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Scharfe Kritik in ruhigem Ton
Gesundheitsminister Lauterbach bezeichnet Vorstoß zur Impfpflichtaussetzung als falsches Signal
Am Dienstag traten in der Bundespressekonferenz zwei an die Öffentlichkeit, die immer noch mehr als genug mit der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie zu tun haben und sich zudem aktuell mit politisch-persönlichen Angriffen beziehungsweise landespolitischen Querschüssen konfrontiert sehen: Lothar Wieler, Chef des Robert-Koch-Instituts und derzeit Zielscheibe für Kritik aus den Reihen der FDP wegen der Verkürzung des Genesenenstatus auf drei Monate. Und Karl Lauterbach, SPD-Bundesgesundheitsminister, der mit ansehen muss, wie der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) mal eben ganz nonchalant versucht, das gültige Gesetz zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht zu ignorieren.
Anzumerken ist den beiden davon nichts. Lauterbach in seiner gewohnt etwas spröden Art, Wieler sachlich-ruhig, erläutern denn auch zuerst die aktuelle Corona-Situation. Und die ist nach Ansicht Lauterbachs weiterhin »schwierig«: Nach wie vor steigende Fallzahlen, eine Hospitalisierungsrate, »mit der wir nicht wirklich zufrieden sein können«, und eine Lage, »die nicht wirklich unter Kontrolle« ist, zählt der Gesundheitsminister auf. Dennoch, mit den derzeitigen Maßnahmen gelinge es, die Omikron-Welle »einigermaßen zu kontrollieren«. Mit schnellen Öffnungen und einer Rücknahme von Maßnahmen würde man aus Sicht Lauterbachs diese Welle »deutlich verlängern«. Die Diskussion um Lockerungen findet er deshalb »fehl am Platz«. »Wir haben derzeit eine funktionierende, erfolgreiche Strategie, diese ohne Not jetzt zu gefährden, kann nicht unser Ziel sein«, so Lauterbach.
Als der Gesundheitsminister schließlich auf Söders Vorstoß zu sprechen kommt, die einrichtungsbezogene Impflicht in Bayern aussetzen zu wollen, ändert sich Lauterbachs Tonfall höchstens kaum merkbar. Was allerdings nichts an der Schärfe ändert, mit der er sowohl Söder als auch medizinisches Personal, das sich nicht impfen lassen will, kritisiert. Die Impflicht, so Lauterbach, sei keine »Schikane gegen das Personal«, sondern es gehe um den Schutz »der vulnerablen Personen« in den Einrichtungen. Als Arzt sei es für ihn auch nicht nachvollziehbar, dass sich medizinisches Personal nicht impfen lasse. Die Entscheidung Söders sende zudem das vollkommen falsche Signal aus, nämlich dass »der Protest gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht auf der Straße« wichtiger sei »als der Schutz der Menschen, die hilflos auf eine gute Versorgung warten«.
Heftige Kritik kommt auch aus anderen Bundesländern, Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel. So erklärte Landesgesundheitsministerin Stefanie Drese (SPD) nach einer Kabinettssitzung am Dienstag, Söders Vorhaben sei »eine Politik zu Lasten alter Menschen«. Auch wenn noch Fragen zu klären seien, werde Mecklenburg-Vorpommern die Impflicht umsetzen.
Ebenfalls empört über den CSU-Mann ist man bei der Linkspartei. Gegenüber »nd« erklärte Susanne Ferschl, bayerische Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag: »Markus Söders CSU hat sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat der einrichtungsbezogenen Impfpflicht zugestimmt. Jetzt kommt die Rolle rückwärts.« Dieses Manöver sei im Hinblick auf die bayerische Landtagswahl im nächsten Jahr durchschaubar. »Dass Ministerpräsident Söder allerdings jetzt, nachdem die CSU in der Opposition ist, die Gesetzgebungskompetenz des Bundes in Frage stellt, ist schon beachtlich«, so Ferschl. »Diese ›Mia-san-mia‹-Mentalität ist an Arroganz wirklich kaum zu überbieten - besser wäre, der bayerische Ministerpräsident würde statt markiger Worte durch sachliches Pandemie-Management beeindrucken.«
Neben Kritik erntet Söders Vorstoß allerdings auch Zustimmung und Verständnis. Bereits am Montagabend hatte sich der neue CDU-Chef Friedrich Merz hinter Söder gestellt und erklärt: »Wir müssen noch einmal neu darüber nachdenken, wie wir mit diesem Thema Impfpflicht umgehen.« Die CDU habe damals zwar zugestimmt, allerdings in der Annahme, dass die Probleme gelöst werden könnten. Die Forderung nach einer Aussetzung sei »ganz einhellige Meinung von Präsidium und Bundesvorstand der CDU«.
Am Dienstag äußerte die Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes, Gerda Hasselfeldt, dann Verständnis für die Aussetzung. Es seien bei der Umsetzung der Pflicht noch zu viele Fragen offen, erklärte die frühere CSU-Politikerin im RBB-Inforadio. Offen sei zum Beispiel die Frage, was passiere, wenn eine Pflegeeinrichtung wegen fehlenden Personals ihren Versorgungs- und Qualitätsauftrag nicht mehr erfüllen kann: »Muss dann die Einrichtung geschlossen werden?«, fragte Hasselfeldt. Solange diese Fragen nicht geklärt seien, »wird es Unruhe in den Einrichtungen geben«, warnte Hasselfeldt. »Deshalb habe ich Verständnis für die Forderung der Aussetzung.«
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