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Bombardierung mit Vorgeschichte
Beim Gedenken in Dresden soll der Blick über den 13. Februar hinaus geweitet werden
Die Wege sind nicht lang. Wer einen Tag lang durch den Dresdner Norden fährt, kann einen Friedhof besuchen, auf dem in den NS-Jahren die toten Kinder von Zwangsarbeiterinnen bestattet wurden. Er kann das heutige Tagungsgebäude einer Unfallversicherung passieren, in dem vor 80 Jahren die Elite des NS-Staates herangezogen wurde. Ein genossenschaftliches Wohnprojekt, das damals Teil des Rüstungsunternehmens Zeiss-Ikon war. Oder das Festspielhaus Hellerau, dessen Ostflügel einst von Polizei und SS genutzt wurde. Am Weg könnte auch der Heidefriedhof liegen, auf dem nach der Zerstörung Dresdens am 13. Februar 1945 viele Bombenopfer bestattet wurden.
Dieser 13. Februar dominierte jahrelang die Erinnerung, wenn es um Dresden in der NS-Zeit und im Zweiten Weltkrieg ging. An dem Tag wurde die sächsische Stadt von den Alliierten aus der Luft angegriffen. Das Stadtzentrum wurde großflächig zerstört; rund 25.000 Menschen starben. Noch das NS-Regime begründete den Mythos von der Zerstörung einer »unschuldigen« Kulturstadt. In der frühen DDR war von »anglo-amerikanischem Bombenterror« die Rede. Diese Formulierung griffen Nazis auf, die um die Jahrtausendwende zu Tausenden an »Trauermärschen« zum Gedenken an einen angeblichen »Bombenholocaust« teilnahmen und so die Geschichte verdrehten. Große Teile der Bürgerschaft verharrten derweil in »stillem Gedenken«. Die Stadt habe »jahrzehntelang eine Opfergeschichtsschreibung« gepflegt, heißt es heute kritisch.
Die Formulierung findet sich im Aufruf für einen Wettbewerb, der damit endgültig brechen will. Ziel ist die Gestaltung eines »Gedenkareals« im Dresdner Norden, das markante Orte der NS-Zeit in einen Zusammenhang stellen soll. Damit solle in der Öffentlichkeit ein »Bewusstsein« geschaffen werden, »dass die Bombardierung Dresdens eine zwölfjährige Vorgeschichte hatte«. So steht es im Aufruf, den das Amt für Kultur und Denkmalschutz der Landeshauptstadt gestartet hat. Man wolle »dieses dunkle Kapitel der Stadtgeschichte an den historischen Orten kontextualisieren«, sagte die Dresdner Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch (Linke).
Ganz neu ist diese Sichtweise nicht. Seit Jahren findet zum Jahrestag der »Mahngang Täterspuren« statt, der den Blick auf die Rolle Dresdens im NS-System richtet. Sie war Gauhauptstadt und frühe Hochburg des Nationalsozialismus, bereits 1933 Ausstellungsort für die denunziatorische Schau »Entartete Kunst«, später Zentrum der Rüstungsindustrie und Drehscheibe für Truppentransporte. Der »Mahngang« wird von Engagierten aus der Zivilgesellschaft vorbereitet und ist inzwischen ein fester Teil des Dresdner Gedenkens. Seine zwölfte Auflage widmet sich dieses Jahr »Rollenbildern im Nationalsozialismus«.
Zunehmend bemühen sich aber auch andere Initiativen, den Blick zu weiten. Ein Beispiel: Die AG »13. Februar«, die vor 13 Jahren ins Leben gerufen wurde, um angesichts der Vereinnahmung durch die rechte Szene und tiefgreifender Konflikte in der Stadtgesellschaft neue Formen des Gedenkens zu finden. Zu diesen gehört etwa die Menschenkette, die seit 2010 als symbolischer Schutzring um die Stadt gebildet wird und nach einer durch die Pandemie bedingten einjährigen Pause erneut stattfinden soll. Sie werde ein Zeichen für ein »friedliches Miteinander in Vielfalt« setzen, sagte Ursula Staudinger, die Rektorin der TU Dresden, die als Anmelderin fungiert. Geplant sind zwei kürzere Ketten neben der Kreuz- und der Frauenkirche, die Coronaregeln gerecht werden sollen.
Die AG 13. Februar sieht den Jahrestag der Zerstörung weiter als »zentrales Datum der Stadtgeschichte«, sagt Justus H. Ulbricht, Chef des Dresdner Geschichtsvereins und Mitglied der Gruppe. Zugleich will man aber auch dort »den Blick weiten« und auf die gesamte NS-Zeit richten, fügt er an. So könne man die Kompetenz, die sich das aus Kommunalpolitik und Zivilgesellschaft besetzte Gremium erarbeitet hat, »für andere Themen fruchtbar machen«.
Theoretisch wäre sogar denkbar, dass sich die AG oder einige dort Engagierte mit dem geplanten »Gedenkareal« im Dresdner Norden befassen. Die Ausschreibung der Stadt richtet sich neben Architekten und Historikern explizit an Vertreter von Gedenkstätten oder erinnerungspolitischen Initiativen. Sie haben zunächst bis Anfang März Zeit, ihr Interesse zu bekunden; der Wettbewerb läuft dann bis Juni. Eine Realisierung der Ideen werde bereits für 2023/24 »angestrebt«, heißt es.
Etwas mehr Zeit lässt sich die TU Dresden bei einem Vorhaben, das den Blick ebenfalls auf die Jahre von 1933 bis 1945 lenkt. Die Hochschule wolle ihre eigene NS-Geschichte untersuchen, kündigt Staudinger an. Dazu soll eine Gruppe von Nachwuchswissenschaftler*innen im Frühjahr die Arbeit aufnehmen. Präsentiert werden sollen die Ergebnisse zum 200. Gründungsjubiläum im Jahr 2028.
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