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Schneckentempo im Gericht
Sechs Jahre nach einem Angriff von Rechten in Leipzig ist noch immer jeder vierte Täter ohne Urteil
Am 11. Januar 2026 wird sich der »Sturm auf Connewitz«, ein Überfall von Nazis auf den Leipziger Stadtteil, zum zehnten Mal jähren. Die Frage lautet, ob bis dahin alle 218 Beteiligten vor Gericht gestanden haben. Sicher ist das nicht. Sechs Jahre nach der Aktion sind jetzt erst drei Viertel der Täter rechtskräftig verurteilt. Das geht aus der Antwort des sächsischen Justizministeriums auf eine Anfrage der Leipziger Landtagsabgeordneten Jule Nagel (Linke) hervor. Vor einem Jahr lag die Quote bei 70 Prozent. Die Initiative »Prozess 1101« hatte damals befürchtet, es werde noch das gesamte Jahr 2021 dauern, bis alle Verfahren beendet seien. Selbst diese Annahme erwies sich als zu optimistisch.
Bei der Aktion war eine vermummte Meute randalierend durch den Stadtteil gezogen und hatte mit Stangen, Stöcken und Äxten Scheiben von 25 Wohnungen, Kneipen, Läden und Bars zerschlagen, 18 Autos demoliert und Bengalos gezündet. In einem Prozess sprach eine Staatsanwältin später von einer »Spur der Verwüstung«. Der materielle Schaden der Zerstörung wurde auf 113 000 Euro beziffert.
Den Angreifern ging es aber nicht um bloße Sachbeschädigung. Vielmehr handelte es sich um eine massive Drohgebärde gegen die im Stadtteil traditionell starke linke Szene. Wie spätere Recherchen zeigten, verabredeten sich dazu Mitglieder von Kameradschaften, NPD-Funktionäre, Hooligans, Anhänger der verbotenen Gruppe »Blood & Honour« und Kampfsportler. Sie stammten aus Leipzig und Umgebung, Dresden und anderen Bundesländern. Als Termin für den Überfall wurde offenbar gezielt der Tag gewählt, an dem viele Connewitzer in der Leipziger Innenstadt gegen die Kundgebung zum ersten Jahrestag der islamfeindlichen Bewegung Legida protestierten.
Die Polizei setzte an dem Abend 218 Randalierer fest. Es dauerte freilich zweieinhalb Jahre, bis die ersten von diesen vor Gericht standen. Den Angeklagten wird in der Regel schwerer Landfriedensbruch zur Last gelegt. Die Verhandlungen finden mit je zwei Beteiligten meist am Amtsgericht Leipzig statt, bei jüngeren Tätern auch in Grimma, Eilenburg und Torgau. Bis zum Oktober 2021 waren 163 Urteile rechtskräftig, wie aus der Antwort des Justizministeriums hervorgeht. Das waren 39 mehr als ein Jahr zuvor. Fünf Angeklagte hätten Rechtsmittel eingelegt. Zudem fanden seit Oktober einige wenige weitere Verhandlungen statt.
Die Auflistung des Ministeriums bestätigt die Tendenz zu sehr milden Urteilen. Es werden Freiheitsstrafen von maximal zwei Jahren verhängt, die zur Bewährung ausgesetzt werden. Einem verfestigten Muster zufolge zeigen sich die Angeklagten geständig, stellen ihre Beteiligung aber als marginal dar. Im Gegenzug für diese »technischen Geständnisse« erhalten sie milde Strafen, unabhängig von der Frage, ob sie vorbestraft sind. Manchmal haben Urteile dennoch Folgen. So wurde der Inhaber der Leipziger Sicherheitsfirma Pro GSL vom Gewerbeamt für unzuverlässig erklärt und verlor seine Funktion.
Keinerlei Rolle spielten in den Prozessen Fragen zur organisatorischen Vorbereitung und zu den Drahtziehern des Überfalls. Die Art der Aufarbeitung hat verbreitet für Ernüchterung gesorgt. Laut Nagel bleibt der »bittere Eindruck«, dass die Justiz wenig Interesse habe, das »Kartell des Schweigens« zu durchbrechen. »Kaum jemand« erhoffe sich von den weiteren Prozessen » noch große Erkenntnisse«. Im ersten Quartal sind Verfahren gegen sieben Angeklagte terminiert, darunter gegen einen Täter, der trotz Anklage bis 2019 als Beschäftigter der sächsischen Justiz im Staatsdienst war.
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