Nur zum Schach-Star taugt er nicht

Nodirbek Abdusattorow krönt sich zum jüngsten Schnellschach-Weltmeister

Nodirbek Abdusattorow bezwang in Warschau die komplette Weltelite, einschließlich Titelverteidiger Magnus Carlsen.
Nodirbek Abdusattorow bezwang in Warschau die komplette Weltelite, einschließlich Titelverteidiger Magnus Carlsen.

Als Superstar Magnus Carlsen Mitte Dezember in Dubai zum vierten Mal seinen Weltmeistertitel im klassischen Schach verteidigt hatte, schockte er die Beobachter mit der Ankündigung, beim nächsten Duell wohl nur anzutreten, wenn sein Gegner das neue Supertalent Alireza Firouzja sei. Nur der aus dem Iran stammende Franzose inspiriere und reize ihn derzeit. Seit Dienstagabend ist wohl ein zweiter Name auf der kurzen Kandidatenliste des Norwegers aufgetaucht: Nodirbek Abdusattorow. Mit 17 Jahren ist er sogar noch ein Jahr jünger als Firouzja. Im Gegensatz zu ihm darf sich Abdusattorow aber schon jetzt Weltmeister nennen, denn sensationell gewann der Usbeke in Warschau die WM im Schnellschach.

Niemand kann behaupten, dass er dabei von der Abwesenheit vieler Großmeister profitiert habe. Ganz im Gegenteil: Zum ersten Mal seit Pandemiebeginn schafften es die polnischen Organisatoren, ein Turnier auf die Beine zu stellen, zu dem so gut wie alle Favoriten angereist kamen. Und Abdusattorow bezwang die Allerbesten von ihnen. In der zehnten von 13 Runden holte er Carlsen vom Thron, als er dem Norweger im Endspiel die Dame klaute. Die Führung verteidigte der junge Usbeke danach, obwohl er in allen drei folgenden Partien immer wieder in schlechte Stellungen geraten war.

Schließlich standen Abdusattorow, Carlsen, der Russe Jan Nepomniaschtschi und der US-Amerikaner Fabiano Caruana mit je 9,5 Punkten an der Spitze. Die letzten beiden hatte Carlsen in den klassischen WM-Duellen 2018 und 2021 bezwungen. Und Caruana hatte nun wie Carlsen ebenfalls schon gegen Abdusattorow verloren. Nur gegen den Russen war der Usbeke noch nicht ans Brett gegangen. Das änderte sich, als aufgrund einer umstrittenen Regel des Weltverbands Fide nur diese beiden um Gold antreten durften. Darüber hatte die Buchholz-Wertung entschieden, die im Grunde besagt, dass Abdusattorow und Nepomniaschtschi stärkere Gegner als die anderen zu bezwingen hatten, um auf 9,5 Punkte zu kommen.

»Das ist eine komplett idiotische Regel«, echauffierte sich Carlsen ohne Erfolg - seine Amtszeit als Dreifachweltmeister im klassischen, Schnell- und Blitzschach war zu Ende. Stattdessen begann die Ära des 17-jährigen Usbeken. »Die Regeln habe ich ja nicht gemacht. Ich hatte nur Glück, dass ich das Stechen erreicht habe«, kommentierte Abdusattorow kühl. Und dort holte er dann in zwei Blitzpartien gegen den favorisierten Russen ein Remis und einen Sieg. Die Entscheidung war gefallen.

Wer glaubte, der Teenager würde nun jubelnd umherspringen, der hatte sich getäuscht. Wie schon in den 15 Partien zuvor verzog Abdusattorow keine Miene. Er zog sich das schwarze Jacket über und eilte aus dem Saal. »Das beste Gefühl des Tages war, als ich wusste, dass ich keine Partie mehr spielen musste«, beschrieb er eine halbe Stunde später seinen Gemütszustand. »Ich bin ziemlich müde. Aber zur Erholung bleibt keine Zeit. Morgen beginnt ja schon die Blitz-WM«, fügte er noch stoisch hinzu.

Zum unterhaltsamen Star wie Carlsen taugt er also bislang nicht. Sein Selbstvertrauen ist aber ebenso groß: »Nach meinen letzten beiden Turniersiegen in Spanien hatte ich schon erwartet, dass ich hier gewinnen kann«, sagte Abdusattorow - obwohl er erst in Polen auf die großen Stars treffen sollte.

Auch sein Spiel wird nun gern mit dem Carlsens verglichen. Der deutsche Großmeister Jan Gustafsson, der seit Langem zum Trainingsteam des Norwegers zählt, sagte im Livestream: »Besonders in den Endspielen ist Nodirbek technisch sehr stark. Seine Verteidigung war extrem einfallsreich. Dazu ist er auch noch unglaublich schnell.« Eigenschaften, die immer wieder angeführt werden, um zu erklären, warum Carlsen seit einem Jahrzehnt die Schachwelt dominiert. Diesmal aber stand Abdusattorow ganz oben.

Dass der junge Usbeke auch menschlich ist, zeigte sich ausgerechnet in der entscheidenden finalen Blitzpartie, in der er gleich mehrfach Siegchancen ausließ. »Ich hatte das Gefühl, dass ich irgendwo ein einfaches Matt verpasst habe, aber ich hatte nun mal auch nur noch ein paar Sekunden Bedenkzeit. Da übersieht man so etwas schon mal.« Am Ende musste Nepomniaschtschi unter dem ständigen Druck des 17-Jährigen trotzdem aufgeben. Dennoch werden die kleinen Schwächen der Konkurrenz Mut machen, im Blitzturnier, das schon an diesem Donnerstag endet, den aufstrebenden Star aus Usbekistan schnell wieder einfangen zu können.

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