»Wir brauchen Lösungen für die besetzten Gebiete«

Der Bericht von Amnesty International über Israel stößt vor Ort auf ein breites Spektrum von Reaktionen - von Zustimmung bis Ablehnung

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit Tagen sorgt der Bericht »Israels Apartheid gegen die Palästinenser« von Amnesty International für Schlagzeilen. Auf rund 280 Seiten listet die Menschenrechtsorganisation detailliert die Gründe dafür auf, warum man zu dem Schluss gekommen ist, dass in Israel Apartheid herrsche. Doch im Bericht geht es nicht um das, was der Kopf automatisch mit dem Begriff verbindet: Von systematischer Trennung von Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, der Entrechtung schwarzer Menschen, wie man sie aus aus Südafrika und den US-amerikanischen Südstaaten in Erinnerung hat, ist keine Rede. Stattdessen wird eine lange Liste von Beschlagnahmungen palästinensischen Landes und Besitzes präsentiert, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, verweigerter Staatsbürgerschaft, Inhaftierungen ohne Anklage oder Gerichtsurteil, und der israelischen Politik und Verwaltung wird vorgeworfen, eine »Judaisierung« des Landes in den Vordergrund zu stellen.

Die Missstände des Berichtes werden schon seit mehreren Jahren auch von israelischen Menschenrechtsgruppen kritisiert, und immer wieder mal tauchte auch in den sehr vielen Berichten dazu der Begriff »Apartheid« auf. Doch es ist nun das erste Mal, dass er nicht nur sehr plakativ im Titel genannt wird, sondern auch Dutzende Male im Bericht selbst. Wie man darauf kommt, wird dabei stets nur am Rande erklärt: »Im internationalen Strafrecht stellen bestimmte ungesetzliche Handlungen, die mit der Absicht begangen werden, ein System der Unterdrückung und Beherrschung aufrechtzuerhalten, das Verbrechen gegen die Menschlichkeit Apartheid dar«, heißt es in einer Stellungnahme der Organisation. Dabei bezieht man sich auf Artikel 7 Absatz 1 Ziffer j und Absatz 2 Ziffer h des Römischen Statuts, das die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs regelt.

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Amnesty International fordert deshalb unter anderem ein Waffenembargo und finanzielle Sanktionen gegen Israel. Doch dass die internationale Gemeinschaft der Forderung nachkommen wird, ist ausgesprochen unwahrscheinlich, denn statt um den Sachverhalt gehe es nun vor allem um Begriffe, wie beispielsweise Ayman Odeh, Chef der linken arabisch-jüdischen Chadasch-Partei, sagt: »Die einen brüllen ›Apartheid‹, die anderen schreien ›Antisemitismus‹, und keiner redet davon, wie wir die altbekannten Probleme in den Griff bekommen.«

Vor allem in Deutschland und Israel ist die Kritik an der Wortwahl massiv: Propalästinensische Aktivist*innen in der arabischen Welt und im Westen sehen sich bestätigt; dort hantiert man schon seit Langem mit Begriffen wie Apartheid, aber auch Genozid.

Die Bundesregierung indes distanzierte sich, und eine große Zahl deutscher Kommentatoren moniert - zusammengefasst -, durch die Verwendung des Begriffs Apartheid werde nun der auf Israel bezogene Antisemitismus weiter angefacht. Es werde aufgrund des historischen Kontextes des Apartheid-Begriffs ein Israel-Bild vermittelt, das nicht existiert.

Denn in Israel gibt es keine Trennung von Arabern und Juden. Es gibt die Besatzung im Westjordanland und Ost-Jerusalem, den isolierten Gazastreifen und auch die vielen kleinen und großen Probleme und Spannungen, die sich daraus ergeben, dass in der Region nicht nur Araber*innen, sondern auch Jüd*innen unterschiedlicher Herkunft und mit unterschiedlichen politischen und religiösen Ansichten leben. Und auch: dass mit dem Sechstagekrieg eine Situation entstanden ist, für die es bis heute keine Lösung gibt.

Das größte Problem: Im Laufe der Zeit ist das Thema Besatzung durch eine jahrelange Regierungskrise in Israel und ein wachsendes Desinteresse im Westen und in der arabischen Welt auf der Tagesordnung weit nach hinten gerückt, genauso wie die Frage, was mit dem Gazastreifen passieren soll. Stattdessen konnte die israelische Rechte den Siedlungsbau vorantreiben und eine Gesetzgebung durchsetzen, die den Gedanken eines jüdischen Nationalstaats betont. Denn in der Ära Benjamin Netanjahu war Weiterregieren alles.

Bei arabischen Staatsbürgern Israels und Einwohnern der palästinensischen Autonomiegebiete sowie in Ost-Jerusalem sind die Reaktionen auf den Bericht verhalten: Er sei schlicht einer von vielen, heißt es dort überwiegend, und er ändere auch nichts an der Situation. »Wir müssen einfach ständig daran arbeiten, unsere Probleme zu lösen«, sagt Esawi Freij, Minister für regionale Kooperation und arabischer Abgeordneter der linksliberalen Meretz-Partei, »und das bedeutet auch, dass wir anfangen müssen, uns als Staatsbürger*innen zu sehen und nach Lösungen für die besetzten Gebiete zu suchen.«

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