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DFB-Elf in raueren Gefilden

Die deutschen Fußballerinnen wurden zuletzt international überholt. Nun heißt es, von Gegnern zu lernen

  • Frank Hellmann, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 4 Min.

Den Anspruch für das nächste Großereignis formuliert Joti Chatzialexiou recht eindeutig: »Wir wollen um Titel spielen, nicht mitspielen.« Der Sportliche Leiter beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) macht zur Bestandsaufnahme fünf Monate vor der EM in England (6. bis 31. Juli) gerade jene Rundreise der deutschen Fußballerinnen mit, die nach Stationen in Middlesbrough und Norwich nun zum Abschluss nach Wolverhampton führt, wo das wichtigste Spiel beim Vier-Nationen-Turnier gegen die EM-Gastgeberinnen ansteht.

Von einem »Appetizer auf die Euro« spricht die rechte Hand von DFB-Direktionsleiter Oliver Bierhoff - und seine Vorfreude teilt Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg uneingeschränkt. Einen stimmungsvollen Härtetest in einem gut besuchten Stadion gab es in Pandemie-Zeiten schließlich noch gar nicht. »Wir treffen auf eine Mannschaft, die in fünf Monaten Europameister werden will«, sagt Voss-Tecklenburg.

In den West Midlands wartet in der Tat ein hochmotivierter Gegner, der mit der Rückendeckung von bis zu 20 000 Fans den Heimsieg beim neu erschaffenen »Arnold Clark Cup« einfahren will. Und auch wenn Deutschland das Turnier nicht mehr gewinnen kann, wollen die DFB-Frauen sich später doch ebenso gern an dieses Prestigeduell erinnern wie an das letzte auf der Insel.

Im November 2019 sahen fast 80 000 Fans in Wembley zu Spottpreisen ein spektakuläres Länderspiel, das Deutschland mit 2:1 gewann. Torhüterin Merle Frohms nennt es rückblickend immer noch einen »Höhepunkt der Karriere« - sie hielt damals als neue Nummer eins einen Elfmeter. Solch einen Schub darf es gerne wieder geben, findet Chatzialexiou. Der 46-Jährige hält nämlich fest, dass andere Nationen den achtfachen Europameister Deutschland teilweise nicht nur eingeholt, »sondern in manchem Bereich vielleicht auch überholt« hätten.

Die Spanierinnen, aber auch die Engländerinnen sind mit massiver Anschubhilfe ihres Verbandes auf der Überholspur. Umso wichtiger sei es, dass das deutsche Team anders als in den vielen einseitigen Qualifikationsspielen endlich gefordert werde: Es sei wichtig, »die Intensität zu spüren«, denn international wehe eben ein »rauerer Wind«, beteuert Chatzialexiou.

Auch in Sachen Handlungsschnelligkeit hat der Fußballexperte Defizite ausgemacht, die sich bei Frauen und Männern unter dem DFB-Dach gar nicht unterscheiden würden: »der erste Kontakt mit dem Ball, die Auftaktbewegung, die technische Umsetzung«. Tatsächlich waren die vielen Ballverluste und unpräzisen Zuspiele gegen Spanien (1:1) und Kanada (0:1) ein Ärgernis. Voss-Tecklenburg nannte die fehlenden Automatismen eines von insgesamt 14 Ausfällen zerzausten Kaders und fehlende Spielruhe als Gründe. Nach ihrem Dafürhalten hätte ihr Team »ein bisschen zu viel Aktionismus« an den Tag gelegt. Weshalb die 54-Jährige mit ihrer Spielführerin Sara Däbritz die Köpfe zusammensteckte, um sich über die kommenden Schwerpunkte im Training auszutauschen. »Wo müssen wir noch mehr Input geben?«

Die Trainerin ist »grundsätzlich nicht in Sorge«; ihr wird nur »zu viel auf den Moment geschaut«. Es gehe aber darum, »spannende junge Spielerinnen« nicht allein für die EM 2022 zu entwickeln, sondern sie in den kommenden Jahren auf internationales Topniveau zu bringen.

Gerade deshalb ist die Detailarbeit so wichtig. Doch genau hier beobachtet Chatzialexiou beispielsweise, dass die Positionierung auf dem Platz nicht stimme. Was damit zusammenhängen könnte, dass es hierfür im Alltag der Frauen-Bundesliga keine Anhaltspunkte gibt. Bei der Datenerfassung gehe es nämlich »ein bisschen wie bei den Neandertalern« zu, sagte er wörtlich. Was bei den Männern gang und gäbe ist - Laufparameter oder Positionsdaten zu analysieren -, wird bei den Frauen im Alltag gar nicht erhoben.

Tatsächlich waren die nach England gewechselten Nationalspielerinnen wie Melanie Leupolz verblüfft, welche Analysetools in der Women’s Super League wie selbstverständlich zur Verfügung stehen, während die Drucker der Frauen-Bundesliga lediglich DIN-A4-Bögen mit Toren, Gelben Karten und Auswechslungen ausspucken. Chatzialexiou sieht hier seinen eigenen Verband in der Verantwortung, Abhilfe zu schaffen. »Dafür müssen wir auch Geld investieren.« Für manche Maßnahme könnte es bis zur EM-Endrunde jedoch bereits zu spät sein.

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