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Weniger Nische
Sozialunternehmen bewerten Koalitionsvertrag und EU-Aktionsplan zur Gemeinwohlökonomie positiv
Alternative oder solidarische Ökonomie, Sozialunternehmen, Gemeinwohlökonomie: Das Spektrum von Unternehmen, bei denen die Profitmaximierung nicht an erster Stelle steht, ist in Deutschland breit, Betriebe können auf die Erfahrungen mehrerer Generationen zurückblicken. Ihre Prämisse: Ökonomie ist für die Menschen da und berücksichtigt soziale Belange und ökologische Folgen gleichermaßen. Dennoch führt die Gemeinwohlökonomie ein Nischendasein und trifft auf eher schlechte Rahmenbedingungen: Hoher bürokratischer Aufwand für kleine Unternehmen, kaum passende Fördermittel, wenig auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Gesellschaftsformen.
Laut Koalitionsvertrag der Bundesregierung soll sich das ändern. Einen ganzen Absatz widmen SPD, Grüne und FDP den Sozialunternehmen: »Wir erarbeiten eine nationale Strategie für Sozialunternehmen, um gemeinwohlorientierte Unternehmen und soziale Innovationen stärker zu unterstützen«, heißt es dort. Verbessert werden sollen die rechtlichen Rahmenbedingungen für Genossenschaften oder Sozialunternehmen. Auch soll der Zugang zu Finanzierung und Förderung leichter werden. Ein weiteres wichtiges Thema: Die neue Bundesregierung will die rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen, um Guthaben auf verwaisten Konten zur Förderung des Gemeinwohls nutzen zu können. Hierbei geht es um Vermögen, deren Besitzer*innen verstorben sind und keine Erb*innen verfügbar sind. Bisher fällt dieses Geld nach 30 Jahren den Banken zu - in Deutschland laut Schätzungen zwischen zwei und neun Milliarden Euro. In vielen Ländern werden diese verwaisten Vermögen dagegen für das Gemeinwohl genutzt, Japan etwa finanziert darüber Lösungen für die demografischen Herausforderungen.
Das Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland bewertet die Pläne der Ampel als »gelungenen Aufschlag«, spricht gar von einem »wegweisenden Koalitionsvertrag«, so Gründungsmitglied Markus Sauerhammer gegenüber »nd.DerTag«. Viele Handlungsempfehlungen des Sektors seien berücksichtigt worden, insgesamt zeichne sich ein möglicher Aufbruch für Soziale Innovationen und Social Entrepreneurship ab - auch weil Ökonomie eingebettet sei in eine soziale und ökologische Transformation. Notwendig sei allerdings eine »wirksame Umsetzung«. Positiv sei hierfür, dass es im Wirtschaftsministerium eine klare Verantwortlichkeit für die federführende Koordination gebe.
Denn mit Sven Giegold ist ein Experte für Gemeinwohlökonomie als Staatsminister im Wirtschaftsministerium zuständig. Der ehemalige EU-Abgeordnete für die Grünen im Europaparlament spricht von der Sozialen Ökonomie »als gemeinwohlorientierte Avantgarde der Transformation«, die mit einer eigenen Strategie gestärkt werden solle. Diese will er »aus der bisherigen Nische herausholen«, sagte er kurz vor seinem Start im Ministerium von Robert Habeck (Grüne).
Eine Personalie, die in der Branche wohlwollend aufgenommen wird. »Wenn nicht er, wer dann?«, sagt auch Mathias Fiedler, Vorstandsprecher des Zentralverbandes deutscher Konsumgenossenschaften. Fiedler sieht im neuen Koalitionsvertrag einen »guten Schritt«, den Sektor sichtbarer zu machen und damit aufzuwerten. Konkret seien unter anderem Genossenschaften häufig von Fördermöglichkeiten ausgeschlossen. Wenn zukünftig also auch gemeinschaftliche Unternehmungen statt allein gewinnorientierte Unternehmen von Einzelgründer*innen gefördert würden, wäre das schon ein Systemwechsel. »Ich bin gespannt auf die Lösungsvorschläge«, sagt Fiedler.
Auch auf EU-Ebene ist das Thema Sozialwirtschaft einen Schritt weiter gekommen. Viele Länder wie etwa Frankreich, Spanien oder Italien mit seiner langen Kooperativengeschichte sind hier wesentlich weiter als Deutschland. Innerhalb der EU liegt der Prozentsatz von Arbeitsplätzen in der Sozialen Ökonomie laut einer Studie von 2017 zwischen 0,6 und knapp 10 Prozent - insgesamt geht es um rund 13 Millionen Arbeitsplätze.
Ende Dezember hat die EU-Kommission ihren Aktionsplan für die Sozialwirtschaft vorgelegt. Auch hier sollen die Rahmenbedingungen für Unternehmen der Sozialwirtschaft verbessert werden. Dazu gehören unterschiedliche Rechtsformen, vereinfachte Besteuerung, Vergabe öffentlicher Beschaffung und ein angepasster Rahmen für staatliche Beihilfen, »die an die Bedürfnisse der Sozialwirtschaft angepasst werden müssen«, wie es im Aktionsplan heißt. Auch soll der Zugang zu Finanzmitteln verbessert werden. Bis 2023 will die EU-Kommission konkrete Empfehlungen für den Rat erarbeiten.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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