- Sport
- Kinderfußball im DFB
Weniger Druck, mehr Spaß am Spiel
Mit einer Revolution im Kinderfußball will der DFB mehr Erfolgserlebnisse für die Kleinen schaffen und die Vereine stärken
Eigentlich, findet Ronny Zimmermann, ist Fußball doch ein recht simples Spiel. Vor allem für Kinder. Die sollten auf dem Platz »so häufig wie möglich den Ball selbst am Fuß haben, aktiv am Spiel teilnehmen und möglichst viele Tore schießen«. Das aber ist im Nachwuchsbereich meist nicht gewährleistet. Viele Erwachsene würden sich selbst an Jugendzeiten erinnern, sagt der für Kinder- und Jugendfußball zuständige Vizepräsident beim Deutschen Fußball-Bund (DFB), in denen die schwächsten Spieler der Mannschaft oft nur herumstanden. Dieser Missstand, der unweigerlich dazu führt, dass viele Kicker in jungen Jahren dem Fußball wieder den Rücken kehren, soll jetzt behoben werden. Dafür trommelt der 60 Jahre alte Funktionär Zimmermann unaufhörlich. Nach Beschluss beim DFB-Bundesjugendtag vom vergangenen Wochenende soll auf dem von Frankfurt nach Bonn verlegten 44. ordentlichen Bundestag des DFB am 11. März eine Revolution auf den Weg gebracht werden: Punktspiele und Tabellen soll es nicht mehr geben, dafür werden dann Spielenachmittage und Festivals ausgerichtet.
Der Plan sieht vor, dass von der G-, F- bis zur E-Jugend kleinere Mannschaften auf kleineren Feldern und auf Mini-Tore spielen. Das soll mehr Ballkontakte und mehr Erfolgserlebnisse bringen. Deutschland will endlich jenen Status quo schaffen, der beispielsweise in der Schweiz schon längst üblich ist, um die Bolzplatzmentalität zu fördern. Betroffen sind bundesweit deutlich mehr als 500 000 registrierte Spieler und Spielerinnen. Gekickt wird künftig am Anfang nur noch im Zwei-gegen-Zwei, Drei-gegen-Drei oder Vier-gegen-Vier, erst später auch im Fünf-gegen-Fünf oder Sieben-gegen-Sieben. Zimmermann hat bei Probeläufen in seinem Heimatverein VfB Wiesloch in Baden-Württemberg nicht in die Gesichter der Trainer oder Eltern geschaut, sondern die Kinder beobachtet: »Die hatten Spaß. Und darum geht’s!«
Der DFB hat dazu eine zweijährige Pilotphase mit Beteiligung aller 21 Landesverbände durchlaufen - und macht nun ab der Saison 2024/2025 ernst. Kritiker, die einst pauschal dem Dachverband vorwarfen, den Fußball kaputtzumachen, würden heute bereits deutlich differenzierter argumentieren, heißt es. Zimmermann sagt: »Wir müssen wie Kinder denken, nicht wie Erwachsene. Die Reform soll den gesamten Fußball und seine Vereine an der Basis langfristig stärken.«
Und es gibt noch einen wichtigen Nebeneffekt: Die Bedeutung von Kopfbällen nimmt rapide ab. Die sollen in jungen Jahren - im Gegensatz zu den Kontakten am Fuß - drastisch reduziert werden, weil es aufgrund von Studien aus Großbritannien Hinweise auf Langzeitschäden bis hin zu häufiger Demenz im hohen Alter gibt. Zwar rät DFB-Mediziner und Nationalmannschaftsarzt Tim Meyer im Erwachsenenfußball nicht grundsätzlich vom Kopfball ab und will auch kein Verbot wie in England für unter Zwölfjährige aussprechen, empfiehlt aber im Kinder- und Jugendbereich deutlich weniger Kopfbälle in Training und Spiel. Die Reform kommt da wie gerufen: Je kleiner das Spielfeld, desto weniger Bedeutung hat das Kopfballspiel. Wenn es keinen Abstoß, keinen Einwurf und keine Ecken gibt, kommt es kaum zu Duellen in der Luft. Das schont die Kleinsten, die stattdessen das »Köpfen mit Köpfchen« lernen sollen, um die Grundtechnik zu beherrschen. Dafür werden Luftballons oder leichte Bälle zugeworfen.
Dass bei der Reform des Kinderfußballs mit Vorbildern aus anderen Ländern trotzdem noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten ist, negiert Florian Weißmann, Experte aus dem DFB-Jugendausschuss, gar nicht. Der Widerstand in den 21 Landesverbänden sei »teilweise brutal« gewesen. Immer noch seien an der Basis dicke Bretter zu bohren, etliche Fußball-Kreise würden sich weiter sperren, »die gilt es zu überzeugen.« Und natürlich »jeder Verein, jeder Trainer - da ist noch ein anspruchsvoller Weg vor uns.« Weißmann findet: »Der Deutsche hat Schwierigkeiten, sich gegenüber Veränderungen aufgeschlossen zu zeigen.« Für Zimmermann gibt es keine Alternative mehr, denn: »Unser Ziel ist es, ab der D-Jugend perspektivisch keine Spieler mehr zu verlieren.«
Die Corona-Pandemie hat schließlich auch den Fußball nicht verschont. Im Vergleich zu 2019 hat der DFB 2021 knapp fünf Prozent seiner 1,6 Millionen Mitglieder unter 18 Jahren verloren. Das ist prozentual ungefähr die Größenordnung anderer Sportarten wie Turnen, Tennis, Leichtathletik oder Handball. Der mit 7,3 Prozent größte Schwund zeigte sich für den Fußball bei den 15- bis 18-Jährigen. Erklärung: Hier griff der zweite Lockdown am stärksten, fanden weder Training, geschweige denn Spiele statt.
Zimmermann bedauert im Rückblick, dass auch der deutsche Fußball gebetsmühlenartig betont habe, der Sport sei ein Teil der Lösung, das Argument aber unter der »großen Walze« verschwunden sei. Noch heute sei es »anstrengend«, mit der Politik über die große Bedeutung von Sport und Bewegung ins Gespräch zu kommen. Und er war erschrocken, »welche geringe Bedeutung der Breitensport an entscheidenden Stellen genießt«. Er fordert: »Das muss sich ändern. Grundlegend.« Denn die knapp 25 000 Vereine müssen mehr denn je um jeden Kicker hart kämpfen, wie Weißmann plakativ formuliert: »Fußball und Feuerwehr sind nicht mehr das einzige Angebot im Dorf.« Ein Lichtblick: Im Kinderbereich von sechs bis elf Jahren geht die Zahl der Aktiven seit dieser Saison wieder nach oben.
Gerade für Jungs aus Familien mit Migrationshintergrund bleibt der Fußball die mit Abstand interessanteste Sportart, die auch am leichtesten die Integration fördert. Ein Problem ist es allerdings, die Mädchen für den Volkssport Nummer eins zu begeistern. Ungeachtet einer gestiegenen medialen Aufmerksamkeit für den Fußball der Frauen ist dort die Zahl dramatisch rückläufig. Von der Spielzeit 2016/2017 bis zur vergangenen Saison 2020/2021 hat sich die Zahl der aktiven Spielerinnen von 279 640 auf 131 467 mehr als halbiert. Allein bei den Mädchen gab es einen Rückgang von 40 000 Spielerinnen in den vergangenen fünf Jahren - und der gefährliche Negativtrend ist ungebrochen. Bei diesem auf Dauer für den deutschen Fußball der Frauen sehr bedrohlichen Thema, gibt Zimmermann zu, »haben wir noch keine Lösung gefunden«.
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