Feiern mit angezogener Handbremse

Berliner Polizei wird zum Jahreswechsel mit einem Großaufgebot im Einsatz sein

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 4 Min.
Viel Spaß beim Knallen? In fast 60 ausgewiesenen öffentlichen Bereichen der Hauptstadt drohen hierfür bis zu 1000 Euro Bußgeld.
Viel Spaß beim Knallen? In fast 60 ausgewiesenen öffentlichen Bereichen der Hauptstadt drohen hierfür bis zu 1000 Euro Bußgeld.

Tanzverbot, Böllerverkaufsverbot, Feuerwerks- und Ansammlungsverbot in berlinweit fast 60 öffentlichen Zonen sowie Kontaktbeschränkungen im privaten Raum: Die Feiern zu Silvester in der Hauptstadt werden auch in diesem Jahr wieder nur mit angezogener Handbremse möglich sein. Begründet werden die Einschränkungen dabei unisono mit der Pandemie und der Sorge vor der Ausbreitung der neuen Omikron-Virusvariante.

Böller- und Ansammlungsverbotszonen

Der Senat hat für den Jahreswechsel 2021/2022 berlinweit wieder insgesamt 56 öffentliche Bereiche ausgewiesen, in denen es bis einschließlich 1. Januar verboten ist, Feuerwerk und andere pyrotechnische Gegenstände wie Böller zu zünden. Ausgenommen hiervon sind behördlich angezeigte und genehmigte professionelle Feuerwerke.

In den Verbotszonen, die ganze Straßenzüge, etliche kleinere und größere Plätze und Grünanlagen umfassen, gilt in dieser Zeit zudem ein Ansammlungsverbot. Gestattet ist lediglich die »Durchquerung« der Orte sowie ein »Aufenthalt in Notfällen« oder in Fällen nicht genau definierten »besonderen Bedarfs«. Auch obdachlose Menschen sind von dem Ansammlungsverbot ausdrücklich ausgenommen.

Wer gegen die Silvester-Regelungen in den Verbotszonen verstößt, dem drohen Bußgelder zwischen 500 und 1000 Euro.

Die genaue Liste mit den betreffenden 56 öffentlichen Bereichen findet sich in Anlage 2 der aktuell gültigen Infektionsschutzverordnung, online unter: www.berlin.de/corona/massnahmen/verordnung/artikel.1161252.php. rru

So hatte Berlins Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) etwa die für den 31. Dezember und 1. Januar verhängten Ansammlungsverbote insbesondere damit begründet, »dass man eine Gefährdung durch Böllern, durch Zusammenkommen, durch Unfälle auch verhindert, um das Gesundheitssystem zu entlasten«. Auch sei es nun einmal so, dass dort, wo viele Menschen zusammenkommen und feiern, das Ansteckungsrisiko sehr hoch sei. »Und das ist bei dieser neuen Omikron-Variante noch viel, viel höher als zuvor«, so Gote im RBB-Inforadio.

Ähnlich hatte am Dienstag das Verwaltungsgericht Berlin argumentiert, als es in zwei Eilverfahren das Tanzverbot in Clubs und Diskotheken bestätigte. Hier hieß es, »Tanzlustbarkeiten begründeten aufgrund verschiedener Faktoren eine besonders hohe Ansteckungsgefahr durch Aerosolübertragung«. Den Einwand, dass durch das Verbot »das Tanzen verstärkt in den Privatbereich verlagert werde«, wollte das Gericht nicht gelten lassen. Schließlich unterlägen »solche privaten Zusammenkünfte ihrerseits strengen Regeln, insbesondere einer Begrenzung auf günstigstenfalls zehn Personen«. Sofern man sich denn an die besagten Kontaktbeschränkungen im privaten Bereich hält. Was dann wiederum wer überwacht?

Fest steht: Die Polizei stellt sich für die Silvesternacht auf einen Großeinsatz ein, wobei am Mittwoch die genaue Zahl der zum Dienst beorderten Kräfte noch unter Verschluss gehalten wurde. »Wir werden aber genau wie in den Vorjahren die Zahl der Einsatzkräfte deutlich steigern, um dafür zu sorgen, dass die Maßgaben aus der Infektionsschutzverordnung eingehalten werden«, sagte Polizeisprecherin Anja Dierschke zu »nd«. Im vergangenen Jahr waren nach Polizeiangaben 2900 zusätzliche Kräfte im Einsatz. Vereinzelte Randale ließ sich auch mit diesem Großaufgebot nicht verhindern. Am Ende der Nacht zählte die Polizei sieben leicht verletzte Beamte und rund 700 Festnahmen.

Bei Einsätzen gegen ausufernde Privatpartys werde man sich wie im Vorjahr unter anderem »auf Hinweise aus der Bevölkerung« verlassen, bei der Überwachung der insgesamt 56 Böller- und Ansammlungsverbotszonen werde man versuchen, mit Augenmaß vorzugehen, so Dierschke: »Wir wissen, dass die Information, welche öffentlichen Bereiche betroffen sind, nicht jeden erreichen. Von daher werden wir natürlich die Menschen kleinschrittig auf etwaige Verstöße ansprechen.«

Weniger »kleinschrittig« dürfte die Polizei auf die in den sozialen Medien mehr oder weniger subtil angekündigte Randale in Nordneukölln reagieren. Seit Dienstagabend kursiert jedenfalls ein mit Knall-Emoticons versehener Aufruf einer antifaschistischen Gruppe, sich ab 22 Uhr am Kottbusser Damm, Ecke Sanderstraße - und damit in einer der betreffenden Verbotszonen - zu treffen. In der Silvesternacht des vergangenen Jahres waren im gleichen Bereich aus einer bis zu 80-köpfigen Personengruppe heraus Molotowcocktails in Richtung Polizei geworfen worden. In dem aktuellen Aufruf wird auf die Räumung des Köpi-Wagenplatzes im Oktober und mit »Tag X, Runde 2« auf die sich damals anschließenden Krawalle angespielt. Polizeisprecherin Dierschke sagte, man habe das im Blick. »Wir betrachten genau, was in den sozialen Medien passiert.«

Präsent sein will die Polizei zudem bei mehreren Demonstrationen, die für den 31. Dezember angemeldet sind. Darunter fällt die mit 100 Teilnehmenden angemeldete traditionelle Berliner »Knastdemo«, die in diesem Jahr ab 23 Uhr von der Kreuzung Frankfurter Allee, Möllendorffstraße zur Frauenjustizvollzugsanstalt an der Alfredstraße durch Lichtenberg führen soll und unter dem Motto »Gegen die Knastgesellschaft - Gegen das System« steht.

Darunter fallen aber auch und vor allem mehrere verschwörungsideologische und rechte Veranstaltungen, etwa ein mit 35 Fahrzeugen angemeldeter Autokorso, der am Freitagnachmittag auf seiner Route vom Kino »International« in Mitte zum Sendegebäudes des RBB in Charlottenburg-Wilmersdorf mehrere Medienhäuser abklappern will. Bereits für Donnerstag ist ein weiterer Autokorso angekündigt. »Die Gruppen haben sich im Streit um Details schon mehrfach gespalten, sie bleiben aber ganz klar dem verschwörungsideologischen Spektrum verhaftet, codierter Antisemitismus inklusive«, sagt Ulf Balmer von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin zu »nd«.

Letztlich, so Balmer weiter, müsse man in Berlin insgesamt aber von einer »im Vergleich zum bundesweiten Protestgeschehen« geringen Mobilisierung sprechen. Gefährlich bleiben freilich auch diese Strukturen.

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