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- Nachwuchsfußball: Lohndumping beim FC Bayern
Ermittlungen in »großer Sache«
Dem FC Bayern und anderen Fußballklubs wird Lohndumping bei Trainern im Nachwuchsbereich vorgeworfen
In der Dämmerung brennt das Flutlicht: Während auf einem der acht Fußballplätze eine Jugendmannschaft des FC Bayern gerade ihre Einheit beendet hat, übt auf einem anderen Feld der rund 30 Hektar großen Anlage eine einzelne Spielerin, angeleitet von zwei Trainern. Es ist später Nachmittag - und die Szenerie auf dem Campus des Münchner Weltklubs trägt fast idyllische Züge, hier am Rande des Naturschutzgebietes Südliche Fröttmaninger Heide.
In zweieinhalb Kilometern Luftlinie vom Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) des FC Bayern entfernt, erhebt sich am nördlichen Stadtrand gut sichtbar die Münchner Arena mit ihren 75 000 Zuschauerplätzen. Zwischen dem 2005 eröffneten und für 340 Millionen Euro gebauten Stadion und dem Campus, der 2017 für 70 Millionen fertiggestellt wurde, lebt in einer Magerrasenlandschaft Bayerns die bedeutendste Population der Wechselkröte. Auch der bedrohte Falter Idas-Bläuling hat hier im Stadtgebiet seinen Verbreitungsschwerpunkt im Freistaat gefunden. Viele Fans des FC Bayern kommen dagegen eher aus jenen ländlichen Gegenden des nahen bis fernen Umlands, in denen die Welt angeblich noch in Ordnung ist. Doch oft trügt eine Idylle ja.
Inwieweit das auch für den Campus des FC Bayern gilt, ist seit einiger Zeit Gegenstand von Ermittlungen. Wieder einmal, nachdem bereits im Sommer 2020 ein Rassismusskandal im Münchner NLZ für Aufsehen gesorgt hatte. Damals ging es vor allem um den Straftatbestand der Volksverhetzung in Chatgruppen. Ein Jugendtrainer des FC Bayern stand im Zentrum des Skandals. Der Verein trennte sich von ihm sowie weiteren Mitarbeitern - und verurteilte die Vorfälle natürlich. Seit fast einem Jahr beschäftigt den Klub das nächste heikle Thema. Es geht um mutmaßliche Verstöße gegen das Mindestlohngesetz am Campus. Inzwischen soll der millionenschwere FC Bayern keine Trainer mehr auf 450-Euro-Minijob-Basis beschäftigen, womöglich auch wegen der vorherigen Medienberichte zum Thema. Zuvor aber sollen Jugendtrainer des Vereins nicht angemessen bezahlt, sondern trotz umfangreicher Arbeits- und Betreuungszeiten mit Dumpinglöhnen abgespeist worden sein. Das Hauptzollamt München wurde dazu von der Staatsanwaltschaft München I mit Ermittlungen beauftragt.
Kurz vor dem Jahresende 2021 wurde dann bekannt, dass gegen aktuelle und ehemalige Vorstandsmitglieder der FC Bayern München AG ermittelt wird: Oliver Kahn (Vorsitzender), Hasan Salihamidzic (Sport), Jan-Christian Dreesen (Finanzen) und Andreas Jung (Marketing), auch gegen Kahns Vorgänger Karl-Heinz Rummenigge, der im Sommer 2021 in den Ruhestand ging und das ehemalige Vorstandsmitglied Jörg Wacker. Sie alle gelten demnach als Beschuldigte.
Das WDR-Magazin »Sport inside« hatte zuerst darüber berichtet und dabei aus einem Scheiben des Zolls zitiert, wonach es um den Verdacht »des Vorenthaltens und der Veruntreuung von Arbeitsentgelt« gehe sowie um das mutmaßlich »nicht richtige Führen von Stundenaufzeichnungen, Nichtgewährung des Mindestlohns«. Konkret schilderten Jugendtrainer, sie seien angehalten worden, beispielsweise auf Turnieren nur die Nettospielzeit als Arbeitsstunden aufzuschreiben, nicht aber die sonstige Reise- und Betreuungszeit. Oliver Kahn sagte zu den Vorfällen Ende Dezember: »Selbstverständlich kooperieren wir in dieser Angelegenheit vollumfänglich mit den Behörden. Es liegt in unserem Interesse, dass diese Vorgänge restlos aufgeklärt werden.« Seither ist es ruhig. Einmal abgesehen davon, dass Salihamidzic am Montag im Zuge der Vertragsverlängerung mit dem 16-jährigen Talent Paul Wanner die »exzellente Arbeit« am Campus lobte.
Fragt man auf Seiten der ehemaligen Jugendtrainer nach, decken sich die Eindrücke nicht mit Kahns Versprechen. Vielmehr agiere der FC Bayern nicht kooperativ und bestreite die Vorwürfe, heißt es. Einige Jugendtrainer hatten gegen den Klub geklagt, nachdem dieser ihnen gekündigt hatte. Die Kündigungen seien mit der Begründung ausgesprochen worden, dass die Coaches Betriebsgeheimnisse gegenüber Medien verraten hätten, angeblich auch im Zuge des Rassismusskandals. Für den kommenden Dienstag ist eine erste Entscheidung des Arbeitsgerichts in der Frage angesetzt, ob einem Nachwuchscoach rechtmäßig gekündigt worden ist. Unabhängig davon geht es für mehrere ehemalige Jugendtrainer um die Zahlung des mutmaßlich rückständigen Mindestlohns. Dieser kann bis zu drei Jahre rückwirkend eingeklagt werden. Sie streben einen Vergleich an, bei der letzten Verhandlung vor dem Arbeitsgericht soll vom Verein aber ein viel zu niedriges Angebot gemacht worden, heißt es.
Im Hintergrund laufen derweil beim Hauptzollamt jene Zeugenbefragungen, die Aufschluss geben sollen, inwieweit die Vorwürfe des Lohndumpings zutreffen. Ein Eingeweihter spricht davon, dass durch die Behörde »ein Verstoß gegen das Mindestlohngesetz in ziemlich vielen Fällen« festgestellt werden dürfte. Käme es wirklich so, ergäbe sich daraus der Straftatbestand des Sozialversicherungsbetrugs. Angeblich geht es allein in München um rund 20 betroffene Jugendtrainer. Die Staatsanwaltschaft München I und das zuständige Hauptzollamt möchten sich aktuell nicht äußern. Das liegt auch daran, dass dies während laufender Ermittlungen in mutmaßlichen Steuerstrafsachen nicht erlaubt wäre. Hinzu kommt, dass in Ermittlerkreisen schon deshalb von einer »großen Sache« die Rede ist, weil es um den FC Bayern geht.
Der deutsche Branchenprimus ist aber nur der prominenteste Verein, gegen den ermittelt wird. Betroffen sind auch der FC Augsburg sowie mindestens je ein weiterer Bundesligist und Zweitligist. Das geht aus einer Antwort des Bundesfinanzministerium auf eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Victor Perli (Die Linke) hervor. Der Politiker sagte jüngst zu »Sport inside« über das offenbar verbreitete Lohndumping: »Das ist doch zynisch. Das sind Vereine, die zahlen ihren Spielern und Funktionären Millionen. Und für die in der zweiten Reihe, die den Nachwuchs trainieren und für künftige Erfolge mitverantwortlich sind, ist nicht mal Mindestlohn da?« Der Deutsche Fußball-Bund und die Deutsche Fußballliga seien gefordert, den Vereinen klare Vorgaben zu machen.
Im Fall des FC Augsburg wird schon länger ermittelt. Bereits am 3. August 2021 hatte es eine Razzia durch 61 Mitarbeiter der Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Hauptzollamtes Augsburg in insgesamt drei Objekten gegeben, dabei waren auch drei Staatsanwälte im Einsatz. Zahlreiche Unterlagen wurden beschlagnahmt. »Derzeit läuft weiterhin die Auswertung der sichergestellten Unterlagen, das Verfahren dauert an. Eine Prognose, wann mit einem Verfahrensabschluss zu rechnen ist, kann nicht gegeben werden«, heißt es von der Staatsanwaltschaft Augsburg auf Anfrage. Womöglich kann zumindest die Auswertung der Unterlagen im ersten Quartal abgeschlossen werden, weitere Schritte könnten folgen. Wie es beim FC Augsburg weitergeht, dürfte auch den FC Bayern und die anderen Vereine interessieren, gegen die ermittelt wird.
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