Twitter als Forum der Marktschreier

Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) sorgte mit einer Äußerung über Corona und Kinder auf Twitter für Empörung. Jetzt hat sie sich für den Abgang von der plattform entschieden.

  • Ben-Robin König
  • Lesedauer: 4 Min.

Der letzte Sturm war erst vor wenigen Tagen über Deutschland hergezogen, da brach an anderer Stelle schon ein neuer aus – die Twitter-Sphäre stolperte über eine beiläufige, gleichsam beachtenswerte Anmerkung. Wie schon mehrmals bewiesen, kann die Existenz (auf) dieser Plattform Karrieren fördern und beenden. Zunehmend steht sie als Beispiel für Verrohung, Spaltung und ungefilterten Hass. Und so wurde auch hier die Frage nach Täter*in und Opfer auf die Probe gestellt.

Die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz und schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien (CDU) verkündete ihren digitalen Abschied. Via Pressesprecher ließ sie verlauten, sie wolle sich erst einmal Gedanken machen, »ob und wie [sie] Twitter als Medium weiter zur Kommunikation nutze«. Im echten Leben gehe es letztlich auch kritisch, jedoch (angeblich) zivilisierter zu.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Was war passiert? Karin Prien trat bei Markus Lanz auf, so weit, so Abendprogramm. Es ging wieder einmal um Schulen in Zeiten von Corona sowie den Schutz von Kindern. Prien sagte Sachen, die sie auch sonst gerne sagt, wie »Corona ist für Kinder keine gefährliche Krankheit«. In der anschließenden Diskussion auf Twitter antwortete die Politikerin einer Kritikerin: »Bitte differenzieren: Kinder sterben. Das ist extrem tragisch. Aber sie sterben mit COVID_19 und nur extrem selten wegen COVID_19.« Daraufhin brannte kurz die Digitalhemisphäre lichterloh und Prien zog ihren Accountstecker.

Nun kann man sagen, Prien sei nicht die Erste, die sich lautstark von Twitter zurückzieht. Robert Habeck tat das dereinst reumütig, nachdem er in Landtagswahlkämpfen missverständliche Botschaften in den Äther zwitscherte. Die Grünen, so Habeck damals, seien die einzige demokratische Hoffnung. Die Koalitionsparteien sowie das eher »konservativere« Spektrum stellten sein Demokratieverständnis infrage. Auch in der Debatte um Todesfälle unter Kindern wurde nun mit Schmutz geworfen, was das Zeug hielt. Auf die erwartbare Entrüstung folgte, so will es das ungeschriebene Gesetz, der Aufruf zu Priens Rücktritt. Kurz darauf, davor, dazwischen, man weiß es nicht so genau, allerlei verbale Entgleisungen einschließlich NS-Vergleichen, vonseiten ihrer Kritiker*innen.
Ebenso dazwischen, neben all der Empörung und Wut, die Verzweiflung. Eben jene Verzweiflung der sogenannten Schattenfamilien, Angehörige von Kindern der Hochrisikogruppen, deren Nachwuchs tragischerweise am ehesten starb und stirbt. In Folge dessen veranstalteten die österreichische Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl gemeinsam mit der Autorin Jasmin Kuhnke eine Twitter-Gesprächsrunde zu Schattenfamilien. Zahlreiche massive Anfeindungen später sahen sich auch Strobl und Kuhnke dazu genötigt, Twitter zu verlassen – zumindest temporär.

Kommunikationstechnisch ist Priens Rückzug von der Höllenplattform geschickt – die Öffentlichkeit verliert sich zunehmend in einer Metadebatte über Diskussionskultur und wütenden Onlinemobs. Von Prien fehlt da fast schon wieder jede Spur, sie verbleibt lediglich als Adressatin. Zurück bleiben Eltern und Lehrkräfte, die sich – durchaus berechtigt – im wütenden Diskurs mit besagter Politikerin stellen wollten. Sie werden nun als infame Horde abgetan; der Marktplatz der Meinungen ist wieder einmal zum Forum der Marktschreier verkommen.

Eigentlich ist ein egalitärer Austausch gleichermaßen Grundidee wie Stärke des Kurznachrichtendienstes. Der Dialog zwischen normalerweise abgeschirmten Persönlichkeiten und Kleinstaccounts könnte basisdemokratischer kaum sein. Nur, wie viel Dialog ist auf 280 Zeichen begrenzt möglich? Inwieweit kommt dies politischer Kommunikation letztlich zugute?

Forcierte Knappheit lädt zu Verkürzung und Missverständnissen ein. Der Rückzug Robert Habecks ging mit der Erkenntnis von Fehlbarkeit einher. Die Causa Prien hätte auch ein Beispiel für erfolgreiche Kommunikation, für digitale Größe, für politische Demut sein können. Hätte, wenn die CDU-Politikerin an einem Dialog interessiert gewesen wäre. So jedoch erfüllt Prien mit ihrer eigens gewählten Opferrolle nur mehr die Erwartungen an sich selbst: Abseits von Falschdarstellungen und wiederholt sozialdarwinistischen Äußerungen bleibt, genau: nichts.

Ben-Robin König, geboren 1987, studiert Kulturjournalismus an Universität der Künste Berlin. Er befasst sich mit Politik und Popkultur und schreibt frei unter anderem für »Spex« und »tip Berlin«.

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