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Johnsons Widersacher wirft Granaten
Ehemaliger Chefberater des britischen Premierministers beschuldigt diesen in der Party-Affäre der Lüge vor dem Parlament
Die Atempause für Boris Johnson dauerte nicht lange. Am Wochenende machte die Party-Affäre, die den Premierminister in den vergangenen Wochen in Bedrängnis gebracht hat, keinen neuen Schlagzeilen, und noch ist kein Minister aus Protest zurückgetreten. Aber dann wurde schon die nächste Granate geworfen, diesmal von Johnsons Erzfeind, seinem Ex-Chefberater Dominic Cummings: Dieser hat den Regierungschef am Montag beschuldigt, bezüglich der Party am 20. Mai 2020 gelogen zu haben. Er habe den Premierminister persönlich gewarnt, dass das geplante Fest illegal sei, aber Johnson habe sich nonchalant gegeben: »Er hat abgewinkt«, schreibt Cummings auf seinem Blog.
Wenn das tatsächlich stimmt, dann hätte der Premierminister letzte Woche das Parlament angelogen - ein Grund zurückzutreten, wie Justizminister Dominic Raab am Dienstag bestätigte. Am vergangenen Mittwoch entschuldigte sich Johnson vor dem versammelten Unterhaus für die unerlaubte Party während des Covid-Lockdowns; er wies jedoch die Verantwortung von sich, indem er sagte: »Ich ging implizit davon aus, dass es sich um ein Arbeitstreffen handelte.« Aber Cummings behauptet jetzt: Der Premierminister sagt nicht die Wahrheit. Er würde »unter Eid schwören«, dass Johnson gewusst habe vom Charakter des Events. Auch gebe es mehrere andere Mitarbeiter im Regierungssitz, die dies bestätigen würden. Möglicherweise wird Cummings in den kommenden Tagen von der Staatsbeamtin Sue Gray befragt, die derzeit die Party-Affäre offiziell untersucht. Sollte sich herausstellen, dass Cummings Recht und Johnson das Parlament belogen hat, könnte er sich auf keinen Fall als Regierungschef halten.
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Cummings ist seit seiner Demission Ende 2020 zum ärgsten Widersacher des Premierministers geworden. Als Johnsons Chefberater von 2019 bis 2020 hatte er die Regierungsgeschäfte fest in der Hand, er galt als die einflussreichste Person in Westminster. Johnson hatte ihn rekrutiert, nachdem Cummings bereits in der Brexit-Kampagne eine Führungsrolle gespielt und die Strategie der EU-Gegner entscheidend geprägt hatte - am Ende mit Erfolg. Seither sehen ihn manche als eine Art böses Genie, die Presse betitelte ihn zuweilen als »Meister der dunklen Künste«. Andere sind weniger schmeichelhaft: Der ehemalige Premierminister David Cameron zum Beispiel bezeichnete Cummings einmal als »Karriere-Psychopathen«.
Auf jeden Fall ist er ein politischer Akteur, den man nicht ignorieren kann. Im Sommer 2020 zog Cummings den Zorn der Öffentlichkeit auf sich, als herauskam, dass er während des Covid-Lockdowns einen unerlaubten Trip quer durchs Land unternommen hatte. Der Berater redete sich mit hanebüchenen Erklärungen heraus und blieb auf seinem Posten. Aber zunehmend gab es Reibungen zwischen ihm und Ministern sowie anderen Regierungsberatern. Er geriet auch mit Johnsons damaliger Verlobter Carrie Symonds in die Haare, mit der der Premier mittlerweile verheiratet ist. Im November 2020 wurde Cummings geschasst.
Aber seither ist es um ihn kaum still geworden. Offenbar hat er sich zum Ziel gesetzt, seinen früheren Boss vom Sockel zu stoßen. Auf seinem vielgelesenen Blog, auf Twitter und auch im Fernsehen plaudert Cummings aus dem Nähkästchen - und der Tenor ist stets der gleiche: Johnson ist inkompetent, überfordert, uninteressiert an Details und ohne strategische Richtung. Cummings bezeichnet Johnson als »trolley«, als Einkaufswagen, der ziellos in der Gegend umherrollt. Auf Twitter verwendet Cummings zuweilen das Einkaufswagen-Symbol, wenn er vom Premierminister spricht.
In der Party-Affäre steht sein Wort gegen das des Premierministers, der an seiner Version festhält: Johnson bestreitet »kategorisch«, dass man ihn im Mai 2020 vor einem Regelverstoß gewarnt habe. Klarheit wird erst der Bericht von Sue Gray bringen; er wird frühestens Ende dieser Woche erwartet.
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