Das Asylrecht wird an die Wand gestellt

Für Schutzsuchende ist es kaum noch möglich, legal in die EU zu gelangen

  • Cornelia Ernst
  • Lesedauer: 3 Min.

Um es klar zu sagen: Es geht beim Asylrecht schon lange nicht mehr nur um Geflüchtete, sondern um unser Zusammenleben in Europa. Um offene Gesellschaften oder geschlossene Zonen, um die Frage, für wen Demokratie gilt und für wen nicht. Das nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene individuelle Asylrecht, Sinnbild für den Fortschritt hiesiger Demokratien, ist zum Abschuss freigegeben, es existiert nur noch auf dem Papier.

Als ich 2009 Europaabgeordnete wurde, fuhr ich in das Kosovo, um dort Roma zu treffen, die bis zu 17 Jahre in Deutschland gelebt hatten. Weil Kosovo jedoch ad hoc zum »sicheren Drittstaat« erklärt wurde, schob man sie ab. Ins Nichts. 2011 brachen mit dem Arabischen Frühling die Verträge Italiens, Spaniens, Griechenlands mit nordafrikanischen Staaten, die schon damals die Drecksarbeit leisteten, damit möglichst wenige Geflüchtete europäische Gewässer erreichen. Als sich Menschen auf Booten nach Europa wagten, Tausende von ihnen ertranken, vergoss die damalige EU-Migrationskommissarin Malmström Tränen an den Gräbern toter Kinder in Lampedusa. Das war 2013. Doch geändert hatte sich nichts. Erst 2016 legte die Kommission einen Migrationspakt vor, der aber so asylfeindlich war, dass er vom Europaparlament 2017 durch einen Alternativvorschlag mit Zweidrittelmehrheit ersetzt wurde. Der Rat, tief zerstritten, verhinderte jedoch jede Verhandlung dazu.

Cornelia Ernst
Die Europaabgeordnete (Linke) ist unter anderem Mitglied im Innenausschuss des EU-Parlaments.

Im Jahr 2020 legte die neue EU-Kommission ein noch schlechteres Gesetzespaket vor, erstmals ohne ein verbindliches Verfahren zur Aufnahme Geflüchteter. »Migrationsströme begrenzen«, heißt es da – »schöner« kann man es nicht sagen, wenn im Mittelmeer Menschen sterben, griechische Menschenjäger Geflüchtete vor türkischen Gewässern aussetzen. Und die Türkei, die seit 2020 sich nicht mehr an den EU-Türkei-Deal hält, diese Menschen wieder nach Griechenland zurückschiebt, wo sie dann monatelang in polizeilichen »Affenkäfigen« gehalten werden. »Migrationsströme begrenzen« – das kann man aber offenbar auch, indem griechische Grenzbeamte im Beisein von Frontex-Beamten Geflüchtete zwingen, sich nackt auszuziehen. Mittlerweile gibt es kaum eine Grausamkeit, die nicht an Geflüchteten ausprobiert wird. In Kroatien hetzen Grenzbeamte Hunde auf sie, rauben ihnen Gelder, Wasserflaschen und Kleidung, in Zypern vegetieren sie dahin in der Pufferzone, in Polens geschlossener Zone sterben Menschen an Unterkühlung und fehlender Versorgung, nicht mal ein würdevolles Begräbnis bleibt für sie. Am Grenzzaun Ceuta werden Geflüchtete zusammengeschlagen und es interessiert niemanden, dass Tausende Kinder verschwunden sind … es sind ja nicht unsere.

Ich habe seit 2009 zahlreiche Flüchtlingslager dieser Welt gesehen, nie war das Ausmaß an Elend so groß wie heute. Und es ist kein Ende dieser Situation in Sicht. Am 3. Dezember vergangenen Jahres beschlossen Rat und Kommission der EU »Emercency Measures« für Polen, Litauen und Lettland –- am Europaparlament vorbei. Dieser Beschluss leitete eine neue Etappe zur »Migrationsabwehr« ein, weil er die Aussetzung des Asylrechtes ermöglicht und Pushbacks legitimiert. Damit beugt sich die Kommission den rechtspopulistischen Regierungen und verletzt selbst Völkerrecht und EU-Verträge, deren Einhaltung sie aber zu überwachen hat. Das Asylrecht ist an die Wand gestellt, man überlässt es den Diktatoren dieser Welt zum guten Preis. Dazu passt die Äußerung von EU-Ratspräsident Michels, die EU müsse künftig auch Grenzzäune zur Migrationsabwehr finanzieren. Nicht zuletzt schlug die Kommission am 14. Dezember neue Vorschriften zur sogenannten Governance des Schengen-Raums vor. Dabei geht es um verstärkte Kontrollen an den Binnengrenzen zur »Verhinderung unerlaubter Reisebewegungen im Schengen-Raum«. Die Mitgliedstaaten sollen bestehende bilaterale Rückübernahmeabkommen zur Migrationsabwehr überarbeiten oder schließen und Notverfahren für das Rückkehrmanagement entwickeln können. Damit werden EU-Regularien zum Asylrecht ausgehebelt.

Es wird Zeit zu begreifen, dass es bei den Einschränkungen des Asylrechts wirklich um uns alle geht, um den Kern der Demokratie. Verteidigen wir das Asylrecht – um unserer selbst willen!

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!