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Das Theater überwintert auf Videoband
Die Welt als Fiktion: Die Berliner Akademie der Künste zeigt die Ausstellung »Erich Wonder – T/Raumbilder für Heiner Müller«
Am Ende begann Heiner Müller seine Stücke selbst zu inszenieren. Das war 1980 – da hatte die DDR bereits eine Vergangenheit, und die wurde mehr und mehr erklärungsbedürftig, auch weil die Gegenwart der DDR-Endzeit so wenig zu dem eigenen verheißungsvollen Anfang passte. Stichwort: das Bild des Arbeiters als Vertreter der herrschenden Klasse.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Was sich in den 1980er Jahren – nicht nur bei Müller – an diesem Bild der herrschenden Klasse veränderte, war eine Revision von größeren Ausmaßen. Lauter unzweifelhaft verfehlte eigene Ziele. Im »Lohndrücker« – geschrieben 1956 – heißt es: »Die Fabriken gehören uns.« Ein Versprechen oder eine Tatsache? 30 Jahre später will der Arbeiter diese im Krisenmodus laufenden Fabriken nicht geschenkt haben. Was geht es ihn an! Im Westen fahren die ausgebeuteten Arbeiter Autos, von denen man hier nur träumt – obwohl die Fabriken dort doch den Kapitalisten gehören. Das Argument zieht, am Ende steht die Währungsunion als Enteignung der Nichteigentümer.
Der Arbeiter also versteht sich in der DDR gar nicht als Eigentümer der Fabriken – aber wem gehören sie dann? Der Staat verwaltet sie nur. Also gibt es eine Leerstelle statt eines Eigentümers. Aber diese Leerstelle existierte nur solange, bis jemand von außen mit entschlossener Hand danach griff. 1990 hatten die Fabriken wieder Eigentümer ohne wenn und aber – und sei es nur, um sie sofort zu schließen. All das findet sich bereits in Müllers »Lohndrücker« durchgespielt, im Text aus den 1950er Jahren und der Aufführung als Kommentar dazu 1988 am Deutschen Theater.
Was anderes blieb zu tun als ein Rekapitulieren der eigenen Illusionen und Irrtümer, um nicht zu sagen: ein Korrigieren des eigenen Textes mittels Aufführung? Die Inszenierung von »Der Auftrag« 1980 im 3. Stock der Berliner Volksbühne wurde zu einem Stück DDR-Gegenwartsdramatik – und Müller spürte, dass er damit in die Falle des Tagespolitischen lief. Etwas Entscheidendes fehlte: der Abstand! Abstand erst ermöglicht Kunst als Form der Befremdung.
In höchstem Maße fremd war »Der Auftrag«, dieses Revolutions-Verrat-Stück für den 1944 im österreichischen Burgenland geborenen Bühnenbildner Erich Wonder, der seinem Wesen nach bis heute ein traumsuchender Romantiker geblieben ist. Darum war Müller sofort von ihm fasziniert. Kennengelernt hatte er Wonder bereits 1977 in Frankfurt am Main – die Bankenmetropole erschien diesem damals wie ein durch Raum und Zeit wanderndes Chicago.
Die Distanz Wonders zum Revolutionsthema sollte dieses vor dem Schicksal aller Aktualisierung retten, das da heißt, rapide zu veralten. Denn Müller ging es um den Kern des Theaters, die Tragödie. Also holte er sich den bekennenden Phantasten Wonder erstmals als Bühnenbildner für seine Westinszenierung von »Der Auftrag« 1982 in Bochum. Jetzt stellte sich auch der erwünschte Effekt ein: »Der Auftrag« erschien als eine Art modernes Märchen – und war als solches überwältigend archetypisch. Müller in seinem Erinnerungsbuch »Krieg ohne Schlacht« über Wonder: »Er baut Räume, in denen Texte ausruhen und arbeiten können.«
Nun hat der Theaterregisseur Stephan Suschke für die Berliner Akademie der Künste verdienstvollerweise eine Ausstellung über den Bühnenbilder Erich Wonder kuratiert – und in dieser rückt dessen Arbeitsbeziehung zu Heiner Müller ins Zentrum. Denn erst durch die Zusammenarbeit mit Heiner Müller erlangten Erich Wonders Bühnenbilder jene verstörende Kraft, die in dem gemeinsamen Schöpfen von »Denkbildern« mündet. »Lohndrücker« (1988) und »Hamlet/Hamletmaschine« (1990) am Deutschen Theater Berlin sowie »Tristan und Isolde« (1993) bei den Bayreuther Festspielen sprengten die Grenzen des bis dahin auf der Bühne Zeigbaren.
Wer Bilder denken will, der gerät in die Regionen des Mythos – und genau darum ging es beiden. Suschke, der in »Hamlet/Hamletmaschine« den Geist von Hamlets Vater spielte, präsentiert darum in seiner Ausstellung vor allem wichtige Film- und Tondokumente, Requisiten, Bühnenbildskizzen und Fotos von »Lohndrücker« und »Hamlet/Hamletmaschine«. Diese machen den Ausstellungsbesuch durchaus lohnenswert, schöpfen die Atmosphäre, in der sie entstanden, auf klug montierte Weise nach. Die Kostümbildnerin Christine Stromberg rückt zurecht ins Bild, der bedeutende Maskenbilder Wolfgang Utzt kommt jedoch kaum vor.
Einiges wirkt auch deplatziert. So jene rote kreisrunde Scheibe auf dem Boden, die von lauter kleinen quasi-Flaggenmasten umstellt wird, die den Satz »Der Raum ist der Ort« illustrieren. Die Frage »Wofür?« wird dann (leider) tatsächlich beantwortet, auf vielen kleinen Zetteln lesen wir in simpler Sesamstraßenmanier: »Des Windes«, »Des Schutzes«, »Der Zufriedenheit«, »Der Leere«, »Des Erweckens« – und immer so weiter.
Im gleichen Raum hören wir Müller als Leser eigener Texte. Unnachahmlich in seiner tonlosen Nichtbetonung, als hauchte die Sprache sich selbst mühsam zu Worte. Leider ist die laut scheppernde Aufnahme kurz, sie läuft Schleife und Satzfetzen – »Die Sklaverei hat viele Gesichter« –, kreisen so in kurzer Frequenz durch den Raum, der jetzt eindeutig kein Ort »des Erweckens« von was auch immer ist.
In 20 Minuten höre ich wohl zehn Mal Müller mit »Ich habe Angst, ich fürchte mich …«. Das allerdings weckt völlig falsche Assoziationen. So verbraucht sich hier im bloßen Geräusch, was doch einen erst noch zu ergründenden Sinn offenbaren sollte. Aber ist es darum völlig deplatziert? Nein, es zeigt auch Wonders schwieriger Zugang zu Müller, der – ähnlich wie bei Robert Wilson – ein sinnlich-spielerischer bleibt.
Wonder verteidigt in der Zusammenarbeit mit Müller auch seinen Faible für Installation, Video und Performance gegen die Großtheoreme Müllers – und dieser weiß, wie wichtig solche Brechungen für die Bühnenwirksamkeit, die Spielbarkeit seiner hochkomplexen Texte sind.
Vereinfachung ist auf gefährliche Weise verführerisch. So das in lockerer Handschrift quer über Seitenwände geschriebene Satzfragment: »Barfuß in den Sozialismus.« Das klingt nach Jane Fonda und Robert Redford in der schönen Hollywood-Liebesromanze »Barfuß im Park«. Aber es ist ein verkürztes Zitat aus »Der Lohndrücker«, wo einer der Arbeiter gegen den Mangel an Schuhen, die es nur auf Bezugsschein gibt (oder auch nicht) anschreit: »Soll ich barfuß in den Sozialismus laufen?!«
Höhepunkt der Zusammenarbeit von Müller mit Wonder ist zweifellos »Hamlet/Hamletmaschine«. Nach den Proben im Wendewinter 1989/90 kam im März die Premiere. Ich erinnere mich an einen achtstündigen (!) Bühnenrausch, der sich nicht auf das mit seinen Gedanken offenbar im Wendealltag steckende Publikum übertrug. Die Konstruktion und gleichzeitige Dekonstruktion eines Helden hatte ihren geschichtlichen Background verloren. Furios Ulrich Mühe als Hamlet. Er sprengte in kalten Ekstasen Grenzen, die doch in der profanen Realität bereits gefallen waren.
Wonders Bühne: die Welt als Fiktion, gebaut aus Geometrie, Traum und Licht. Ein Geniestreich abseits der Tageslogik, die auf das »Ende der Geschichte« programmiert war. Kein Dementi dazu konnte heftiger ausfallen als diese Inszenierung.
Müllers Bekenntnis, »auf beiden Seiten der Barrikade« zu stehen, verpuffte in einer Zeit, die nicht mehr an jene Antworten glaubte, die die Kunst bis eben zu geben vermochte. Die Zeit der dramatischen »Denkstücke« war vorbei. Was blieb, war Trauerarbeit – »Tristan und Isolde«, 1993 in Bayreuth. Die Liebe, die im Tod ihre Erfüllung findet – das nahmen beide jetzt ganz anders beim Wort, als sie es noch wenige Jahre zuvor getan hätten.
Ein ganzer Raum ist Erich Wonders großformatigen Gemälden reserviert, die alle irgendwie mit Müller-Themen zu tun haben und in neoexpressiven Rottönen gehalten sind – gemalt nach 1990, wirken sie wie an sich selbst vorgenommene Bluttransfusionen. Eines von ihnen ist betitelt: »Der Tod ist die Maske der Revolution.« Offenbar gegen die aufsteigende Melancholie gemalt: »Malewitsch macht einen Spaziergang und fällt in ein schwarzes Quadrat.«
Das ist der einfallreiche Geist, wie ihn nur die Verlierer der Geschichte zu kultivieren vermögen. Im letzten Raum, einem Kino nachgebildet, kann man Ausschnitte aus den großen Inszenierungen von Müller/Wonder sehen. Das Theater überwintert auf Videoband – immerhin ein Zeugnis, das es zu bewahren gilt, sonst glaubt auch das bald niemand mehr.
»Erich Wonder – T/Raumbilder für Heiner Müller«, bis 13. März, Akademie der Künste, Pariser Platz 4, Berlin-Mitte, Dienstag bis Sonntag 11 bis 19 Uhr.
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