- Politik
- Aufhebung von Corona-Maßnahmen
Ausbreitung von Omikron erlöst Dänemark
Regierung in Kopenhagen hebt alle Corona-Restriktionen auf und erklärt den gesundheitlichen Notstand im Land für beendet
Der Unterschied zu ihrer ersten Corona-Pressekonferenz am 11. März 2020 war an diesem Mittwochabend nicht zu übersehen. Damals hatte Ministerpräsidentin Mette Frederiksen nach den ersten Covid-19-Erkrankungen in Dänemark mit Leichenbittermiene einen harten Lockdown und die Schließung der Grenzen ankündigt. Dieses Mal erklärte die Sozialdemokratin in gelöster Stimmung, dass nach dem 31. Januar alle Corona-Restriktionen aufgehoben werden. Und das sei möglich, obwohl seit Wochen täglich bis zu 47 000 neue Ansteckungen mit dem Virus registriert werden.
Ab Februar kann wieder durchgeatmet werden. Im öffentlichen Raum müssen weder Masken getragen noch Abstandsregeln eingehalten werden. Das Nachtleben, insbesondere in den Diskotheken, kann wieder uneingeschränkt in Gang kommen, die Betreiber von Bars und Restaurants müssen ihre Gäste nicht länger drängen, dass bis 22 Uhr der letzte Happen gegessen und der letzte Schluck getrunken zu haben - sie dürfen zu ihren normalen Öffnungszeiten zurückkehren.
Auch der Coronapass, seit dem vergangenen Jahr das »Sesam-öffne-dich« für eine reibungslose Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, hat dann nur noch Bedeutung für Auslandsreisen. Darüber hinaus verliert Covid-19 ab dem 5. Februar den Status als »gesellschaftskritische Krankheit«, sodass neue Restriktionen erst wieder mit Zustimmung des Parlaments eingeführt werden dürfen. Neue Einreisebestimmungen für Dänemark sind noch in Ausarbeitung, es wird entweder auf die 2G- oder die 3G-Regel hinauslaufen.
Den angesichts der Infektionszahlen scheinbar paradoxen Schritt ihrer Regierung erklärte Frederiksen mit zwei Tatsachen. Etwa 80 Prozent der Bevölkerung sind bereits zweifach gegen Covid geimpft und 60 Prozent haben schon ihre Boosterimpfung bekommen. Die hohe Impfquote sowie die natürlichen Immunisierungen durch Ansteckungen führen zu einem Herdeneffekt, der die Aufhebung der Restriktionen möglich macht. Die massenhaften Impfungen bewirken auch, dass die Erkrankungen fast immer leichte Verläufe aufweisen. Die am Anfang des Auftretens der Omikron-Variante von vielen befürchtete Überlastung des Gesundheitswesens, insbesondere der Intensivstationen der Krankenhäuser, ist nicht eingetreten. Am Tag der Ankündigung der Aufhebung der Restriktionen befanden sich 938 Menschen mit Covid-19-Diagnose in dänischen Krankenhäusern, 40 davon auf Intensivstationen. Das dänische Gesundheitssystem hat für diese Größenordnung ausreichende Kapazitäten, und es ist auch vorher nicht an seine Grenzen gestoßen.
Wahrung der Verhältnismäßigkeit
Nach den Worten von Ministerpräsidentin Frederiksen wäre eine Fortsetzung der Restriktionen nicht länger proportional im Verhältnis zur allgemeinen Gesundheitsgefahr. Ihr Tonfall hat sich entsprechend entdramatisiert. Sprach Frederiksen im April 2020 mit Blick auf Covid-19 noch von einer tödlichen Tragödie, wird die Krankheit im jetzigen Stadion auf gleicher Stufe wie die Grippe behandelt, die ebenfalls Tote fordert.
Die neue Einschätzung beruht nicht nur darauf, dass die jetzt vorherrschende Omikron-Variante zwar enorm ansteckend ist, aber deren Krankheitsverlauf auch vergleichsweise mild verläuft. Die massenhaften Ansteckungen machen es auch schier unmöglich, Infektionen nachzuverfolgen. Zudem müssten sich nach den alten Regeln im kleinen Königreich ständig mehrere Hunderttausend Menschen in Isolation befinden. Selbst wenn man Kinder und Rentner abzieht sowie viele, die trotz Erkrankung im Homeoffice weiterarbeiten, dürfte ein beträchtlicher Teil der arbeitenden Bevölkerung nicht an die Arbeitsplätze. Nicht zuletzt deswegen hatte man die empfohlene Isolationsperiode nach einem positiven Test bereits auf vier Tage verkürzt.
Gleichzeitig zeigen die aktuellen hohen Ansteckungszahlen aber auch, dass die Mehrheit der Bevölkerung Covid-19 nicht länger als unkalkulierbare Gefahrenquelle ansieht. Im Gegensatz zum Lockdown im Frühjahr 2020, als die Straßen leergefegt waren und die Menschen buchstäblich einen Bogen umeinander machten, werden die neuen Restriktionen seit Anfang Dezember ohnehin nur noch lax und eher unwillig befolgt. In den Tagen und Stunden vor dem Beschluss der Aufhebung der Restriktionen waren es nur die Gewerkschaften der Lehrer und Pädagogen sowie linke Parteien - die in diesem Spektrum viele Wähler haben - , die vor einem solchen Schritt warnten. Dass die Omikron-Variante sich besonders stark unter Kindern ausbreitet, wog letztlich aber leichter im Verhältnis zu den Auswirkungen der Restriktionen auf die anderen Teile der Gesellschaft.
Fazit steht noch aus
Corona hat auch in Dänemark Gewinner und Verlierer. Von den Maßnahmen zur Bekämpfung der Epidemie haben viele Migranten profitiert. Die Arbeitslosigkeit liegt bei dieser Gruppe in allen Altersstufen deutlich über der der angestammten Dänen. Coronatests und Impfungen haben gerade Einwanderern etliche Jobs beschert. Es bleibt abzuwarten, ob dies zum Abbau von Vorurteilen führte und ihnen auch künftig den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert.
Die dänischen Behörden werden in den kommenden Monaten detailliert Bilanz ziehen, was die Beschränkungen in Arbeitsleben und Gesellschaft, die Kompensationen für Wirtschaft und Kultur die Allgemeinheit gekostet haben. Insgesamt ist Dänemark gut durch die Krise gekommen. Die Staatsschulden sind nur leicht gestiegen, der Export boomt und die Nachfrage nach Arbeitskräften ist hoch.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.