorangegangenen Schreibakt lassen sich die Dinge aus den Angeln heben. Erst im Prozess der Verarbeitung ergibt sich die Möglichkeit, die Existenz neu zu sehen und sie zu verwandeln. Was zuvor noch immobil und leblos schien, wird in der poetischen Über- und Umformung leicht.
Vielleicht besteht genau darin eine der Hauptaussagen der Ausstellung. Ohne glücklicherweise Celans Gedichte ihrer Geheimnisse und arkanen Tiefeebenen zu berauben, stellt Kiefer deren emanzipatorisches Potenzial heraus. Zweifelsohne geben die Zeugnisse des jüdischen Schriftstellers eine inwendige Sprachkrise zu erkennen, erweisen sie sich doch als Dokumente einer Epoche, in der die Worte eines einstigen Landes der Dichter und Denker verbrannt und entstellt wurden.
Allerdings hat der Lyriker auch eine neue Weise ästhetischen Schreibens entwickelt, das sich eben allen Konventionen von Grammatik und direkter Verstehbarkeit, man könnte auch sagen: einer Ordnung, entzog. Und so zeigt uns Kiefer in seiner Celan-Würdigung vor allem eines: die geradezu transzendente, nie zu vernichtende Macht der Poesie.
»Anselm Kiefer - Pour Paul Celan«, im Grand Palais Éphémère, Paris, bis 11. Januar.
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