Bruchstück einer Ausstellung

Fünf Objekte aus dem KZ Sachsenhausen im Regionalmuseum Oberhavel

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 3 Min.

Kurz vor der Befreiung des Konzentrationslagers Sachsenhausen tauschte so mancher Wachmann Brot gegen Häftlingskleidung, um sich zu tarnen und einer Bestrafung für die verübten Verbrechen zu entgehen. Doch wohin mit der eigenen Uniform? SS-Unterscharführer Johannes Patzke hat Hose, Hemd, Stiefel und Schulterklappen nebst Dokumenten in einem Kübel auf dem Gelände des SS-Truppenlagers von Sachsenhausen vergraben. 2019 sei der Kübel bei der Suche nach Blindgängern entdeckt worden, berichtet Mareike Otters von der Stiftung brandenburgische Gedenkstätten. Zwei Jahre hat sie mit etlichen Kollegen an dem Ausstellungsprojekt »Bruchstücke ’45« gearbeitet.

Je fünf originale Objekte von allen fünf Standorten der Stiftung in Sachsenhausen, Ravensbrück, Brandenburg/Havel, Potsdam und im Belower Wald bei Wittstock wurden dafür verwendet. Gezeigt werden sollte die Ausstellung zuerst 2020 in Sachsenhausen - zum 75. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus. Dort war sie auch schon aufgebaut, musste aber wieder eingepackt werden, ohne dass sie ein Besucher zu Gesicht bekam. Die Corona-Pandemie durchkreuzte die Pläne. Erst von Mai bis September 2021 war sie dann im Potsdamer Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte zu besichtigen. »Es gibt keinen falschen Zeitpunkt, diese Ausstellung zu eröffnen«, sagte Stiftungsdirektor Axel Drecoll damals. »Sie ist in jedem Jahr und zu jeder Jahreszeit aktuell.« Die fünf einzelnen Module sollten dann ab Oktober noch ein Jahr lang an den Orten gezeigt werden, von denen die Objekte stammen. Wieder lief wegen der anhaltenden Pandemie nicht alles nach Plan. Der Sachsenhausen-Teil befindet sich nun jedoch im Regionalmuseum Oberhavel im Oranienburger Schloss. Dort kann er vom 27. Januar bis zum 15. Mai besichtigt werden, wenn die Corona-Maßnahmen das weiterhin erlauben. Diesmal stimmt der Zeitpunkt auf jeden Fall: Die Eröffnung erfolgt pünktlich zum Holocaust-Gedenktag.

Gedenken am 27. Januar in Berlin

10 bis 16 Uhr vor dem Haus an der Fritz-Reuter-Allee 50

10.30 Uhr Danziger Straße/Diesterwegstraße

12 Uhr Gedenkstätte am Zwangslager Marzahn, Otto-Rosenberg-Platz 1

15 Uhr am VVN-Denkmal, Loeperplatz

15.30 Uhr an der VVN-Stele, Koppenstraße/ Singerstraße

17 bis 18 Uhr am Mahnmal für die Opfer der Köpenicker Blutwoche, Platz des 23. April, sowie an der Gedenktafel für die von den Faschisten zerstörte Köpenicker Synagoge, Freiheit 8

Antifaschistischer Gedenkspaziergang in Treptow, Treffpunkt 18 Uhr, Am Treptower Park/Moosdorfstraße

Lichterkette, 18 Uhr, Jüdisches Waisenhaus, Berliner Straße 120-121 in Pankow nd

Zum Sachsenhausen-Teil von »Bruchstücke ’45« gehört auch ein Holzkästchen mit Davidstern, das rund 150 Kilometer südöstlich entdeckt wurde. Dort befand sich einst das KZ-Außenlager Lieberose, und dort erschoss die SS im Februar 1945 etwa 1350 Häftlinge. Das Holzkästchen stammt aus einem Massengrab, in dem die Leichen verscharrt wurden. »EMLEK« steht darauf. Es ist das ungarische Wort für Erinnerung. Außerdem ist eine schwer zu entziffernde Häftlingsnummer zu sehen. Die Nummer könnte zu Jakob Senger oder Nathan Kohn gehören. Beide wurden 1944 in Auschwitz ermordet. Möglicherweise hatte einer der beiden das Kästchen an einen Mithäftling verschenkt, der dann im Lager Lieberose den Tod fand.

Die Exponate und die hinzugefügten Erklärungen erzählen - so weit das geht - persönliche Schicksale. »So laden sie auf verständliche Weise dazu ein, sich mit den größeren historischen Zusammenhängen auseinanderzusetzen«, sagt der amtierende Landrat Egmont Hamelow (CDU). »Gerade in einer Region wie der unseren, die von einem großen historischen Erbe geprägt ist, gilt es, eine lebendige Erinnerungskultur zu pflegen. Zu diesem äußerst wichtigen Thema tragen wir mit der Sonderausstellung ›Bruchstücke ’45‹ im Regionalmuseum bei.«

Stiftungsdirektor Drecoll ergänzt, die Gedenkstätten seiner Institution seien Erinnerungsorte mit großer internationaler Ausstrahlung. »Sie stehen aber auch für ein bedeutendes Kapitel der regionalen Geschichte«, sagt er. »Diesen Blickwinkel nimmt die Ausstellung ›Bruchstücke ’45‹ bewusst ein, um Menschen in Brandenburg zur kritischen Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen und dem Kriegsende 1945 einzuladen.« Der Stiftungsdirektor kündigt an: »Mit dieser Ausstellung und anderen Formaten wollen wir künftig verstärkt spezifische Angebote für Menschen in der Region machen.«

Ausstellung »Bruchstücke ’45« bis 15. Mai, Regionalmuseum Oberhavel, Schlossplatz 1, Oranienburg; Öffnungszeiten bis März: Di bis So 10 bis 16 Uhr, ab April: 10 bis 17.30 Uhr; digitaler Rundgang: bruchstuecke45.de

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