- Kultur
- William Butler Yeats
»Er verschwand im tiefsten Winter«
Was geschah nach der Beerdigung von William Butler Yeats? Eine Erinnerung zu seinem Todestag
Der irische Schriftsteller William Butler Yeats starb am frühen Nachmittag des 28. Januar 1939 in dem kleinen »Hôtel Idéal Séjour« im südfranzösischen Roquebrune-Cap-Martin. Seine Frau George und seine Geliebte Edith Shackleton Heald saßen abwechselnd am Bett des 73-Jährigen.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Yeats litt an kongestiver Herzinsuffizienz; zuvor waren Lungenstauung und eine Nierenentzündung diagnostiziert worden. 1937 hatten Freunde in Irland für Yeats Geld gesammelt, um ihm ein komfortableres Leben im Alter zu ermöglichen. Als ihm die Spenden während eines Abendessens überreicht wurden, sagte der Literaturnobelpreisträger von 1923, dies werde es ihm ermöglichen, den Winter in Südfrankreich zu verbringen; dort wäre das Klima am Mittelmeer für ihn verträglicher.
Er verbrachte mit seiner Frau dann auch seine letzten beiden Winter im »Idéal Séjour«. Der Winter 1938/39 wartete mit außergewöhnlicher Kälte auf, auch an der französischen Riviera, was dem kranken Herzen des Iren nicht guttat. »Er verschwand im tiefsten Winter (...) Der Tag seines Todes war ein dunkler kalter Tag«, schrieb der englische Dichter W. H. Auden nach Yeats’ Tod.
In seinen letzten Tagen hatte Yeats an seinem Theaterstück »The Death of Cuchulain« und an seinem langen Abschiedsgedicht »Under Ben Bulben« gearbeitet. »Wenn ich sterbe, begrabe mich oben«, bat Yeats seine Frau. Gemeint war der Friedhof von Roquebrune. »Und in einem Jahr, wenn die Zeitungen mich vergessen haben, grabe mich aus und verbuddele mich in Sligo.« Sein ganzes Leben lang hegte Yeats Heimweh nach dieser irischen Grafschaft, nach »dem Land der Sehnsucht meines Herzens«, das er als Kind häufig durchstreift hatte.
Laut dem Pariser Korrespondenten der »Times« gehörten zu den Trauergästen an Yeats’ Grab auf dem Friedhof S. Pancras von Roquebrune am 30. Januar 1939 »Mrs Yeats, Mr Dermod O’Brien, Präsident der Royal Hibernian Academy of Arts, und Lady Gerald Wellesley, die Poetin«. Letztere schrieb, in seinem Grab habe Yeats »viele ertrunkene Seeleute um sich herum (wie er es sich gewünscht hätte)«. James Joyce schickte einen Kranz, der allerdings erst nach der Beerdigung an der Riviera eintraf.
Ebenfalls am 28. Januar 1939 starb in Roquebrune in einem Hotel auf der Promenade von Cap Martin der Engländer Alfred Hollis. Seine Schwester Amelia fand ihn, als sie sich zum Dinner begeben wollte, in der Hotellounge in einem Sessel sitzend vor, »ein Glas Martini in der Hand, ein Tröpfchen Blut auf seinen geschlossenen Lippen das einzige Anzeichen, dass er tot war«. Hollis wurde ebenfalls auf dem Friedhof von Roquebrune beerdigt, unmittelbar neben Yeats. Auf einem Foto aus dem Besitz der Familie Hollis sind zwei weiße Marmorplatten mit den Namen sowie den Geburts- und Sterbedaten der beiden zu sehen.
Yeats hatte bei seinem Ableben ein ledernes Bruchband, Hollis, der an Tuberkulose litt, ein stählernes Korsett getragen. Wegen des Weltkriegs blieb Yeats’ Wunsch unerfüllt, seine sterblichen Überreste nach einem Jahr nach Drumcliff in der irischen Grafschaft Sligo zu überführen. Als Yeats’ einstige Geliebte Heald im Juni 1947 zusammen mit der englischen Künstlerin Gluck (der Künstlername von Hannah Gluckstein) den Friedhof von Roquebrune besuchte, wurde ihr mitgeteilt, die sterblichen Überreste von Yeats seien im Jahr zuvor in ein Sammelgrab überführt worden.
1948 wurde in Roquebrune ein Sarg für die Überführung der sterblichen Überreste von Yeats transportbereit gemacht. Mitglieder der Familie Hollis waren jedoch davon überzeugt, dass es sich nicht um die Leiche von Yeats, sondern um die ihres Verwandten Alfred Hollis handelte, sei doch in Roquebrune nach einem Skelett mit einem stählernen Korsett gesucht worden. Dies schilderte Hollis’ Großnichte Louise Foxcroft im September 2000 in einem ausführlichen Artikel in der »Irish Times«. Andere vermuteten, statt Yeats sei ein gewisser Capitaine Guillaume ausgegraben worden.
Der Sarg mit den angeblichen sterblichen Überresten von Yeats wurde zum Hafen von Villefranche gebracht und von dort auf der irischen Marinekorvette »Macha« nach Galway transportiert, wo das Schiff am 17. September 1948 einlief. Bei der von Yeats gewünschten Beisetzung »Under bare Ben Bulben’s head / In Drumcliff churchyard«, sagte der Dichter Louis MacNeice Ohrenzeugen zufolge: »Ihr begrabt den Falschen.« Yeats’ Sohn Michael insistierte jedoch, die Knochen seien gemessen worden und passten zu dem großen Körperbau seines Vaters.
Das Grab neben der St.-Columba-Kirche in Drumcliff ist seither ein Schrein und eine Touristenattraktion. Auf dem Grabstein steht die von Yeats selbst verfasste Inschrift: »Cast a cold Eye / on Life, on Death. / Horseman, pass by.« (Wirf einen kalten Blick / auf das Leben, den Tod. / Reiter, zieh vorbei.)
Erst 2015 tauchten Dokumente auf, aus denen hervorgeht, dass ein eigens zusammengestelltes Skelett die Reise von der Riviera nach Sligo antrat. Demnach wurde 1948 ein französischer Diplomat namens Bernard Cailloux beauftragt, in Roquebrune die sterblichen Überreste von Yeats ausfindig zu machen. Er berichtete jedoch, es sei unmöglich, die vollständigen und authentischen Überreste von Yeats nach Irland zu verbringen. Stattdessen schlug er vor, den örtlichen Pathologen Dr. Rebouillat zu bitten, ein Skelett zusammenzustellen, das alle Charakteristika des Toten aufweisen solle. Aus den Dokumenten geht hervor, dass auf diese Weise sehr wahrscheinlich Teile von sterblichen Überresten mehrerer Personen nach Drumcliff gelangten.
Dieses Vorgehen erfolgte im stillschweigenden Einvernehmen mit der Familie Yeats sowie dem damaligen irischen Außenminister Seán MacBride, dem Sohn der von Yeats angebeteten irischen Rebellin, Feministin und Schauspielerin Maud Gonne (1866-1953). Die hatte des Poeten Liebe unerwidert gelassen, auch schon bevor der okkulte Nationalist Sympathien für die 1933 gegründete faschistische Blue-Shirt-Bewegung hegte.
Das »Hôtel Idéal Séjour« ist schon lange kein Hotel mehr. Es wurde in den 1990er Jahren umgebaut. Schild und Telefon des Hotels sowie der Kleiderhaken aus Yeats’ Zimmer gelangten in die Princess Grace Irish Library in Monaco, in der Grace Kellys Sammlung irischer Bücher und Notenblätter aufbewahrt wird. Ihre Vorfahren stammten aus der irischen Grafschaft Mayo und waren von dort nach der großen Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts in die USA ausgewandert.
Neben dem Eingang des heute »Résidence Le Louisane« genannten Hauses erinnert eine Tafel daran, dass Yeats dort gestorben ist. Nur wenige Schritte entfernt beginnt ein hübscher Weg, der »Promenade Le Corbusier« genannt wird. Er führt an der Küste entlang zu einer Ikone der Architektur des 20. Jahrhunderts, zur Villa E.1027: Erbaut von 1926 bis 1929 an einem Hanggrundstück, entworfen von der irischen Möbeldesignerin Eileen Gray für sich und ihren Freund, den rumänischen Architekten Jean Badovici. Der schweizerisch-französische Architekt Le Corbusier und seine Frau Yvonne waren häufige und gern gesehene Gäste in der Villa.
1938 bemalte Le Corbusier in Abwesenheit der Gastgeber und gegen Eileen Grays Willen fünf Wände mit großflächigen Fresken, inklusive plumper Anspielungen auf Grays Bisexualität. Eileen Gray, die 1976 starb, hat nach der Bemalungsaktion, in der sie einen Akt des Vandalismus sah, die Villa E.1027 nie wieder betreten.
1951/52 schließlich baute Le Corbusier eine eigene minimalistische Hütte, »Cabanon« genannt, auf einem Nachbargrundstück schräg oberhalb der E.1027. Er notierte: »Ich habe ein Schloss an der Riviera, es misst 3,66 mal 3,66 Meter.« Der Architekt kam jedes Jahr für den gesamten Monat August nach Roquebrune-Cap-Martin, wo er 1965 unweit seiner Hütte beim Baden im Meer wohl einem Herzinfarkt erlag. Wie einst Yeats wurde er auf dem Friedhof oberhalb des alten Dorfkerns von Roquebrune begraben. Seine Grabstätte hatte er selbst entworfen. In Yeats’ letztem Gedicht »The Black Tower«, datiert vom 21. Januar 1939, heißt es: »Doch Wind weht von der Küste herauf: / Sie erzittern, wenn die Winde brausen / Alte Knochen auf dem Berg erzittern.«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.