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Wie geht Liebe ohne Patriarchat?
Heteropessimist*innen empfinden Bedauern, Scham und Hilflosigkeit angesichts der eigenen Heterosexualität
Die meiste Zeit der anhaltenden Pandemie war ich Single. Als heterosexuelle cis Frau mit queerfeministischen Ansprüchen begleitet mich ein hartnäckiger Pessimismus in Bezug auf mein eigenes Liebesleben. Heterosexualität kommt mir einsam vor, nicht nur als Single, sondern auch als Paar oder als Familie. Ich habe Angst davor, dass Freund*innen mit zunehmendem Alter eine weniger große Rolle spielen, dass es schwieriger wird, das Leben mit anderen zu teilen.
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Vor einiger Zeit gab es eine englischsprachige Debatte, die dieses Gefühl aufgreift: Im Oktober 2019 veröffentlichte die Autorin Asa Seresin auf dem US-amerikanischen Online-Magazin »The New Inquiry« den Artikel »On Heteropessimism: Heterosexuality is nobody’s personal problem«. Seresin erfindet darin den Begriff Heteropessimismus, womit sie den emotionalen Zustand heterosexueller Menschen bezeichnet, die Bedauern, Scham und Hilflosigkeit angesichts der eigenen Heterosexualität empfinden. Seitdem ich diesen Artikel gelesen habe, geht mir der Begriff nicht mehr aus dem Kopf.
Seresin argumentiert in ihrem Artikel, dass viele heterosexuelle Menschen jegliche Hoffnungen, etwa auf eine gleichberechtigte Liebesbeziehung, aufgegeben hätten. Heteropessimismus ermögliche, sich »präventiv gegen die allgegenwärtige Schrecklichkeit der heterosexuellen Kultur sowie den scharfen Einbruch des alltäglichen romantischen Schmerzes zu betäuben«. Seresin spricht davon, dass Heteropessimismus es vermeiden will, anhänglich und emotional zu erscheinen. Dabei würde Heteropessimismus jedoch trotz der oberflächlichen Ablehnung normative Formen der Heterosexualität sogar stabilisieren. Heteropessimist*innen würden sich zwar lautstark darüber beschweren, heterosexuell zu sein, zum Beispiel bei ihren lesbischen Freundinnen, jedoch keinesfalls mit neuen Liebesformen experimentieren. Der Artikel beschreibt, dass Heteropessimismus außerdem oft als antikapitalistische Position formuliert werde, nämlich als Ablehnung des Heteropaares als Konsumeinheit. Längst seien es im zeitgenössischen Kapitalismus jedoch Individuen, die aufgefordert seien, zu konsumieren. Sie erwähnt etwa eine Werbekampagne der Datin-App Tinder, die das Single-Dasein als die beste Lebensform feiert.
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Ich verstand: Dem Heteropessismus, auch meinem eigenen, ist nicht zu trauen, weil er einzig und allein individualisierende Unzufriedenheit hervorbringt. Heteropessimismus verhindert sozialen Wandel gerade dadurch, dass Personen dauerhaft präventiv enttäuscht sind. Ich fühlte mich ertappt, aber auch gefangen. Ich will nicht dauerhaft präventiv enttäuscht sein, sondern Patriarchat und normative, binäre Geschlechtervorstellungen kritisieren und trotzdem Liebesbeziehungen eingehen – nur wie?
Die naheliegende Lösung, nämlich sich individuell von Heterosexualität zu verabschieden, scheint mir zumindest aktuell jedoch keine Option zu sein. Ich will nicht meiner Sexualität, sondern meinem hartnäckigen Pessimismus entkommen, dem ich unterstelle, sich auf alle Liebes- und Lebensformen auszubreiten. Ich will raus aus der Individualisierung, die mit dem Heteropessimismus einhergeht. Als heterosexuelle Single-Frau hatte ich lange das Gefühle, meine emotionalen Bedürfnisse erst los werden zu müssen, um »cool genug« für Dating zu sein. Inzwischen bin ich zu folgender Überzeugung gelangt: Ich kann eine heterosexuelle Beziehung führen oder nicht, dem Heteropessimismus entkomme ich nur, wenn ich meine Bedürfnisse, mein Begehren und meine Sexualität liebevoll willkommen heiße, zusammen mit der Verletzlichkeit, die damit einher geht, und ohne dabei das Ziel aus den Augen zu verlieren, das Patriarchat abzuschaffen.
Heteropessimismus als Phänomen kann uns vielleicht auch etwas darüber sagen, wie das Patriarchat funktioniert. Denn das Patriarchat funktioniert nicht über einzelne Menschen (etwa: alle cis Männer), sondern enthält Verhaltensmuster, Bilder, Ängste, Strukturen, die durch uns alle gehen, auch wenn wir ganz unterschiedlich positioniert und privilegiert sind. Die Scham darüber, emotional bedürftig zu sein, ist Teil der heutigen Mechanismen des Patriarchats. Manche kommen weniger in Kontakt mit ihr als andere, etwa da sie durch ihre privilegierte Position gewohnt sind, dass für sie gesorgt wird. Doch eigentlich betrifft sie uns alle. Ich deute Heteropessimismus deswegen als Zeichen einer Sehnsucht, aus dem Patriarchat aussteigen zu können, ohne sich dabei verletzlich zu machen. Der Wunsch ist, mit all dem nichts mehr zu tun zu haben. Doch wir können nicht aus dem Patriarchat aussteigen, indem wir uns isolieren. Das Patriarchat schaffen wir nur gemeinsam ab.
Sich selbst am meisten, aber auch andere lieben - Bei Solo-Polyamorie wird die eigene Unabhängigkeit klar priorisiert. Doch das schließt langfristige, intime Verbindungen mit anderen Partner*innen nicht aus.
Heterosexualität kann mit einer Vielzahl an Bildern auffahren, wie wir angeblich zu sein hätten, ob als Single, Paar oder Familie. Diese Bilder können Orientierung geben, aber auch den Möglichkeitsraum sehr eng erscheinen lassen, darin etwas Eigenes zu finden, insbesondere wenn wir politische Ansprüche an uns selbst oder unsere heterosexuelle Beziehung stellen.
Um dem Heteropessimismus zu entkommen, schlage ich vor, Beziehungen zu führen: nicht die eine heterosexuelle Liebesbeziehung oder das unabhängige Single-Leben, sondern ein Leben, dem wir eigene Bedeutung geben, in Verbindung mit Anderen und uns selbst. Dafür können sich heterosexuelle Personen durchaus an queeren Lebensformen orientieren, die schon lange und aus der Notwendigkeit heraus Wahlfamilien und solidarische Netzwerke leben. In Verbindung mit anderen und uns selbst zu sein, ist Voraussetzung für ein widerständiges Leben, das sich der Heteronorm genauso wie der Single-Norm und der Einsamkeit widersetzt.
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