- Politik
- Prozess in Paris
Ausländer im Visier
Immer mehr Anzeichen für rechtsextremen Terrorismus in Frankreich
Der Name und das Logo, die sechs rechtsextreme Terroristen, die kürzlich in Paris vor Gericht standen, ihrer Gruppe gegeben hatten, sprechen für sich. OAS stand Anfang der 1960er-Jahre für Organisation de l‘armée secrète (Organisation der geheimen Armee), einer Untergrundmiliz von Offizieren, die mit Anschlägen gegen prominente Algerier und französische Politiker bis hin zu Präsident Charles de Gaulle die Entwicklung in Richtung Unabhängigkeit Algeriens aufzuhalten versuchten. Mehr als 2000 Tote gingen auf ihr Konto. Bei ihren aktuellen Nachahmern steht OAS für Organisation de l‘armée sociale (Organisation der sozialen Armee). In ihrem Fadenkreuz befinden sich nicht nur Algerier, sondern alle Ausländer, sowie Franzosen, die sie verteidigen und für ein friedliches Zusammenleben eintreten.
Die Anklage lautete auf »Bildung einer kriminell-terroristischen Vereinigung«, die »Hass- und Terrorlosungen« verbreitet sowie die Mitglieder »körperlich, psychologisch und materiell auf einen rassistischen Bürgerkrieg vorbereitet«. Durch Terroranschläge auf Muslime, Araber und Afrikaner sowie auf deren Restaurants, Läden oder Moscheen wollten sie diese Bevölkerungsgruppen verunsichern und ihre Flucht aus Frankreich provozieren.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Auf der »Abschussliste« der OAS standen auch Politiker wie der seinerzeitige Regierungssprecher und spätere Innenminister Christophe Castaner oder Jean-Luc Mélenchon, der Gründer der linken Bewegung La France insoumise (LFI). Bei den Angeklagten handelte es sich um weiße Franzosen aus ärmlichen Verhältnissen im Alter zwischen 20 und 30. Der OAS-Anführer Logan Nisin fiel schon mit 13 durch Bewunderung für den Nazismus auf und war mit 16 Mitglied einer nationalistischen Jugendorganisation, die ihm aber bald nicht mehr radikal genug war. Als Reaktion auf die islamistischen Terrorakte von 2015 gründete er seine eigene Gruppe, wobei er sich ideologisch an der griechischen Neonazipartei Goldene Morgenröte orientierte und »Aktionen« plante wie die des norwegischen Massenmörders Anders Behring Breivik im Juli 2011.
Noch bevor die OAS-Terroristen zur Tat schreiten konnten, flogen sie 2017 auf und wurden verhaftet. Das Gericht hat jetzt Nisin zu neun Jahren Gefängnis und die weiteren Mitglieder zu Haftstrafen zwischen zwei und achr Jahren verurteilt. Nach Verbüßung ihrer Strafe werden sie im »Register S« als Terrorverdächtige geführt und beobachtet. Bei den gegenwärtig etwa 2000 bis 3000 Personen in diesem Register handelt es sich fast ausschließlich um Islamisten. Dabei dürfte es nicht bleiben. Im Zusammenhang mit dem OAS-Prozess, der erste dieser Art seit 2017, wurde bekannt, dass fünf weitere Verfahren gegen rechte Terrorgruppierungen in Vorbereitung sind. Einige sollen schwerwiegender sein als der Fall der eher dilettantischen OAS.
Besonders spektakulär war die Ende Oktober bekannt gewordene »Operation Azur«, ein von Malaysia aus durch den Rechtsextremisten Rémy Daillet gesteuerter Versuch eines Staatsstreichs mit Sturm auf das Elysée. Daillet wurde inzwischen nach Frankreich ausgeliefert, wo bereits 14 seiner Mittäter in Haft sind. Ende November wurden eine andere Gruppierung ausgehoben und 13 ihrer Mitglieder, darunter zwei Militärs, verhaftet und mehr als 50 Waffen sichergestellt. Diese Organisation hatte sich das Ziel gesetzt, Frankreich wieder militärisch stark und zu einem Kolonialreich zu machen.
Immer häufiger melden die Behörden, dass individuelle rechte Terroristen - »einsame Wölfe« - identifiziert und verhaftet sowie ihre geplanten Anschläge gegen Personen oder Institutionen vereitelt werden konnten. Ende November entdeckte die Gendarmerie im Haus eines 25-Jährigen 130 Waffen, darunter Sturmgewehre und Maschinenpistolen.
Äußerst brutal gehen eine Anzahl von Schlägerbanden vor wie beispielsweise die Zouaves Paris. Sie gerieten ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit, als Anfang Dezember der rechtsextreme Eric Zemmour sein Auftaktmeeting im Präsidentschaftswahlkampf abhielt. Bei der TV-Übertragung sah man, wie am Rande der Veranstaltung friedliche Gegendemonstranten von Zouaves zusammengeschlagen wurden. Das Innenministerium erwägt jetzt, die Zouaves Paris aufzulösen, aber dies ist in den zurückliegenden Jahren schon mehrfach erfolgt, und jedes Mal ist die Gruppierung unter einem neuen Namen wiedererstanden.
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