Steinmeier triumphiert und droht

Nach seiner Wiederwahl zum Bundespräsidenten richtet der Politiker eine Warnung an Wladimir Putin

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Für einen kurzen Moment ist Frank-Walter Steinmeier die einzige Person jenseits des Rednerpults, die im Berliner Paul-Löbe-Haus keine Maske trägt. Soeben hat die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas das Ergebnis der Bundesversammlung verkündet. Steinmeier hat mehr als 1000 Stimmen und damit rund 73 Prozent erhalten. Das bedeutet, dass er für fünf weitere Jahre das Amt des Bundespräsidenten ausüben darf. Steinmeier nimmt die Maske ab und umarmt seine Ehefrau Elke Büdenbender. In dem Saal herrschen am Sonntag strenge Vorschriften. Die Delegierten sitzen wegen der Corona-Pandemie mit Abstand zu ihren Nachbarn.

Während der Wahlgang läuft, kommen sich einige Delegierte allerdings beim gegenseitigen Fotografieren mit den Smartphones näher. Es herrscht eine entspannte und freundschaftliche Atmosphäre. Besonders beliebt ist die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie wird immer wieder nach einem gemeinsamen Foto gefragt. In der Bundesversammlung sitzen nicht nur Politiker. So haben die Grünen etwa den Virologen Christian Drosten nominiert, die SPD den Schauspieler Dietmar Bär, die Linke den Intensivpfleger Ricardo Lange und die CDU den Fußball-Bundestrainer Hansi Flick.

Nach Steinmeiers Wahl brandet Applaus auf. Zu den ersten Gratulanten zählen die chancenlosen Kandidaten. Neben Steinmeier sitzt der Sozialmediziner Gerhard Trabert, den die Linke ins Rennen geschickt hat. Er drückt seine Faust freundschaftlich gegen die von Steinmeier. Ebenso macht es Max Otte, den die AfD aufgestellt hat, und der deswegen in seiner Partei, der CDU, in Ungnade gefallen ist. Auch die Kandidatin der Freien Wähler, die Physikerin Stefanie Gebauer, gratuliert dem Bundespräsidenten.

Steinmeier hat zwar die Unterstützung von SPD, Grünen, FDP und Union, aber es gibt auch in diesen Parteien zuweilen unzufriedene Stimmen. So wurde Steinmeier während seiner ersten Amtszeit manchmal vorgeworfen, er sei zu zurückhaltend aufgetreten. Damit könnte es nun vorbei sein. Der frühere Außenminister, der seine Parteizugehörigkeit zur SPD als Staatsoberhaupt ruhen lässt, hält im Anschluss an seine Wahl eine kämpferische Rede. »Ich bin nicht neutral, was die Demokratie angeht. Wer sie angreift, wird mich zum Gegner haben«, ruft er in den Saal. Steinmeier macht schnell klar, wer seine Kontrahenten sind. In der Außenpolitik ist es der russische Präsident Wladimir Putin. »Wir sind inmitten der Gefahr eines Krieges in Osteuropa. Dafür trägt Russland die Verantwortung«, sagte der Bundespräsident. Man könne den russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine nicht missverstehen. »Das ist eine Bedrohung der Ukraine und auch so gemeint«, verkündet Steinmeier.

Achtungserfolge für Gerhard Trabert und Stefanie Gebauer

Die Verlegung der Nato-Truppen nach Osteuropa hält er hingegen für gerechtfertigt. Die Partnerstaaten in der Region könnten sich auf die Unterstützung der Bundesrepublik verlassen. Steinmeier hat auch eine Botschaft für den russischen Präsidenten. Putin solle nicht »die Stärke der Demokratie unterschätzen«. Gleichzeitig ruft Steinmeier ihn aber auch dazu auf, »mit uns nach einem Weg zu suchen, den Frieden in Europa zu bewahren. Lösen Sie die Schlinge um den Hals der Ukraine.«

Innenpolitisch empört sich Steinmeier über viele Menschen, die derzeit regelmäßig gegen die Corona-Maßnahmen demonstrieren. Er ist zwar auch offen für weitere Gespräche, nennt aber Bedingungen. »Diejenigen, die von einer Corona-Diktatur fabulieren, denen sage ich: Ich werde keine Kontroverse scheuen, aber die rote Linie verläuft bei Hass und Gewalt«, erklärt das Staatsoberhaupt. Im Januar hatte er Wissenschaftler und Bürger zu einer kontroversen Gesprächsrunde über Impfungen ins Schloss Bellevue eingeladen.

Während Steinmeier staatsmännisch auftritt, sieht man dem Linke-Kandidaten Gerhard Trabert an, dass er auch ein politischer Aktivist ist. Er trägt eine rote Krawatte, auf der in weißer Schrift steht: »Leave no one behind.« (»Lasst niemanden zurück.«) Trabert hat seine Kandidatur genutzt, um in zahlreichen Interviews und bei öffentlichen Auftritten Armut und soziale Ungleichheit in Deutschland anzuprangern. Das ist auch in Steinmeiers nobler Residenz nicht unbemerkt geblieben. Der Bundespräsident bietet Trabert in seiner Rede an, gemeinsam ins Gespräch zu kommen, um den Ärmsten in diesem Land mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. »Ihnen gebührt Respekt«, sagt Steinmeier in Richtung Trabert.

Dieser hat in der Bundesversammlung zumindest einen Achtungserfolg errungen. Nicht nur die Delegierten der Linkspartei haben für Trabert gestimmt. Die Linke entsendet 71 Mitglieder. Trabert bekommt 96 Stimmen. Auch Stefanie Gebauer erhält Stimmen aus anderen Lagern. Für sie votieren 58 Delegierte. Nur Max Otte dürfte an diesem Tag enttäuscht sein. Die AfD darf 151 Personen stellen, doch nur 140 Delegierte machen ihr Kreuz bei Otte.

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!