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»Die Jugend sieht sich besonders in der Pflicht«
Die studentische Aktivistin Nyein Chan May über den Zustand der Demokratiebewegung in Myanmar ein Jahr nach dem Putsch
Als vor einem Jahr der Putsch stattfand, waren Sie bereits in Deutschland. Wie halten Sie Kontakt nach daheim, und mit welchen Gefühlen schauen Sie heute auf Ihr Heimatland?
Ich nahm es bereits als Bedrohung wahr, als der heutige Sprecher der Junta am 26. Januar 2021 bei einer Pressekonferenz auf eine diesbezüglich Frage sagte, eine Machtübernahme könne er nicht ausschließen. Doch viele Leute im Land konnten sich einen erneuten Putsch nicht wirklich vorstellen. Am 31. Januar las ich dann im Facebook-Post eines Freundes, der als Kritiker bekannt ist, dass Soldaten vor seinem Haus standen. Daraufhin versuchte ich am 1. Februar, meine Familie zu erreichen. Aber das Militär hatte alle Kommunikationswege zunächst unterbrochen. Auch heute wirkt das alles zum Teil noch unwirklich. Ich bin ja 15 Jahre unter einer Militärdiktatur aufgewachsen, mein Onkel hat sogar 20 Jahre im Gefängnis gesessen.
Sie selbst waren früher studentische Aktivistin. Nach dem Putsch war die sogenannte Generation Z als erste auf der Straße. Was bedeutet der Widerstand gerade für Myanmars Jugend?
Er bedeutet Verantwortung. Eine Verantwortung, diese Tyrannei des Militärs in unserer Zeit zu beenden. Wir sehen uns da in der Pflicht. Außerdem hatte ja gerade die Generation Y (Millenials) und Z (Post-Millenials) die Chance, in zehn Jahren den Geschmack von Freiheit zu kosten. Dieser Demokratisierungsprozess hat den jungen Leuten viel gebracht. Und gerade deshalb ist bei ihnen jetzt das Gefühl besonders stark: Das müssen wir verteidigen.
Myanmar erlebte bereits jahrzehntelang Militärherrschaft. Prägende Gestalten waren erst Ne Win ab 1962, später das Regime von Senior General Than Shwe ab den 1990ern. Was unterscheidet die jetzige Junta von früheren?
Junta ist Junta, sage ich immer. Aber ein Unterschied ist die Fehleinschätzung der heutigen Führung. Als er sich an die Macht putschte, rechnete Min Aung Hlaing nicht damit, wie stark der Widerstand sein kann - insbesondere aus der jungen Generation. Früher waren die Proteste stets nach wenigen Monaten vorbei, brach der Widerstand unter der Repression erst einmal zusammen. Doch das ist diesmal anders. Auch nach einem Jahr kann das Militär seine Macht nicht stabilisieren, können sie das Land nicht komplett regieren.
In ihrer fünfjährigen Regierungszeit ab 2015 hat die NLD unter Suu Kyi versucht, mit ihrer Regierung dem weiterhin einflussreichen Militär die Stirn zu bieten. Bei der sogenannten Safranrevolution von 2007 gegen die damalige Diktatur waren vor allem Mönche prägend. Heute sind vorrangig einfache Menschen auf der Straße. Hat sich diesmal die Zivilgesellschaft stärker von solchen organisierten Gruppen emanzipiert?
Ja, das kann man so sagen. In den zehn Jahren der Demokratisierung ist die Zivilbevölkerung stärker geworden. Und säkularer. Das Militär hat ja auch nach der Safranrevolution religiöse Spannungen instrumentalisiert. Und in der Geschichte haben Machthaber immer die Religion für ihre Zwecke missbraucht. Es ist nicht zuletzt der Wille zur Veränderung an dieser Front, der speziell die Jugend schon länger eine Nation mit föderaler Demokratie und einem säkularen Staat fordern lässt.
Die im April gegründete Regierung der Nationalen Einheit (NUG) ist der Versuch, in einem Land mit 135 anerkannten ethnischen Minderheiten eben diese stärker einzubeziehen. Hat die Widerstandsbewegung so weiter an Breite gewonnen?
Ich würde sagen, ja. Wenn man den Austausch in Myanmar verfolgt, sich mit Kontakten unterhält, gibt es zwar auch Kritik an der NUG. Doch dass da ein Vertreter der Kachin an die Spitze gewählt wurde, mit einer Karen und anderen Minderheiten-Vertretern in weiteren Positionen, das hat ein sehr positives Echo gefunden. Zudem unterstützen inzwischen viele die NUG, die vorher an der NLD-Regierung durchaus einiges kritisiert hatten. Das war ein echter Sprung nach vorn für mehr Vielfalt.
Die People Defence Forces (PDF) und lokale Bürgermilizen sowie immer mehr Rebellengruppen, die teils nach längerer Befriedung wieder zu den Waffen greifen: Wie stark setzt dieser Vielfrontenkrieg dem Regime zu, das erst dieser Tage den Luftwaffenchef ab- und den Oberkommandieren der Nordwestregion umsetzte?
Das wirkt sehr massiv, wie man auch in einheimischen Medien immer wieder sehen kann. Es schlägt sich massiv auf die Moral der Truppen nieder. Die einfachen Soldaten werden ja mit Propaganda, Falschinformationen und teilweise Gehirnwäsche manipuliert, damit sie gegen das eigene Volk kämpfen, damit sie töten und foltern. Die Familien derjenigen, die an der Front sind, leben ja abgeschirmt in Kasernen, streng bewacht und ohne Informationszugang.
Gerade erklärten die westlichen Ölkonzerne Total Energies und Chevron ihren Rückzug vom Gasfeld Yadana. Auffallend viele Firmen aus Ländern, deren Regierungen den Putsch kritisiert haben, sind aber noch im Land aktiv. Gehen Profitinteressen vor?
Dass sich die beiden Energieriesen zurückziehen, ist ein direkter Erfolg der internationalen Solidarität, die Druck ausgeübt hat. Aber natürlich gibt es im Westen immer die Sorge, dass gerade Firmen aus China, Russland oder Thailand nur bereitstehen, in die Lücken zu springen. Aber klar ist: Wenn solche großen Konzerne gehen, trifft das die Junta.
Welche Erwartungen haben Sie an die EU und die neue deutsche Regierung?
Es gibt eine einzige legitime Regierung Myanmars - das ist die NUG. Mit der sollte die deutsche Regierung noch mehr Kontakt pflegen. Unverständlich ist zudem, dass in Berlin außer der Botschaft auch der Militärattaché seinen Sitz hat: ein Offizier, der durch Massaker im Shan State als Kriegsverbrecher bekannt ist. Gegen seine Anwesenheit hier protestieren wir. Ich bin aber auch dankbar, dass die Lage in Myanmar hierzulande immer wieder Thema ist, gerade in den Medien.
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