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  • Langlauf-Sensation bei Olympia

»Das ist doch völlig verrückt«

Katharina Hennig und Victoria Carl sprinten zu Langlaufgold. Im Weltcup konnten beide noch nie siegen

  • Lars Becker
  • Lesedauer: 5 Min.

»Wahnsinn, Wahnsinn, Wahnsinn« – Skilangläuferin Katharina Hennig konnte im Zielraum von Zhangjiakou gar nicht mehr aufhören zu schreien. Kurz hinter der Ziellinie erwartete sie ihre Teamkollegin Victoria Carl, die gerade mit einer unglaublichen Energieleistung für die wohl größte Sensation dieser Winterspiele sorgte. Dann fielen sich die beiden als Olympiasiegerinnen in die Arme – und anschließend fassungslos in den Schnee. Es war die erste Goldmedaille fürs deutsche Langlaufteam seit zwölf Jahren.

»Ich stand an der Ziellinie und dachte: Das ist doch völlig verrückt«, erklärte Hennig. »Wir sind momentan emotional völlig überfordert mit dem, was uns da geglückt ist.« Immerhin hatte Hennig im Weltcup noch nie gewinnen können. Carl stand noch nicht einmal auf dem Podium. Nun aber gewann sie mit winzigen 0,17 Sekunden Vorsprung einen dramatischen Krimi um Gold gegen die Schwedin Jonna Sundling, die sich wenige Tage zuvor noch Gold im Einzelsprint gesichert hatte. Wie Carl dieses Kunststück gegen die beste Sprinterin der Welt vollbracht hatte, wusste sie später selbst nicht so recht: »Ich dachte nur: Schieb, Schieb, Schieb! Ich hatte den Kopf völlig ausgeschaltet, da haben nur noch die Arme funktioniert.«

Ihre für eine Langläuferin sonst oft nachteilige Größe von 1,78 Metern und ihre mit viel Krafttraining gestärkten Oberarme wurden in diesem Moment zum Vorteil. So schob sie sich auf der langen Zielgerade noch an den am Ende drittplatzierten Russinnen und der Schwedin vorbei. Bronze wäre schon eine riesige Überraschung für das deutsche Duo gewesen, doch Gold war im Kampf gegen die sonst so überlegenen Langlaufnationen dieser Welt eine Sensation.

Der Rest war grenzenloser Jubel im gesamten Team, Lachen und Hüpfen für die beiden Olympiasiegerinnen auf dem Siegerpodest und viele Tränen bei Teamchef Peter Schlickenrieder an seinem 52. Geburtstag. »Das ist ein brutaler Traum. Ich könnte den ganzen Tag heulen. Ein schöneres Geburtstagsgeschenk kann man sich nicht wünschen«, kommentierte der deutsche Teamchef. Vor knapp vier Jahren hatte er seine Aufbauarbeit im damals darniederliegenden deutschen Skilanglauf begonnen. Im Ausdauersport ist es jedoch eine besonders beschwerliche Aufgabe, den Rückstand zu Topnationen wie Norwegen, Russland oder Schweden aufzuholen. Medaillen waren deshalb eigentlich erst bei Olympia 2026 eingeplant.

Der Bayer setzte bei der Aufholjagd auf eine Kombination aus starkem Teamgeist und viel Eigenverantwortung der Sportler. Vor Olympia hatten sich seine Topathleten sogar an den Kosten für Trainingslager beteiligt: »Sie sind finanziell ins Risiko gegangen.« Die Investition hat sich an diesem historischen Mittwoch in Olympiagold ausgezahlt: Schon nach dem überraschenden Silbergewinn für die Frauen-Staffel am vergangenen Samstag mit Hennig und Carl hatte sein Team alle Erwartungen übertroffen. Doch es sollte noch viel besser kommen.

Dabei hatte der Tag mit einem Schock begonnen. Die eigentlich für den Teamsprint vorgesehene Katherine Sauerbrey sagte ihren Start ab, weil sie sich nach den Belastungen in der ersten Woche nicht mehr topfit fühlte. Die Thüringerin Carl wurde als Ersatz auserkoren. »Ich war erst meganervös, schließlich war das mein erstes Rennen im klassischen Stil hier«, berichtete die 26-Jährige danach. Eigentlich ist sie in der freien Skating-Technik stärker. Doch Schlickenrieder und ganz besonders Frauen-Bundestrainer Erik Schneider rieten ihr, sich auf ihre Stärke im Armschub zu konzentrieren.

Das glückte im Halbfinale mit einem Sieg gegen die Titelverteidigerinnen aus den USA bereits unerwartet gut. Im Finale, in der die zwei Läuferinnen jedes Teams jeweils dreimal im Wechsel die Sprintrunde durchlaufen mussten, wirkte Carl bei ihren ersten Umläufen aber geschwächt. Hennig (»Ich bin in der Form meines Lebens«) musste jeweils ein kleines Loch zulaufen, das Carl zuvor zu ihren Gegnerinnen hatte aufreißen lassen.
Aber das war blanke Taktik, wie Hennig danach verriet: »Ich musste die Arbeit machen, damit Vicki sich für den Zielsprint schonen kann.« Der Plan ging perfekt auf: Auf den letzten 200 Metern stürmte Chefcoach Schneider im Betreuerbereich parallel zu Carl mit und brüllte sie zum Sieg.

»Chapeau! Wie Victoria das auch taktisch in Weltklassemanier hinbekommen hat, war unglaublich«, meinte Teamchef Peter Schlickenrieder: »Das zeigt, was für eine unglaubliche Entwicklung das ganze Team genommen hat. Dieser Olympiasieg ist eine Teamleistung, die ohne Trainer, Physiotherapeuten, Ärzte oder Wachser nie möglich gewesen wäre«. Das Goldduo hatte tatsächlich wie schon zuvor in der Staffel die schnellsten Ski unter den Füßen.

Zwölf Jahre liegt der letzte deutsche Olympiasieg im Langlauf zurück. Damals hatten Evi Sachenbacher-Stehle und Claudia Nystad ebenfalls überraschend Gold im Teamsprint vor Schweden gewonnen. »Was wir heute geleistet haben, werden wir erst in 10, 20 Jahren realisieren«, sagte Schlickenrieder nun. Er weiß, worüber er redet: Vor genau 20 Jahren hatte er selbst Olympiasilber im Sprint gewonnen. Auch damit hatte zuvor kaum jemand gerechnet.

Nun reisen die Sächsin Hennig (25) und die Thüringerin Carl (26) als Sensations-Olympiasiegerinnen nach Hause. Hennig freut sich besonders auf die Rückkehr in ihre Wahlheimat Oberstdorf: »Ich habe mit meinen Eltern telefoniert. Sie besuchen mich im Allgäu. Vielleicht werde ich dann begreifen, was hier passiert ist.«

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