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Mit der Mehrheit gegen ihr Privileg
HEISSE ZEITEN - Die Klimakolumne: Klimagerechtigkeit im Kapitalismus? Eigentlich unmöglich. Was tun?
Weihnachten inszeniert das Drama der viel zitierten »imperialen Lebensweise«: Der - wenn auch sehr ungleich - in den bebaumten Wohnzimmern der Republik verteilte Wohlstand basiert auf einer weltweit extrem ungleichen Aneignung von Ressourcen. An den Grenzen, die ihn verteidigen, sterben auch in diesen Tagen zahllose Menschen. Nie wollen Deutsche weniger davon hören als beim Geschenkeauspacken. Die Bewegung für globale Klimagerechtigkeit erinnert das jährlich an die Unmöglichkeit ihrer Mission.
Klimagerechtigkeitspolitik kann in Deutschland eigentlich nicht funktionieren. Ökonomisch bietet sie in diesem System keine Win-win-Option. Globale Klimagerechtigkeit, während die Wirtschaft hier weiter schnurrt, ist nicht drin. Die bevorzugten Klimalösungen basieren darauf, dass »wir« uns mehr Ressourcen aus aller Welt aneignen, als es die durchschnittliche Weltbewohnerin rechnerisch könnte. Damit enden wir entweder auf einer klimatologisch widersinnigen grünen Insel in einer fossilen Welt - oder »die Anderen« müssen fürs Klima (weiter) materiell verzichten. Von ihnen, oft erste Betroffene der Klimakrise, schotten wir uns ab.
Lasse Thiele arbeitet im Konzeptwerk Neue Ökonomie am Thema Klimagerechtigkeit.
Klimagerechtigkeit verlangt hierzulande eine historisch beispiellose (Selbst)Deprivilegierung der Mehrheit - politisch scheint das hoffnungslos. Sie teilt insofern das Schicksal aller internationalistischen und antikolonialen Bewegungen, mit zusätzlichem biophysischen Zeitdruck. Auch die Alterglobalisierungsbewegung wurde hier »nur« in ihrem Widerstand gegen neoliberale Deregulierungs- und Privatisierungsorgien vor Ort wirksam, kaum in ihrem globalen Gerechtigkeitsanspruch.
Natürlich wäre globale Klimagerechtigkeit möglich. Doch dazu müssten ein völlig anderes Verständnis vom guten Leben und ein dazu passendes Wirtschaftssystem her - ein ebenso hypothetischer wie alternativloser Ausweg.
Die aktuelle Militanzdebatte in der Klimabewegung ist nicht zuletzt Ausdruck dieser Verzweiflung: In ihrem radikalen Anspruch muss sich die Bewegung gegen die Lebensweise der Mehrheitsgesellschaft richten, kann ihr nicht gefallen wollen, die SUVs und das Grillgut nicht geduldig weglächeln. Und doch könnte keine sich außerhalb der Gesellschaft stellende Avantgarde, sondern nur eine Massenbewegung die gesamte gesellschaftliche Lebens- und Produktionsweise solidarisch umkrempeln. Nur kann die sich schwer aus den unmittelbaren Interessen deutscher Arbeiter*innen motivieren. Und als spontaner Ausdruck globaler Solidarität bleibt sie selbst nach einer Überdosis Weihrauch schwer vorstellbar.
Die Bewegung müsste diese Widersprüche nicht nur »aushalten«, sondern schnellstens den Kreis quadrieren. Denkbar ist das nur im Zusammenspiel pragmatischer und radikaler, also Mehrheiten bauender und konfrontativer Ansätze. Durch das kurzfristige Erkämpfen stärkeren Klimaschutzes ließen sich angesichts drohender Kipppunkte im Klimasystem zumindest Spielräume erweitern für eine längerfristige Transformation in Richtung Klimagerechtigkeit. Die persönliche Klimabetroffenheit ist in Deutschland noch nicht politisch ausgeschöpft. Das hieße auch, mit Belegschaften für den ökologischen Umbau ihrer Betriebe zu kämpfen, selbst wenn für Klimagerechtigkeit nicht jeder Industriearbeitsplatz in »grün« erhalten bleiben dürfte. Eine Arbeitszeitverkürzung wäre ein Brückenschlag zur tieferen Transformation.
Sicher wäre dieser grüne Wohlstand immer noch ein global-ökologisch ungerechter. Die radikale Klimagerechtigkeitsbewegung muss mit unbequemen Aktionen ein Stachel im Fleisch bleiben. Zentral wird ihre Unterstützung für antikoloniale und antirassistische Bewegungen sein, die gegen Rohstoffextraktivismus und für offene Grenzen kämpfen. Hier von Rassismus betroffenen Gruppen fällt eine Schlüsselrolle zu. Sie geben erneuerte Impulse zur überfälligen Deprivilegierung der Mehrheitsgesellschaft. Grenzen werden immer noch eine Klimagerechtigkeitsfrage sein, wenn Kinder den Verbrenner nur noch aus dem Museum kennen.
Reale Widersprüche verlangen also bisweilen parallele, scheinbar widersprüchliche Strategien. Auch 2022 wird es dabei nicht so schnell gehen, wie es müsste. Wichtig bleibt, uns nicht selbst zu überfordern: Unmögliche Missionen brauchen leider Zeit.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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