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Ein Mann neuen Typs
Japans Eiskunstlaufstar Yuzuru Hanyu patzt in Peking, die Liebe seiner Fans bleibt
Wenn der schmale Mann aus Japan das Eis betritt, regnet es Kuscheltiere. Fans aus der ganzen Welt widmen Yuzuru Hanyu Figuren von Pu der Bär, seit er vor Jahren einmal Taschentücher mit dem Branding des gelben Bären benutzt hatte. »Nach den Wettkämpfen verschenke ich sie immer weiter an Kindergärten«, sagt 27-Jährige. »Aber ich bin immer voll von Glück bei diesen Liebesbekundungen der Fans.«
Auf dem Olympischen Eis von Peking musste er bei seinem ersten Auftritt am Dienstag ohne die Gaben aus Plüsch auskommen. In China ist Pu der Bär seit einigen Jahren ein Politikum. Als Staatschef Xi Jinping 2013 den damaligen US-Präsidenten Barack Obama traf, kursierten in sozialen Medien rasch Bilder, die die zwei Politiker mit dem rundlichen Pu und dessen schlaksigen Freund Tigger gleichsetzten. Bald darauf wurden Pu-Bilder in China zensiert. Und da bei diesen Winterspielen inmitten der Pandemie nur heimisches Publikum erlaubt ist, waren Regelbrüche auch kaum zu erwarten.
Im Vorfeld der Spiele hatte Hanyu angekündigt, als erster Athlet einen vierfachen Axel in einem Wettkampf zu zeigen. Doch am Dienstag gelang ihm der Traumsprung nicht, nach der Kurzkür liegt er abgeschlagen auf Rang acht. Am Ende seines Auftritts in Peking hatte Yuzuru Hanyu Tränen in den Augen. Das dritte Olympiagold ist nur noch theoretisch möglich. Stattdessen führt vor der Kür am Donnerstag Hanyus US-amerikanischer Rivale, Weltmeister Nathan Chen.
Yuzuru Hanyu zählt in seiner Heimat zu den beliebtesten Persönlichkeiten des Landes. So titelte die Tageszeitung Mainichi Shimbun Mitte letzter Woche voller Begeisterung, als Hanyu bei seiner Ankunft in Peking von lokalen Fans bejubelt wurde: »Die Popularität des Eiskunstläufers Yuzuru Hanyu sorgt für Freude inmitten der strengen Quarantäneregeln.« Die Qualitätszeitung Asahi Shimbun begreift sich gar als Sprachrohr des Athleten: »Hanyu postet Videomessage und bittet Fans um Unterstützung.« Und das kaisertreue Yomiuri Shimbun wagt es, den Mann als »Prinz Hanyu« zu bezeichnen.
Die Popularität von Yuzuru Hanyu ist aber nicht nur wegen seiner sportlichen Leistungen beachtlich. Im ostasiatischen Land steht er auch für ein alternatives Männerbild. Denn Japan ist zwar eine freie Gesellschaft, zumal mit hohem Bildungsgrad und geringer Religiosität. Was Geschlechterrollen angeht, ist das Land dennoch sehr konservativ. Mädchen wachsen mit dem Ideal vom Niedlichsein auf, während die Jungen höfliche, aber harte Kerle werden sollen. Gewohnheiten der Geschlechtertrennung schließen nicht nur Kleidung und Gestik ein, sondern auch Hobbys und sogar den Gebrauch von Sprache.
Yuzuru Hanyu scheint mit Vielem davon zu brechen. Selbst unter Eiskunstläufern fallen seine Bewegungsabläufe als besonders geschmeidig und weich auf; so schwerelos, als müsste er gar keine Kraft aufwenden. Vor seinen Auftritten wird er oft in der Maske gefilmt. Seine Gestik auf Siegerpodien und auf Pressekonferenzen wirkt im japanischen Kontext typisch weiblich. In sozialen Medien wird seit Jahren spekuliert, ob Hanyu homosexuell sei. Auch der beliebte Filmregisseur Takeshi Kitano hat dies öffentlich insinuiert.
Schon derlei Diskussionen offenbaren den Konservatismus der japanischen Gesellschaft, was sexuelle Orientierungen und Geschlechterrollen angeht. Wohl auch deshalb hat sich bisher kein aktiver Profisportler in Japan als homosexuell geoutet. Wobei Hanyu nicht nur für Spekulationen über seine Sexualität gesorgt hat, sondern auch Diskussionen über Männerbilder befeuert. Denn ein Mann seines Ranges ist unweigerlich auch ein Vorbild für den Nachwuchs. Für den in Japan ohnehin relativ beliebten Sport weckt er, der 2014 in Sotschi als 19-Jähriger sein erstes Olympiagold holte, seit Jahren großes zusätzliches Interesse.
Nicht jeder heißt dies gut. Die mächtige Konservative bemängelt seit Jahren, Kinder würden zu weich erzogen, deswegen mangele es den jungen Menschen von heute an Durchhaltevermögen. Die Jugend in Japan hätte zu viel von allem, so ein beliebtes Argument: in Wohlstand aufgewachsen, umgarnt von der Aufmerksamkeit der Mütter, verweichlicht von allzu viel Verständnis seitens der Lehrer. Im Ergebnis fehlten Japan heute nicht nur erfolgreiche Sumoringer, sondern auch mutige Unternehmer. Yuzuru Hanyu ist die Gegenthese. In Interviews und bei Auftritten auf dem Eis sieht man ihm denn nicht nur seine vermeintlich weibliche Seite an, sondern auch seinen mentalen Fokus, der ihn seit Jahren an der Weltspitze hält.
Beim Publikum kommt er damit an. Eine Umfrage der Sasakawa Sports Foundation erklärte Hanyu im vergangenen Jahr zum beliebtesten Sportler Japans, noch vor den extrem populären Baseballspielern Ichiro Suzuki und Shohei Ohtani sowie der Tennisspielerin Naomi Osaka. Wobei vor allem Frauen für Hanyu fiebern. Unter Männern liegt Hanyu nicht einmal unter den Top 20 japanischer Sportler.
Hanyus Bonus bei Frauen könnte wiederum auch das Ideal von Männlichkeit in Japan nachhaltig verändern. Denn indem allseits bekannt ist, dass Frauen auch ein vermeintlich weiblicher Typ gefällt, trauen sich womöglich mehr Männer, entsprechende Seiten an sich zuzulassen. Und da es weiterhin vor allem Frauen sind, die für die Kindererziehung zuständig sind, könnte die nächste Generation traditionellen Männerklischees ohnehin weniger nacheifern. Auch ohne ein weiteres Gold in Peking dürfte Yuzuru Hanyus Einfluss jenseits des Sportlichen zumindest noch einige Zeit bleiben. Denn viel geredet wird über den »Prinz« auch jetzt.
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