• Brandenburg
  • Brandenburger Linke und der Ukraine-Krieg

Freunde Russlands sind erschüttert

Brandenburgs Linke spricht bei einem Stammtisch über Krieg und Frieden

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

»Meinst du, die Russen wollen Krieg?« So dichtete Jewgeni Jewtuschenko 1961. Das Wörtchen »Nein« fehlt in seinem Friedenslied, und doch machte Jewtuschenko deutlich: Die Russen verabscheuen Kriege. Aber jetzt scheine das nicht mehr so klar zu sein, bedauert die ehemalige Landtagsabgeordnete Margitta Mächtig (Linke). Am Freitagabend stellt sie dann aber sofort richtig: Nicht die Russen wollen Krieg, sondern ihr Präsident Wladimir Putin, dessen Truppen in die Ukraine eindrangen. »Krieg ist kein Mittel zur Lösung politischer Konflikte«, betont Mächtig beim Online-Stammtisch der brandenburgischen Linken.

Den Stammtisch führte die Landesvorsitzende Anja Mayer in der Corona-Pandemie ein, damit interessierte Genossen nicht etwa vereinsamen, damit sie sich weiter sehen, miteinander Bier oder Wein trinken und über Politik diskutieren können, wenn die Kontaktbeschränkungen das nicht zulassen. Vielen regelmäßigen Gästen ist das so wichtig geworden, dass sie sich wünschen, nach der Pandemie damit fortzufahren.

Am Freitagabend sollte der 100. Stammtisch eigentlich feuchtfröhlich gefeiert werden. Doch die Ereignisse in der Ukraine lassen das nicht zu. »Der gestrige Tag war ein Schock«, sagt der Teilnehmer Jan. Das Verhältnis zu Russland werde nun leider ein anderes sein. Dabei wären gute Beziehungen so wichtig gewesen. Die Linke habe Russlands Sichtweise und Interessen immer verteidigt. Und nun?

»Ich war der Überzeugung, dass die Russen keinen Krieg wollen«, bestätigt Jana. Vielleicht habe Russland keine andere Möglichkeit mehr gehabt, die Nato so nah an seinen Grenzen? Jochen sucht nach einer Entschuldigung. Wenn Putin Frieden am Donbass wünschte, welche anderen militärischen Optionen hatte er überhaupt noch? »Die einseitige Berichterstattung über die russischen Maßnahmen ist heuchlerisch.« Doch auch für Jochen steht fest: »Es darf keinen Krieg geben!«

Diese Friedenssehnsucht ist in der Runde der kleinste gemeinsame Nenner. Die Ostdeutschen sind zur Freundschaft mit den Völkern der Sowjetunion erzogen worden. Das mag in der DDR an einigen abgetropft sein, aber bestimmt nicht an denen, die sich in der Linken engagieren. Ihnen tut es in der Seele weh, dass diese Völker inzwischen übereinander herfallen. Sie sei »enttäuscht«, gesteht Josseline. Sie habe früher leider weggehört, wenn ihr russische Freunde von fehlender Meinungsfreiheit in der Heimat erzählten. Josseline hat auch Freunde in der Ukraine. Diese sitzen jetzt während der Luftangriffe mir ihren Kindern im Keller. Josseline kämpft mit den Tränen.

Peter hat mit Russen und Ukrainern studiert und macht sich nun Sorgen um sie. »Es ist, glaube ich, gerade für alle schwierig«, tröstet die Landesvorsitzende Mayer. Sie ist selbst erschüttert. Jemand schreibt in den Chat: »Meine Frau hat gestern den ganzen Tag geweint.«

Wohin das alles führen wird, können sich die Genossen lebhaft vorstellen. Die Bundeswehr werde jetzt neue Technik bekommen, anstatt das Geld in die Entwicklungshilfe zu stecken, erwartet Tim. Er befürchtet ein neues Wettrüsten. »Wir werden über die Einführung der Wehrpflicht diskutieren müssen, egal ob wir das möchten«, prophezeit der Landtagsabgeordnete Ronny Kretschmer. Es werde nicht leicht werden, dagegen zu argumentieren. Hoffnung schöpft der Politiker wegen der Friedensdemonstrationen in etlichen russischen Städten. »Russland ist mehr als Putin.«

Doch die Ex-Landtagsabgeordnete Gerrit Große warnt davor, sich Illusionen zu machen. Nach ihrer Einschätzung gibt es keine Opposition, die Putin stoppen könnte, und die Sanktionen bringen offenbar nichts. Große befürchtet, der Präsident sei bereit, Atomwaffen einzusetzen. »Das ist beängstigend.«

Dass sich die Nato entgegen den Versprechungen der 1990er Jahren nach Osten ausdehnte und selbst schon völkerrechtswidrige Angriffskriege führte, etwa 1999 gegen Jugoslawien, darüber besteht unter den 40 Genossen beim Stammtisch kein Zweifel. Statt des Völkerrechts gelte das Gesetz der Stärke. Trotzdem dachte Gerrit Große noch am Montag, Putin werde seine Soldaten nicht weiter vorrücken lassen als in den Donbass. Jetzt weiß sie: »Irrtum.«

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