Zwei dritte Wege

Eine Studie über das rechte und das linke Brandenburg

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 6 Min.

Die rechte Splitterpartei »Der Dritte Weg« lehnt sich so eng an das historische Programm von Hitlers NSDAP an wie aktuell kaum eine andere Neonaziorganisation. Nicht verwechselt werden darf die Partei »Der Dritte Weg« dabei mit der Initiativgruppe »Der dritte Weg«, in der in den Jahren 1989 und 1990 Menschen zusammenfanden, die berechtigte Kritik am realen Sozialismus hatten, aber auch nicht kritiklos hinnehmen wollten, was dann mit dem Anschluss der DDR an die Bundesrepublik über die Ostdeutschen gekommen ist.

In Senftenberg hatte diese Initiativgruppe »einen aktiven Kern von nicht mehr als zehn Leuten«, schätzt Gerd-Rüdiger Hoffmann, der damals aus der SED ausgetreten war, sich in ebenjenem linken »Dritten Weg« engagierte und dennoch 2004 für die PDS in den Landtag einzog. »Wir haben Bildungsarbeit gemacht auf Zuruf«, erinnert sich der heute 69-Jährige an den damaligen »Dritten Weg«. Eine erste Veranstaltung widmete sich der Frage: »Was geht uns die dritte Welt an?«

Wege übers Land

Für seine Studie »Das andere Brandenburg« hat Hendrik Sander nicht nur Literatur gesichtet, sondern auch 45 Gespräche mit Aktiven aus sämtlichen Landkreisen und kreisfreien Städten geführt.

Die Studie ist nicht in gedruckter Form erschienen, sondern ausschließlich online verfügbar. Das hat aber den Vorteil, dass die Internetseiten der erwähnten Antifagruppen, Hausprojekte oder Biobauernhöfe direkt verlinkt werden konnten und über einen einfachen Klick zu erreichen sind. Es gibt auch Querverweise zu Videos, mit denen etwa der selbstverwaltete Club »Muggefug« oder die alternative Technikwerkstatt »Fablab« (beide in Cottbus) vorgestellt werden. Das ermöglicht dem interessierten Leser, Kontakt aufzunehmen, falls er die genannten Einrichtungen besuchen oder dort mitwirken möchte.

Abrufbar ist die Online-Publikation unter: rosalux.de/publikation/id/45609/das- andere-brandenburg.

Angesichts der vielen Probleme und Ungleichheiten in den Randregionen Brandenburgs gibt es nach Einschätzung von Sander »überraschend wenige Initiativen, die sich für eine bessere Daseinsvorsorge einsetzen«.

Bei der Landtagswahl 2019 erzielte die Linkspartei 10,7 Prozent. Auf ihrem Höhepunkt im Jahr 2004 waren es noch 28 Prozent gewesen. Die AfD erreichte mit 23,5 Prozent ihren vorläufigen Rekordwert bei der Landtagswahl 2019 und landete damals auf Platz zwei hinter der SPD. Mit 26,2 Prozent hatten die Sozialdemokraten die AfD seinerzeit auf den letzten Metern noch abgefangen. Bei der Bundestagswahl 2021 erzielte die AfD in Brandenburg nur noch 18,1 Prozent. af

In der Wendezeit hätte man denken können, dass die Menschen andere Sorgen haben und sich für ein solches Thema wenig interessieren. Doch rund 80 Personen erschienen, um zuzuhören und darüber zu sprechen. Für Senftenberg eine erstaunlich hohe Zahl. Aus der hiesigen Initiativgruppe ging später ein Regionalbüro der Rosa-Luxemburg-Stiftung hervor. Es lädt zu Veranstaltungen in der Stadt ein und geht sogar auf Tour.

So hat Gerd-Rüdiger Hoffmann aus verbürgten Aussagen der Sozialistin Rosa Luxemburg (1871-1919) unter Hinzusetzung einiger erdachter Sätze eine szenische Lesung entworfen: »Blume - Liebe - Revolution«. Am 8. März wird sie aus Anlass des Internationalen Frauentags um 18 Uhr im Bernauer Ofenhaus aufgeführt - von der Schauspielerin Alrun Herbing als Rosa Luxemburg und mit Oksana Weingardt am Klavier.

Die beiden so gänzlich verschiedenen dritten Wege erwähnt Hendrik Sander in seiner neuen Studie »Das andere Brandenburg«, herausgegeben von der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Auf 48 Seiten stellt der Politikwissenschaftler Sander Antifagruppen, weltoffene Orte und solidarische Alternativen im Bundesland vor, die mehr oder weniger mit der rechten Szene ringen und zu einer demokratischen Kultur beitragen. In Potsdam beispielsweise zählt für Sander die klar antirassistische Fanszene des Fußballvereins SV Babelsberg 03 dazu. Die Anhänger der Regionalliga-Mannschaft schwenken im Karl-Liebknecht-Stadion Fahnen mit dem Konterfei von Karl Liebknecht. Dieser wurde im selben Jahr wie seine politische Weggefährtin Rosa Luxemburg geboren und am selben Tag wie sie von rechten Freikorpssoldaten ermordet.

Sander leitet seine Studie mit einer Übersicht zur politische Geografie und Ökonomie Brandenburgs ein und schildert danach die jeweiligen Verhältnisse in den 14 Landkreisen und vier kreisfreien Städten des Landes. Er beschreibt dabei, wo einstmals die Arbeiterbewegung oder die Faschisten ihre Hochburgen hatten, wie es danach geworden ist und wie es heute aussieht. Manchmal zeigen sich historische Kontinuitäten, manchmal eindeutige Brüche mit der Vergangenheit. Im Lausitzer Braunkohlerevier und insbesondere in der Stadt Cottbus, wo sich heute die AfD breit gemacht hat, konnten SPD und KPD in den Jahren der Weimarer Republik gute Wahlergebnisse erzielen. Heute ist die Linke dort vergleichsweise schwach.

Dabei ist zu beachten, dass Sander mit der Linken nicht immer die Partei meint. Er widmet sich auch liberalen Schichten und alternativen Milieus, berichtet von Christen, die sich um Flüchtlinge kümmern, und von Ökobauern, die den Grünen nahestehen - alles Leute, die sich oft selbst nicht unbedingt als ›links‹ bezeichnen würden, die der Wissenschaftler aber als »Mosaik-Linke« einstuft.

Es hat sich einiges getan seit den 90er Jahren, die inzwischen als Baseballschlägerjahre gelten, weil Horden von Neonazis Nichtdeutsche und Andersdenkende jagten und so die Straßen unsicher machten. Damals stellten sich Antifagruppen quer, unterstützt fast ausschließlich von der PDS. Erst 1998 schwenkte die Landesregierung mit ihrem vorbildlichen Handlungskonzept »Tolerantes Brandenburg« um. Das Kleinreden des Problems hatte endlich ein Ende.

Die Skinheads von einst sind älter geworden, haben sich die Haare wachsen lassen und schlagen gar nicht mehr oder wenigstens nicht mehr so häufig zu. Aber sie sind noch da, führen in Sportvereinen das Wort, hetzen gegen alles, was ihnen fremd ist - und wählen die AfD.

Schlimmer ist das zumeist in Gegenden weit weg von Berlin, wo sich die Menschen abgehängt fühlen und auch abgehängt sind nach der Pleite von Industriebetrieben, den Massenentlassungen, dem Wegzug der Jugend. Aber es gibt Gegenbeispiele - etwa die Prignitz, in der die AfD vergleichsweise wenig zu melden hat, oder Bad Belzig im Hohen Fläming, wo es mit dem Infocafé »Roter Winkel« und dem esoterisch angehauchten Zentrum für experimentelle Gesellschaftsgestaltung Keimzellen für eine Gegenbewegung gab und gibt.

Auf der anderen Seite hat der Zuzug von Bildungsbürgern nicht überall im Berliner Speckgürtel für ein deutlich weltoffeneres Klima gesorgt. In der Gegend von Nauen, Hennigsdorf und Velten etwa gibt es wie früher Neonazis, die sich für ihr Treiben mit Saufkumpanen verbünden. Ein Beispiel dafür ist der frühere NPD-Stadtverordnete Maik Schneider, der im Sommer 2015 eine Turnhalle in Nauen abfackelte, kurz bevor dort vorübergehend Flüchtlinge untergebracht werden konnten. Für den Brandanschlag suchte und fand er seine Mittäter nicht etwa in einer organisierten Kameradschaft, sondern unter seinen Kneipenbekanntschaften.

Mit der klassischen Zweiteilung Brandenburgs in den Berliner Speckgürtel und den Rest ist es bei der Frage nach der Stärke oder Schwäche der Zivilgesellschaft und der alternativen Subkulturen nicht getan. Sander sieht zusätzlich ein Nord-Süd-Gefälle. Auch bei einer kleinteiligeren Betrachtung ist es manchmal nicht so einfach, die Lage richtig einzuschätzen. So hat Frankfurt (Oder) mit René Wilke einen Linken zum Oberbürgermeister gewählt, aber mit Wilko Möller von der AfD einen Rechten zum Landtagsabgeordneten. In der Stadt an der polnischen Grenze sind die Einkommen selbst für brandenburgische Verhältnisse niedrig und die Kinderarmut grassiert so stark, wie sonst nirgendwo im Bundesland.

Am Schluss seine Studie wagt Politikwissenschaftler Sander einen Ausblick. Die Gegner und die Probleme »scheinen oft überwältigend und es wären oft noch viel mehr Aktive und Kräfte nötig«. Die Demokratie im Land nennt Sander »prekär«. Es müssten mehr Projekte und Kampagnen zur sozialen Frage entwickelt werden. Es sollten »zerstörerische und undemokratische Formen des Wirtschaftens zurückgedrängt und durch Elemente einer vergesellschaftenden Ökonomie ersetzt werden«, öffentliche Schienenfahrzeugproduktion etwa statt private Tesla-Autofabrik. Sander schlägt eine Strategie vor, die die modernen, progressiven Milieus genauso anspricht wie die abgehängten Klassen und das noch in der DDR geprägte ältere Bildungsbürgertum. Es klingt nach einem dritten dritten Weg?

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