Der Alte, sein Clan und Sherlock Holmes

Warum die Familie von Kasachstans Ex-Präsident Nursultan Nasarbajew bei vielen so verhasst ist

  • Birger Schütz
  • Lesedauer: 5 Min.

Ist er nach Dubai ins Exil gegangen oder auf die Malediven geflüchtet? Hält er sich längst in Westeuropa auf? Einige Journalisten wähnten ihn schon in Russland: Während Kasachstan von den schwersten Unruhen seiner Geschichte erschüttert wurde, tauchte Ex-Präsident Nursultan Nasarbajew ab. Kein Wort verlor der 81-Jährige zu den Tausenden Demonstranten, die unter dem Slogan »Alter, hau ab« seinen Rückzug aus der Politik forderten. Sein Aufenthaltsort war unbekannt.

An diesem Dienstag meldete er sich nun zurück. »Ich genieße meinen wohlverdienten Ruhestand in der Hauptstadt und bin nicht geflohen«, erklärt Nasarbajew in einem knapp fünfminütigen Videoclip auf YouTube. Gerüchte über einen Machtkampf in der Elite entbehrten jeglicher Grundlage. Er sei gewöhnlicher Rentner, habe seinem Nachfolger Kassym Schomart-Tokajew 2019 das Präsidentenamt ordnungsgemäß übergeben.

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Die Wahrheit sieht indes anders aus. Rund 30 Jahre, von 1991 bis 2019, hatte der einstige Stahlarbeiter und letzte kommunistische Führer Kasachstans sein Land regiert. Der Übergang zum Kapitalismus gelang Nasarbajew dank der gewaltigen Bodenschätze relativ schmerzlos. Auch nach seinem formellen Abtritt vor drei Jahren behielt er hinter den Kulissen die Fäden weiter in der Hand. Lange galt Kasachstan als eines der erfolgreichsten und dynamischsten Länder im postsowjetischen Raum.

Dass sich Nasarbajew mit der Zeit trotzdem zu einer regelrechten Hassfigur entwickelte, liegt vor allem an dem Günstlingssystem, das seinem Clan den Zugriff auf lukrative Posten in Politik und Wirtschaft erlaubte.

Im Zentrum dieses Systems der hemmungslosen Bereicherung standen Nasarbajews drei Töchter. Am bekanntesten ist die in der Bevölkerung äußerst unbeliebte Dariga. Die 58-Jährige ist Nasarbajews älteste Tochter und galt lange als mächtigste Frau Kasachstans. Die studierte Historikerin war unter anderem Vize-Premierministerin, Vorsitzende des Oberhauses und sitzt als Abgeordnete im Parlament. Zwar kam sie als Frau im patriarchalen Kasachstan als Nachfolgerin ihres Vaters nie ernsthaft infrage. Jedoch nutzte sie ihre Verbindungen, um zu einer der reichsten Frauen des Landes zu werden. Kasachische Investigativmedien schätzten ihr Vermögen auf über eine halbe Milliarde Dollar. Für Schlagzeilen sorgte unter anderem ein Anwesen im Wert von 183 Millionen Dollar in der berühmten Londoner Baker Street 221b, berichtet die britische »The Times«. Die Adresse gilt als ikonisch: In dem Haus siedelte der Schriftsteller Arthur Conan Doyle seinen legendären Romanhelden Sherlock Holmes an. Das Haus ist nicht die einzige Londoner Immobilie im Besitz von Darigas Familie: Auch eine luxuriöse Villa in der Bishops Avenue, einer der teuersten Straßen Großbritanniens, sowie ein Haus im gutbürgerlichen Stadtteil Highgate und eine Wohnung in Chelsea gehören ihr. Hinzu kommt ein 305 Quadratmeter großes Appartement im Moskauer Zentrum.

Auch die Kinder der Präsidententochter profitieren: Nuri Alijew, der älteste Sohn der Präsidententochter, gilt als einer der reichsten Geschäftsleute Kasachstans. Die kasachische Ausgabe des Forbes-Magazins schätzte sein Vermögen im vergangenen Jahr auf etwa 195 Millionen Dollar. Die Geschäftsfelder des 37-Jährigen sind so vielfältig wie unübersichtlich: So besitzt Allijew unter anderem zwei Offshore-Firmen in dem Steuerparadies British Virgin Islands, betreibt einen TV-Kanal, einen Radiosender und ist Inhaber von Hotels in Dubai und der kasachischen Wirtschaftsmetropole Almaty.

Allijew stammt aus Darigas erster Ehe mit Rachat Allijew. Von diesem hatte sich die Präsidententochter nach angeblichen Putschvorwürfen gegen den allmächtigen Schwiegervater scheiden lassen. Alijew wurde 2015 mit einer Schlinge um den Hals in einem österreichischen Gefängnis gefunden. Darigas zweiter Ehemann, Kairat Scharipbajew, leitete das Gasunternehmen QasaqGas.

Solche familiären Tragödien sind von Nursultan Nasarbajews mittlerer Tochter Dinara nicht bekannt. Die 54-Jährige gilt mit einem geschätzten Vermögen von drei Milliarden Dollar als reichste Frau des Landes, schätzt das Forbes-Magazin. Verheiratet ist sie mit Timur Kulibajew, der mit ihrer Hilfe zum einflussreichsten Geschäftsmann Kasachstans aufstieg. Der Milliardär leitete bis vor kurzem unter anderem die Nationale Unternehmerkammer Atameken. Zudem kontrolliert das Ehepaar gemeinsam die Halyk Bank, das größte Geldinstitut des Landes. Darüber hinaus sind die Kulibajews an Shoppingzentren in der Hauptstadt Nur-Sultan und in Almaty und Aktobe beteiligt. Außerdem halten sie Anteile an der britischen Nostrum Oil&Gas Plc, welche in Westkasachstan Gas und Öl fördert. Hinzu kommen Villen an der spanischen Costa Brava, dem Genfer und Luganer See sowie ein Hotel im tschechischen Karlovy Vary. Während der Unruhen soll das Ehepaar rund 300 Millionen Dollar verloren haben, meldet der russische Internet-TV-Sender Doschd. Schweizer Zeitungen spekulierten Anfang der Woche über einen Umzug der Kulibajews in die Schweiz, wo die Familie Anfang des Jahres ein weiteres Schloss für 106 Millionen Franken erwarb.

Über Nasarbajews jüngste Tochter Alija ist am wenigsten bekannt. Die 41-jährige Politikwissenschaftlerin studierte in England und den USA und steht hinter einem Recyclingunternehmen, das eine lukrative Monopolstellung bei Entsorgung, Transport und Wiederaufbereitung von Abfällen hält. Mitte der 2000er Jahre soll Alija mit dem Verkauf ihrer Anteile an kasachischen Unternehmen 300 Millionen Dollar erzielt haben. Das Geld floss nach Recherchen des britischen »The Telegraph« unter anderem in eine Villa im Londoner Nobelviertel Highgate, ein Grundstück auf der Insel Palm Jumeirah in Dubai und einen Privatjet. Alijas Ehemann Dimasch Dosanow leitete das Erdölunternehmen KazTransOil.

Mit den Privilegien soll nun Schluss sein: Präsident Kassym-Schomart Tokajew kündigt am vergangenen Dienstag Reformen und ein Ende der Vetternwirtschaft an. Nasarbajews Schwiegersöhne verloren ihre Posten. »Ich glaube, es ist an der Zeit, dass sie dem Volk Tribut zollen und ihm systematisch und regelmäßig helfen«, so Tokajew.

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