Eine Region im Fokus der Strategien Pekings und des Westens

Nicht nur China und andere Anrainerstaaten erheben Anspruch auf das Südchinesische Meer, wollen dessen Ressourcen und strategisch wichtige Inseln kontrollieren

  • Ramon Schack
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Spätsommer des vergangenen Jahres, während die Weltöffentlichkeit gebannt die Flucht der US-Truppen aus Afghanistan verfolgte, tingelte US-Vizepräsidentin Kamala Harris durch Südostasien, um die von Washington geplante Allianz gegen die Volksrepublik China in ein engeres Korsett zu schnüren. Während auf allen Kanälen Bilder liefen, welche das katastrophale Scheitern der geopolitischen Strategie der USA und des Westens am Hindukusch illustrierten, geißelte Harris in Singapur Chinas »aggressives Verhalten« im Randmeer des Pazifischen Ozeans. »Peking übt weiterhin Druck aus, schüchtert ein und erhebt Anspruch auf einen Großteil des Südchinesischen Meeres«, klagte Harris - so als sei dieses Meer nicht Teil der chinesischen Hemisphäre, sondern ein Binnengewässer der USA.

Die Region sei für die Sicherheit und den Wohlstand der USA von entscheidender Bedeutung und daher eine Priorität für die Außenpolitik Washingtons, machte die Vizepräsidentin deutlich. Unbeantwortet blieb dagegen die Frage, wie denn Washington darauf reagieren würde, wenn China den Golf von Mexiko oder die Karibik als entscheidend für die eigene Interessen deklarieren würde. Harris beschloss ihren Auftritt mit dem Versprechen, dass die Vereinigten Staaten ihre Verbündeten in der Region angesichts der Gefahr nicht im Stich lassen würden.

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Das Südchinesische Meer steht schon seit langem im Fokus der Planer in Washington und Peking. Zu Beginn des Jahres 2007 erfand der indische Marinestratege Gurpreet S. Khurana den Begriff »Indopazifik« und brachte diesen in die geopolitische Debatte ein. Inzwischen wurde diese Begrifflichkeit - sehr zum Entsetzen des Urhebers - uminterpretiert. Die Wortschöpfung verfolgte ursprünglich das Ziel, den indischen Subkontinent mit seiner Riesenbevölkerung mit den Boom-Regionen Ostasiens am Pazifik in Verbindung zu setzen. Sie sollte den Anspruch Indiens untermauern, der Volksrepublik China auf dem Weg zum Status einer Weltmacht zu folgen.

Traditionell wurden die Anrainerstaaten des Indischen Ozeans - in diesem Fall die asiatischen Anrainerstaaten, denn dieser Ozean reicht auch an die Küsten Ostafrikas und West-Australiens - als Südasien betrachtet, getrennt von den südost- und ostasiatischen Pazifikanrainern. Beim »Indopazifik« handelt es sich also um einen relativ neuen Begriff, der aber an Bedeutung gewinnt und daher eine immer stärkere Verwendung findet. Der langjährige Konflikt um das Südchinesische Meer, als integraler Bestandteil der Region »Indopazifik«, wird zwischen mindestens sechs Staaten ausgetragen: China, Brunei, Vietnam, Taiwan (ein international nur bedingt anerkannter Staat), Malaysia und den Philippinen. Diese Länder beanspruchen das Südchinesische Meer sowie die dort liegenden Inselgruppen - die Paracel-Inseln (beansprucht von China, Vietnam und Taiwan) und das Spratly-Archipel (beansprucht von China, Brunei, Vietnam, Malaysia, Taiwan und den Philippinen).

Peking fordert volle 90 Prozent der umstrittenen Gebiete als Teil des Territoriums der Volksrepublik. Hierbei handelt es sich um eine Fläche von mehr als einer Million Quadratmeilen, die sich von Taiwan bis Malaysia erstreckt. Peking stützt seinen Anspruch auf eine Nachkriegskarte aus dem Jahr 1947, die auch als »Neun-Punkte-Linie« bekannt ist. Dieser durchaus imperiale Anspruch Pekings wird von den anderen Anrainerstaaten als illegal betrachtet, wobei man sich auf das UN-Seerechtsübereinkommen und die Bestimmungen über die freie Schifffahrt beruft. 2016 entschied ein internationales Gericht unter Vermittlung des Ständigen Schiedshofs in Den Haag (das Verfahren war von den Philippinen angestrengt worden), dass die Gebietsansprüche Chinas im Südchinesischen Meer unbegründet sind. Das Problem hierbei: Die Volksrepublik erkennt die Zuständigkeit des Haager Gerichtshofs nicht an.

Die Inseln im Südchinesischen Meer sind vor allem aufgrund der Logistikwege und der dort vorhandenen Bodenschätze von immenser Bedeutung - nicht nur für die Anrainerstaaten, sondern auch für die USA, deren Stellung als Supermacht auf dem permanenten Zugang zu den natürlichen Ressourcen der Welt basiert. Schätzungsweise 40 Prozent des Welthandels werden über dortige Schifffahrtswege und die Straße von Malakka vollzogen, und etwa 80 Prozent der chinesischen Öl- und Gaseinfuhren werden dort verschifft. Vor 50 Jahren wurden bei den Inseln außerdem riesige Reserven an Bodenschätzen entdeckt, nach US-Angaben geht es dabei um elf Milliarden Barrel Öl und 5,9 Billionen Kubikmeter Gas. Chinesische Wissenschaftler gehen sogar von 230 Milliarden Barrel Öl- und 16 Billionen Kubikmeter Gasvorkommen aus. Hinzu kommt, dass etwa zwölf Prozent des weltweiten Fischfangs im Südchinesischen Meer erfolgt, wie Statistiken aus dem Jahr 2015 belegen. Macht man sich bewusst, wie groß der Bedarf an Fisch und Meeresfrüchten ist, wird die Bedeutung des Meeres als Nahrungsquelle deutlich. Es trägt bei zur Versorgung einer chinesischen Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen und von einer weiteren halben Milliarde in den Anrainerstaaten Indonesien, Brunei, Vietnam, Malaysia und die Philippinen.

Darüber hinaus ist die militärstrategische Komponente beim Streben nach Kontrolle des Meeres von enormer Bedeutung. Die Pekinger Militärdoktrin analysiert hier defensiv ausgerichtet, aber mit Nachdruck, dass das Südchinesische Meer für Chinas U-Boot-Waffe entscheidend ist, um nach einem US-Angriff den westlichen Pazifik mit einem Gegenschlag erreichen zu können.

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