- Brandenburg
- Kunst von Roger Melis und Lea Grundig
Der Glamour der Arbeiter
Neue Jahresausstellung zum Leben in Industrielandschaften im Potsdamer Landtagsschloss
»Die Schlote rauchen wieder.« Wie sich die Dinge entwickeln und mitunter in ihr Gegenteil verkehren, erweist sich unter anderem an diesem Satz. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg war er Sinnbild für einen Neuanfang, für Zuversicht und Ausdruck für Hoffnung. Inzwischen gelten rauchende Schlote als Verbrechen an der Umwelt. Einmal mehr wird deutlich, wie unendlich groß der Abstand zwischen Generationen sein kann.
»Die Zukunft hat schon begonnen. Vom Leben in Industrielandschaften«, heißt die neue Jahresausstellung im Potsdamer Landtag, die vergangene Woche eröffnet wurde. »Gezeigt werden Kunstwerke, die Bedingungen der Industrialisierung zum Thema haben«, sagte die Direktorin des Brandenburgischen Landesmuseums für Moderne Kunst, Ulrike Kremeier. Aus den Beständen ihres Hauses speist sich diese Ausstellung auf vier Etagen des Parlaments. Dafür ausgewählt wurden 150 künstlerische Darstellungen und Reflexionen vom Leben in Industrielandschaften. Unter anderem Fotos von Roger Melis und Zeichnungen von Lea Grundig.
Rund 75 Prozent der insgesamt 42 000 Kunstwerke, die den Bestand des Landesmuseums ausmachen, stammen aus der DDR. Die Darstellung des arbeitenden Menschen wurde in der DDR von einem Randthema der Kunst zum Mittelpunkt geschoben. Die rauchenden Schlote fehlen auf den Bildern der Ausstellung nicht. Vor allem aber haben sich die Kuratoren für Porträts von Arbeitern entschieden. Menschen, die ernst aus Rauch und Öl, aus Dreck und Lärm nun in diese sterile Atmosphäre eines künstlichen Schlossgebäudes blicken. Die Behauptung, in der DDR habe nur eine Idealisierung irgendwelcher sozialistischer Helden der Arbeit stattgefunden, widerlegt die Ausstellung. Man muss nur die Augen öffnen und in die Gesichter der Dargestellten blicken. Deren Schönheit ist kein Lack, kein Hochglanz. Sie sind keine glamourösen, frisierten Modelle.
Leben in Industrielandschaften? Zur Wahrheit dieser Kunstausstellung gehört, dass man hinzufügen muss: Leben in ehemaligen Industrielandschaften. Da ist die Fotoserie von der Ecke einer Dorfstraße, die erst den Aufbau und dann den Abriss einer Gemeinde dokumentiert, die dem Braunkohlebagger weichen musste. Nicht nur eines der Bilder lässt auf den Tagebau blicken, auf die ungeheuren Wunden, die der Mensch der Erde schlagen kann. Wunden in einem anderen Sinne kann aber auch das Nachfolgende verursachen. Die Kuratorin sprach von einer kommenden massiven Veränderung durch den »Kohleausstieg«.
Doch nichts, was jetzt kommt, gleicht dem Umbruch, den die Menschen nach 1990 aushalten mussten. Wohl ein Zufall war, dass am Tag der Ausstellungseröffnung CDU-Fraktionschef Jan Redmann im Plenum nebenan von der »fatalen Planwirtschaft« sprach, die Brandenburg zu DDR-Zeiten mit einer niedrigen Industrialisierungsquote geschlagen habe, was sich - da blickte er unter anderem auf die Tesla-Autofabrik in Grünheide - »nun verändern kann«.
Doch da liegt Redmann falsch. Denn das Gegenteil ist wahr. Eine beachtliche industrielle Entwicklung ist zu DDR-Zeiten in die Fläche Brandenburgs getragen worden. Vielerorts hat sie sich von dort seither wieder zurückgezogen. Gerade Redmanns Heimat, die Prignitz, wurde auf ein vorindustrielles Stadium zurückgeworfen. Sie wurde Bestandteil eines riesigen Rostgürtels, der sich von Nordwestbrandenburg bis weit in den Süden hinein erstreckte, eine tote Zone, aus der die Einheimischen nur noch in den Westen fliehen konnten, wenn sie einen Arbeitsplatz oder eine Lehrstelle suchten, und in der die Gutsituierten billig zu Sommerresidenzen kamen. Die Städte an der Peripherie Brandenburgs waren zu DDR-Zeiten durch die Bank wachsende Städte und sind seit der Wende fast durchweg schrumpfende Städte.
Die Ausstellung verschweigt nicht, dass diese bedrückende Entwicklung für viele Hunderttausend Menschen die Lebenswirklichkeit der vergangenen 30 Jahren war. Sie haben dafür bezahlt. Schwer zu vergessen hier: Die Fotoserie »Endzeit« von älteren DDR-Arbeiterinnen von 1990. Alle blicken selbstbewusst und frech in die Kamera. Alle verloren den Arbeitsplatz, das ist der Beschriftung zu entnehmen. Was sie zu diesem Zeitpunkt nicht wissen können: Die meisten von ihnen werden nie wieder einen Job bekommen.
Sie stehen stellvertretend für die Millionen Frauen, die ein Recht auf Arbeit besaßen. Neben den Fotos groß kopiert eine Seite aus dem Arbeitskalender der Fotokünstlerin: »Frau Dams, 30 Jahre bei der Deutschen Reichsbahn Fft./O. Letztes Foto für Endzeit, (event. feierliche Verabschiedung durch Betriebsleitung und Gewerkschaft.) fällt aus! Frau Dams ist entlassen per 31.12.90.« Das war die Zukunft dieser Frauen. Da begann sie.
Ausstellung bis zum 16. Dezember 2022, Potsdamer Landtag am Alten Markt, montags bis freitags von 8 Uhr bis 16 Uhr zu besichtigen. Dabei gelten Zutrittsregeln entsprechen der Coronalage.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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