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Kamila Walijewa: Gedopte Prinzessin
Die 15-jährige Eiskunstläuferin Kamila Walijewa wurde vorm Jahreswechsel schon positiv getestet, das Resultat indes platzt mitten in die Spiele. Ein Rechtsstreit beginnt
Seit diesem Winter läuft sie bei den Erwachsenen mit und bisher gab es noch keinen Frauenwettbewerb, den Kamila Walijewa nicht gewonnen hätte: Nach den Europameisterschaften im Januar gewann sie mit der russischen Mannschaft am Montag auch den Teamwettbewerb und damit ihr Olympiagold. Die 15-jährige Eiskunstläuferin wird mit Fug und Recht als Jahrhunderttalent bezeichnet.
Doch spätestens seit am Dienstag die Medaillenzeremonie des Teamwettbewerbs verschoben wurde, wegen »rechtlicher Unklarheiten«, wie das Internationale Olympische Komitee (IOC) mitteilte, sind dunkle Wolke über der Eisprinzessin aus Kasan aufgezogen. Zum einen starten die Russen wegen des erwiesenen staatlich orchestrierten Dopings bei den Winterspielen 2014 noch nicht einmal unter russischer Flagge, dazu kommt die angespannte politische Großwetterlage mit den Spannungen an der ukrainisch-russischen Grenze, die dem Skandal, in dessen Zentrum Walijewa nun steht, zusätzliche Brisanz verleihen. Seit Freitag ist die Teenagerin der Mittelpunkt eines olympischen Dopingskandals, der auch nicht vorbei sein wird, wenn der Internationale Sportgerichtshof Cas ein erstes Urteil darüber gesprochen hat, ob Walijewa nun an der Frauenkonkurrenz am kommenden Dienstag teilnehmen darf oder nicht.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Doch der Reihe nach erst einmal die bekannten Fakten: Kamila Walijewa wurde am 25. Dezember 2021 von der russischen Antidopingagentur Rusada bei den russischen Meisterschaften in St. Petersburg getestet. Wegen früherer Dopingbetrügereien ist derzeit kein russisches Labor bei der Weltantidopingagentur Wada anerkannt, weswegen die Proben an das Wada-akkreditierte Labor der Stockholmer Karolinska-Universität geschickt wurden. Dieses informierte die Rusada am 8. Februar, also erst sechs Wochen später, darüber, dass die Eiskunstläuferin Walijewa positiv auf Trimetazidin getestet worden sei: ein Herzmedikament, das üblicherweise gegen Angina pectoris angewendet wird, aber seit 2014 im Sport als leistungssteigernde Substanz verboten ist.
Als die russische Seite vom positiven Test informiert wurde, hatte Walijewa bereits einen Tag zuvor Gold mit dem Team gewonnen - für die Russen also ein echtes Image-Desaster. Regelgerecht suspendierte die Rusada die Sportlerin umgehend und teilte dies dem IOC bzw. der Internationalen Testorganisation Ita mit, die bei den Spielen für Antidoping zuständig ist.
Für die junge Russin waren die Spiele damit vorerst beendet. Doch die Sportlerin legte Einspruch ein und bekam am nächsten Tag die Gelegenheit, sich gegenüber der Rusada zu den Vorwürfen zu äußern. Nach dieser Anhörung am Mittwochabend entschied die russische Antidopingagentur, die Suspendierung wieder aufzuheben. Plötzlich war die Wunderläuferin wieder berechtigt, in der Pekinger Eishalle zu trainieren und am Dienstag im Einzel anzutreten.
Die Rusada kündigte an, zeitnah eine Begründung zu veröffentlichen, doch darauf wiederum wollten weder das IOC noch die Ita warten. Letztere veröffentlichte am Freitag eine Erklärung und kündigte an, Berufung gegen die Aufhebung der Suspendierung vor dem Cas einzulegen. Dieser muss nun im Eilverfahren möglichst vor Dienstag eine Entscheidung fällen.
Ungeachtet aller juristischen Kämpfe trainierte Europameisterin Walijewa am Freitag im Capital Indoor Stadium vor den Augen von Eteri Tutberidse ihre Vierfachsprünge und Pirouetten. Zu den Vorwürfen äußerte sie sich nicht, ebenso wenig ihre Trainerin Tutberidse. Viele Fragen rund um den Fall sind ungeklärt, vor allem diejenige, die auch in Russland immer wieder gestellt wird: Wieso dauert es sechs Wochen, bis das Testergebnis aus Stockholm an die Rusada übermittelt ist? »nd« fragte am Freitag in Stockholm nach. Eine Sprecherin teilte im Auftrag von Anton Pohanka, Direktor des Dopingkontrolllabors des Karolinska-Universitätskrankenhauses, mit, es sei dem Labor »in keiner Weise erlaubt, sich zu einem laufenden Verfahren zu äußern«. Dies verstoße gegen den Wada-Ethikcode.
Dr. Hans Geyer, dessen Labor im Institut für Biochemie der Deutschen Sporthochschule Köln für die Wada Dopingtests durchführt, sagte am Freitag gegenüber »nd«, dass ein Resultat üblicherweise »innerhalb von 20 Kalendertagen« vorzulegen sei. »Bei Verzögerungen, beispielsweise bei technischen Problemen, ist die Testing Authority zu informieren.« Diese Testautorität sei in diesem Fall die Rusada: »Die hätte informiert werden müssen.«
Ist bei der Rusada eine Information über eine Verzögerung der Tests eingegangen? Dies wollte »nd« von der Rusada wissen. Doch die russische Antidopingagentur wollte derlei spezifische Fragen gestern nicht beantworten, sondern antwortete nur in einer kurzen Mail auf die Anfrage. »In Kürze wird es auf der Website www.rusada.ru eine offizielle Stellungnahme der Rusada zu dieser Situation geben.«
Am Freitagnachmittag lag dann tatsächlich eine Stellungnahme vor, die allerdings wenig Erhellendes zu den nd-Fragen lieferte. Immerhin teilte Rusada aber mit, dass das Testresultat aus Stockholm am 7. Februar 2022 eingegangen sei. Es habe dann mit coronabedingter Verzögerung am 8. Februar vorgelegen. Zudem seien Ermittlungen gegen weitere Personen aus dem Umfeld der Athletin in Gang gesetzt worden, schließlich sei Walijewa ja minderjährig.
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