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Künftig mehr Brandenburger pflegebedürftig als gedacht
Krankenkasse Barmer aktualisiert Prognosen unter Berücksichtigung von Pflegereformen - Ergebnis: Der Personalbedarf steigt steil an
Um abzuschätzen, wie viele Brandenburger künftig pflegebedürftig sein werden, hat sich die Krankenkasse Barmer bislang an der Zahl der Einwohner orientiert sowie den Prognosen, wie alt sie werden. Nun ließ sie die Pflegereformen der vergangenen Jahre in ihre Berechnungen einfließen. Das Ergebnis: Es wird künftig mehr Pflegebedürftige geben als bislang angenommen, folglich werden auch mehr Pflegekräfte gebraucht als gedacht.
Darüber informierte Barmer-Landesgeschäftsführerin Gabriela Leyh am Donnerstag. 2016 seien beispielsweise fünf Pflegegrade eingeführt worden, erläuterte sie. Vorher gab es drei Pflegestufen. Die Neuerung habe den Kreis der Menschen, die Anspruch auf Pflege haben, erheblich erweitert. Diese und andere Reformen berücksichtigt, werden im Jahr 2030 in Brandenburg rund 226 000 Einwohner pflegebedürftig sein. Das seien 39 000 mehr als in den bisherigen Vorausberechnungen. Im Jahr 2040 werde es 252 000 pflegebedürftige Brandenburger geben. Das wären dann 42 000 mehr als bislang angenommen.
Im Jahr 2019 bezogen 78 000 der 2,5 Millionen Einwohner Brandenburgs Pflegegeld, den Pflegegrad eins nicht mitgerechnet. 43 000 wurden durch einen Pflegedienst betreut, 24 000 in einem Pflegeheim.
Im Jahr 2040 werden dem Barmer-Report zufolge 123 000 Brandenburger Pflegegeld beziehen, also ausschließlich von Angehörigen gepflegt werden. 61 000 werden von einem Pflegedienst versorgt werden und 37 000 im Pflegeheim leben.
23 000 Pflegefachkräfte wird das Bundesland im Jahr 2040 voraussichtlich benötigen, außerdem 8000 Hilfskräfte mit Ausbildung und 17 000 Hilfskräfte ohne Ausbildung. 2019 waren hier 15 000 Pflegefachkräfte tätig sowie zusätzlich 5000 Hilfskräfte mit Ausbildung und 11 000 Hilfskräfte ohne. af
Der von Leyh vorgestellte aktuelle Barmer-Pflegereport geht weiter in die Details, die wichtig sind, um sich auf die kommenden Herausforderungen einzustellen. So werden im Jahr 2030 der neuen Prognose zufolge 29 000 Einwohner den niedrigen Pflegegrad eins haben. Das heißt, sie können noch ziemlich selbstständig klarkommen, aber einen Zuschuss für den altersgerechten Umbau ihrer Wohnung beantragen oder Betreuungsleistungen im Wert von bis zu 125 Euro im Monat beziehen. Diese Summe käme dann etwa pflegenden Angehörigen zugute.
Insgesamt werden in acht Jahren etwa 112 000 Brandenburger ausschließlich von ihren Angehörigen gepflegt werden. Aber 54 000 sind dann auf die Hilfe von ambulanten Pflegediensten angewiesen und 32 000 werden in Pflegeheimen leben. Im Jahr 2030 benötigt Brandenburg deshalb 11 000 Pflegekräfte mehr als es 2019 hatte. Das seien 1000 mehr als in früheren Prognosen, rechnet die Barmer vor.
Der künftige Gesamtbedarf an Personal teilt sich auf in 20 000 Fachkräfte, 7000 Hilfskräfte mit Ausbildung und 15 000 Hilfskräfte ohne Ausbildung. »Hier ergeben sich also auch Beschäftigungschancen von Schulabsolventen, die vielleicht nicht mit den besten Noten glänzen, aber ihr Herz am richtigen Fleck haben«, stellt die Krankenkasse fest.
Dass Pflegeschüler inzwischen kein Geld mehr für ihre Ausbildung bezahlen müssen, sei ein Schritt in die richtige Richtung. Es müssten aber auch die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Die Stichworte lauten: seelische und körperliche Belastung, mangelnde Anerkennung, Schichtdienst und Rufbereitschaft, Zeitdruck und Unterbesetzung. Wegen dieser Zustände geben viel zu viele Kollegen schon nach kurzer Zeit auf und suchen sich einen anderen Job. Die gesetzlichen Krankenkassen können bei der Gesundheitsvorsorge helfen, erinnerte Leyh. Pflegeheime und Pflegedienste nähmen diese Angebote für ihre Beschäftigten viel zu wenig wahr, im Unterschied etwa zur Logistikbranche.
Neben dem Personalmangel ist der extrem gestiegene Eigenanteil für einen Platz im Pflegeheim ein dramatisches Problem. Durchschnittlich 1838 Euro monatlich müssen Heimbewohner in Brandenburg trotz Pflegeversicherung aus eigener Tasche bezahlen. Vor vier Jahren waren es noch 1372 Euro. Da tröstet es wenig, dass der Eigenanteil im Bundesdurchschnitt sogar 2179 beträgt. Gerade jetzt, wo in Brandenburg immer mehr Senioren nur schmale Renten beziehen, weil sie nach der Wende Niedriglöhne erhielten oder lange arbeitslos waren, sind 1838 Euro schon viel zu viel. Erst wenn die Ersparnisse bis auf einen Rest aufgebraucht und die Einkommen der Kinder zu gering sind, springt der Staat ein. Das ist Gabriela Leyh bewusst. Zur Kostendämpfung schlägt sie vor, das Land Brandenburg solle die 310 Euro monatlich übernehmen, die als Investitionskosten der Pflegeheime im Eigenanteil der Bewohner enthalten sind.
Es sei notwendig, aus der Pflegeversicherung, die jetzt nur einen geringen Teil der Kosten trägt, eine »echte Vollversicherung« zu machen, fordert der Landtagsabgeordnete Andreas Büttner (Linke). Damit die Beiträge zur Pflegeversicherung nicht explodieren, müsste die Versicherung auch aus Steuermitteln finanziert werden. Zur Bekämpfung des Personalmangels wünscht sich Büttner eine gute Bezahlung.
Damit hängt zusammen, dass die Verantwortung für die Pflege nach Büttners Ansicht bei den Kommunen liegen sollte. »Da 75 Prozent der Kosten im Pflegebereich Personalkosten sind, besteht immer die Gefahr, dass private Investoren an den Personalkosten sparen wollen, um die Rendite zu erhöhen«, argumentiert er. »Dieser Logik muss man sich entziehen.«
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