Lieferkettengesetz kann Druck erhöhen

Friedel Hütz-Adams, Experte für Wertschöpfungsketten, fordert weitreichende Unternehmensverantwortung

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 5 Min.
Tonnenweise werden Waren weltweit verschifft – die globalen Lieferketten sind alles andere als fair.
Tonnenweise werden Waren weltweit verschifft – die globalen Lieferketten sind alles andere als fair.

Das EU-Lieferkettengesetz gilt als historische Chance, Lieferketten fairer zu machen. Haben Sie die Hoffnung, dass es über das deutsche Modell hinausreichen könnte?

Friedel Hütz-Adams
Friedel Hütz-Adams hat in Köln Geschichte, Philosophie und Volkswirtschaftslehre studiert. Seit 1993 ist der Experte für Wertschöpfungsketten und Nachhaltigkeit wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Südwind-Institut für Ökonomie und Ökumene. Mit ihm sprach Knut Henkel.

Grundsätzlich erhöht das Lieferkettengesetz den Druck auf die Unternehmen, Verantwortung für ihre Lieferkette zu übernehmen. Dazu ein Beispiel: Als ich 2009 meinen ersten Fragebogen an die Unternehmen im Kakaomarkt zum Thema Kinderarbeit verschickte, hieß es, dafür sind wir nicht verantwortlich. Mittlerweile ist es so, dass die Unternehmen aufgrund des deutschen Lieferkettengesetzes, aber auch im Vorgriff auf das EU-Pendant und die Bestimmungen gegen Entwaldung, ihre Lieferketten viel stärker erfassen. Ferrero etwa kann nach eigenen Angaben seine Lieferungen zu fast 100 Prozent bis zur Plantage zurückverfolgen. Andere Hersteller wie Nestlé, Lindt & Sprüngli sowie Ritter Sport sind auch sehr weit. Meiner Meinung nach sind das Reaktionen auf die sich ändernde Rechtsprechung. Wir werden sehen, ob sich die EU-Gesetzesvorlage ähnlich wie in Deutschland auf große Betriebe beschränkt.

Kennen Sie auch ein Beispiel, wo sich das kontraproduktiv auswirkt?

Durchaus. Ich kenne ein deutsches Unternehmen, das Kakao im großen Stil vermahlt. Und zwar deutlich über 40 000 Tonnen, die von Tausenden Familien geerntet, aber nur von rund 50 Beschäftigten weiterverarbeitet werden. Dieses Unternehmen ist zu klein, um unter das deutsche Lieferkettengesetz zu fallen. Da aber in den beiden wichtigsten Kakao-Exportländern, Ghana und Elfenbeinküste, Kinderarbeit quasi omnipräsent ist, wäre es wünschenswert, wenn das Gesetz auch da greifen würde.

Kinderarbeit ist im Kakaoanbau seit Jahrzehnten ein Thema. Braucht es den gesetzlichen Druck, um daran etwas zu ändern?

Ja, ganz ohne Zweifel, denn Unternehmen wie Nestlé, Mars oder Mondelez, die sich heute zu ihrer Verantwortung bekennen, kaufen für den größten Teil ihrer Produktion keine Kakaobohnen ein, sondern beziehen flüssige Schokolade im Tank-Lkw. Da besteht kein direkter Kontakt zu Kakaobauern und -bäuerinnen, aber diese Unternehmen agieren mittlerweile trotzdem. Das ist ein Erfolg des Lieferkettengesetzes. Doch der Mittelstand wird im deutschen Gesetz ausgeklammert, weil es nicht risikobasiert ist wie in den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, sondern die Zahl der Beschäftigten ausschlaggebend ist. Das ist ein Manko. Ich wünsche mir, dass das EU-Gesetz den Ansatz der Vereinten Nationen übernimmt.

Eine Abschwächung ...

... zu der bestimmte Lobbyinteressen geführt haben. Und das sorgt dafür, dass wir keine weltweit gleichen Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen in der Kette haben. Die gleichen und fairen Wettbewerbsbedingungen für alle Teilnehmer eines Marktes werden nicht gewährleistet, wenn die Mittelständler rausgenommen werden, die keine Konzerne beliefern. Das ist ein Fehler.

Das EU-Lieferkettengesetz hat sich verzögert, es kursiert der Vorwurf der Intransparenz - teilen Sie den?

Im Kakaosektor gab es im vergangenen Jahr sieben Anhörungen mit den beiden wichtigen Lieferländern Elfenbeinküste und Ghana, die zusammen rund drei Millionen Tonnen Kakao produzieren. Dort ist Kinderarbeit, aber auch der Anbau auf illegal abgeholzten Flächen Realität. In Ghana und der Elfenbeinküste sind es laut neuesten Studien je rund 900 000 Kinder. Beide Länder stellen Kataster der Farmen auf, was die großen Abnehmer ebenfalls gemacht haben. Auch das ist dem Druck der Lieferkettengesetze geschuldet. In Ghana geht die Angst um, dass ihnen der EU-Markt verschlossen werden könnte, dass die Konzerne ausweichen könnten - etwa nach Ecuador oder Indonesien.

Entwaldung soll ja unterbunden werden, und Kakao wäre genau wie Palmöl dafür ein Beispiel. Neue Anbauflächen sollen doch gar nicht erst angelegt werden, oder?

Richtig, und davon würden die westafrikanischen Länder profitieren, denn die Anbauflächen existieren schließlich. Um den Kakaobezug aus Westafrika zu ersetzen, müssten anderswo Millionen Hektar Plantagen neu angelegt werden. Wo sollen die herkommen ohne Abholzung? Die Entwaldungsschutzbestimmungen sind de facto die Versicherungspolice für den Anbau in Westafrika, wo die Agrarpolitik ohnehin sehr kakaofixiert ist.

Mehr als 100 europäische Unternehmen, darunter Hersteller wie Danone, Ericsson und Epson, plädieren für ein EU-Lieferkettengesetz, das eine zivilrechtliche Haftungsregelung enthält - ein Fortschritt?

Ja, das gab es früher nicht. Das ist ein klarer Fortschritt, und eine Regulierung durch die EU bietet Vorteile. Wenn gleiche Regeln für alle gelten, fallen Trittbrettfahrer, die nichts unternehmen, während andere in die Verbesserung der Lieferkette investieren und dann aufgrund niedrigerer Preise ihre Marktanteile ausbauen können. Die Unternehmen wollen, dass der Wettbewerber unter gleichen Bedingungen agiert, denn Kinderarbeits-Monitoring und Transparenz kosten schlicht Geld. Unstrittig unter Experten ist, dass erst, wenn die Familien vom Kakao leben können, die Kinder nicht mehr auf die Felder geschickt werden. Dahin müssen wir, und da spielt der seit Jahren inflationsbereinigt sinkende Kakaopreis eine wichtige Rolle. Der Schokoladenanteil am Preis einer Tafel Vollmilchschokolade, also was bei den Bäuerinnen und Bauern ankommt, beträgt kaum mehr als fünf Cent. Erhöhungen sind machbar.

Von Nichtregierungsorganisationen wird auf Beispiele verwiesen, die mit einem Lieferkettengesetz verunmöglicht werden. Darunter Kinderarbeit im Kakaosektor, Palmölplantagen in Guatemala, aber auch der Dammbruch im Erzbergbau in Brasilien oder der Brand in einer Textilfabrik in Pakistan. Haben Sie Hoffnung, dass sich derartige Fälle nicht wiederholen?

Ja, denn ich sehe ja, wie die Industrie reagiert, wenn neue Gesetze wie der Modern Slavery Act in Großbritannien kommen. Das war 2015, und Discounter wie Aldi und Lidl haben reagiert, obwohl es keine Haftungsregelungen gibt. In Australien wurde 2018 ein Modern Slavery Bill erlassen, und Nestlé forderte per Brief an die Senatskommission Strafen für Unternehmen, die nicht berichten. Das sind positive Effekte. Das große Risiko ist, dass das EU-Lieferkettengesetz eine halbgare Lösung wird - das wäre verheerend.

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