Traberts Kampf um Platz zwei

Der Linke-Kandidat will in der Bundesversammlung vor AfD-Bewerber Max Otte landen. Wie das gelingen könnte

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 5 Min.

Gerhard Trabert erreicht man derzeit nur sehr schwer. Der Terminkalender des 65-Jährigen könnte voller kaum sein: Noch am Donnerstagnachmittag war Trabert, der bei der Wahl des Bundespräsidenten am Sonntag als Parteiloser für die Linke antritt, wieder mit seinem »Obdachlosenmobil« in Mainz unterwegs. Neben seinem Hauptberuf als Professor an der Hochschule Rhein-Main bietet der Sozialmediziner kostenlose ärztliche Versorgung für wohnungslose Menschen an, in dieser Rolle war er in den vergangenen Wochen einem breiten Publikum bekannt geworden.

Doch es ist längst nicht mehr nur der gewohnte Alltag, der den Terminplan des Präsidentschaftskandidaten prägt. Wenige Tage vor der Bundesversammlung, die aus Pandemiegründen erstmals seit 1989 nicht im Reichstagsgebäude, sondern - wegen der dort besser einzuhaltenden Abstände - verteilt auf mehrere Etagen im benachbarten Paul-Löbe-Haus stattfinden wird, ist Gerhard Trabert ein gefragter Mann.

Am Dienstag absolvierte er gleich mehrere Pressetermine. Am Mittwoch reiste er zu einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Mecklenburg-Vorpommerns linker Bildungsministerin Simone Oldenburg nach Schwerin. Im Anschluss daran ging es direkt weiter nach Bremen, wo am Donnerstag eine mobile Impfaktion mit der linken Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard geplant war. Nach einem kurzen Zwischenstopp in Mainz für seine mobile Sprechstunde wird er schließlich am frühen Samstagnachmittag in Berlin erwartet und vor dem finalen Wahlakt letzte Details mit der Fraktion besprechen.

Völlig neue Erfahrungen für Trabert, der sich in diesen Tagen zwischen zwei Welten wähnt. Die raue Straße, die Schicksale und Brüche der dort lebenden Menschen sind ihm wohlbekannt. Nun lernt er, sich im Rummel der Berliner Politprominenz zurechtzufinden. Im Gespräch mit »nd.DieWoche« merkt man, dass ihm noch nicht so ganz wohl dabei ist: »Wenn ich sonst mit dem ›Arztmobil‹ fahre, Isomatten und Schlafsäcken verteile, dann ist das schon eine Umstellung, Interviews zu geben und mit Politikern zu reden, die häufig weit weg von dieser Lebenswelt sozial benachteiligter Meschen sind«, sagt er und bezieht in diese vorsichtig formulierte Kritik durchaus auch Vertreter*innen jener Partei mit ein, die ihn für die Wahl am Sonntag nominiert hat - freilich ohne Namen zu nennen und mit der Anmerkung, dass es »bei der Linken noch die meisten Ausnahmen gibt«.

Es geht um 88 Stimmen

Vergleichsweise ungezwungen äußert sich Gerhard Trabert, gemessen daran, dass er ab Sonntag Deutschlands neues Staatsoberhaupt sein könnte. Doch natürlich macht er sich keinerlei Hoffnungen, die Präsidentenwahl zu gewinnen. Ein Sieg des Amtsinhabers Frank-Walter Steinmeier, der von SPD, CDU/CSU, Grünen, FDP und Südschleswigschem Wählerverband (SSW) unterstützt wird, gilt als sicher. Bereits im ersten Wahlgang sollte Steinmeier die absolute Mehrheit klar erreichen. Doch der Linke-Kandidat hat sich für Sonntag ein anderes Ziel gesetzt, er will vor dem AfD-Bewerber Max Otte auf dem zweiten Platz landen: »Ich fände es fatal, wenn ein AfD-Kandidat mehr Stimmen bekommt als ein Kandidat, der das Thema soziale Ungerechtigkeit in den Fokus rückt.«

Vielleicht wird es in den Gesprächen mit der Fraktion am Samstagsnachmittag genau darum gehen: ob und wie er dieses Ziel erreichen kann. Die Aufgabe ist alles andere als einfach: Für die Linke sitzen nur 71 Delegierte in der Bundesversammlung, für die AfD 152. Hinzu kommen sechs Fraktionslose, die auch dem rechten Lager zuzuordnen sind. Trabert müsste also 88 Stimmen hinzugewinnen, um Otte zu schlagen - wenn alles normal läuft.

Doch denkbar ist, dass auch manche Delegierte der CDU/CSU sich für den AfD-Kandidaten entscheiden könnten. Immerhin tritt die Union ohne eigenen Kandidaten an, und gerade die ostdeutschen CDU-Landesverbände sind in jüngster Vergangenheit mehrfach durch Liebäugeleien mit der AfD oder deren Positionen aufgefallen. Beispiel: In Sachsen-Anhalt wehrte sich die CDU-Fraktion vehement gegen die Erhöhung des Rundfunkbeitrages und hätte beinahe eine gemeinsame Abstimmung mit der AfD erzwungen, hätte nicht Ministerpräsident Reiner Haseloff im letzten Moment dazwischengefunkt. Otte selbst ist in den 1990er Jahren in die CDU eingetreten, nach Bekanntgabe seiner Kandidatur für die AfD hat die CDU-Parteispitze ihm allerdings alle Mitgliedsrechte entzogen und ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet.

Um den Coup zu schaffen, muss Trabert nun also um zahlreiche zusätzliche Stimmen werben. Das könnte gelingen - beispielsweise durch vorhergehende Absprachen mit anderen Demokrat*innen. Ob es solche gegeben hat? Der Kandidat gibt den Unwissenden: »Ich habe keine Ahnung, was die Parteiführung im Hintergrund gemacht hat.« Er selbst kenne zwar »viele Sozialdemokraten und Grüne persönlich«, wie die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und Familienministerin Anne Spiegel (Grüne), mit ihnen gesprochen habe er aber vor der Wahl nicht.

Warum Trabert optimistisch ist

Nach »nd«-Informationen soll es Kontakte zu anderen demokratischen Fraktionen gegeben haben. Aus Parteikreisen hört man, Gespräche hätten stattgefunden - ob sie erfolgreich verliefen, steht gewiss bis Sonntag in den Sternen. Klar ist natürlich: Die Unterstützer*innen des Demokraten Steinmeier haben ebenfalls ein Interesse daran, die antidemokratische AfD möglichst weit hinten landen zu lassen. Und: Sie hätten rein rechnerisch keine Schwierigkeiten, ihre Stimmen zu gewissen Teilen Trabert zu leihen. Die fünf Unterstützerfraktionen kommen zusammen auf 1225 Sitze, also 83,2 Prozent - damit würde Steinmeier nur ganz knapp am Rekordergebnis von Theodor Heuss aus dem Jahre 1954 (85,6 Prozent) vorbeischrammen. Anders formuliert: Auf 100 bis 150 Stimmen könnte der amtierende Präsident bei seiner Wiederwahl verzichten.

Gerhard Trabert jedenfalls ist optimistisch, den zweiten Platz tatsächlich erreichen zu können: »Ich glaube schon, dass Mitglieder der Grünen und der SPD mit dieser Ampel-Koalition nicht zufrieden sind«, mutmaßt er, vor allem im Hinblick auf die Sozialpolitik: Die Erhöhung des Hartz-IV-Satzes um drei Euro in diesem Jahr sei »ein Skandal« und bedeute de facto, dass die Menschen preisbereinigt weniger Geld zur Verfügung haben. Hinzu kommt die Unzufriedenheit mancher Grüner, dass ihre Partei - anders als ursprünglich geplant - keine eigene Kandidatin aufgestellt, sondern sich um des Koalitionsfriedens willens hinter Steinmeier eingereiht hat.

Es ist also durchaus möglich, dass Trabert die Überraschung schafft. Ob es wahrscheinlich ist? Dazu erscheint der Abstand zu Otte eigentlich zu groß.

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